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Inhalt 01/2015

Die Lesezeichen-Ausgabe 01/2015 erschien am 13. April 2015.

In dieser Ausgabe:

Saubere Unterwerke und disziplinlose Kobbois, Win-Win-Situationen, Pablo Picasso und Henry Bean, die Wohnzimmer unserer Eltern, fehlende Hühner sozialistisch-protestantischer Herkunft und Chinesische Wollhandkrabben, schüchterne Verse und blaue Elephanten, eine Anpassung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Kurt Neumann und die Idee der Beginnlosigkeit, Garrincha und die Bohnenstangen-Sabine, die ankernde Endlichkeit des Johannes, ein Pinsel in der Badewanne, Exit-Strategien und die Pulmologie …. uvm.

INHALT:

Thomas Mann in einem Brief an seine Waschfrau

Sehr verehrte Frau Schleusenberg,

Sie haben mir eine Ehre erwiesen mit der Übersendung meiner sauberen Wäsche und haben mir eine höchst angeregte Stunde damit bereitet. Mein inneres Verhalten dazu wechselte zwischen der beifälligsten Zustimmung und einer gewissen Bestürzung über einen oft etwas gewalttätigen Einatz von Scheuermitteln, und zwar sowohl bei der einzelnen Unterhose wie auch in der Gesamthaltung, die ja ohne Zweifel ein wenig ins Pedantische fällt. Verzeihen Sie diesen Ausdruck, der sachlich natürlich durchaus nicht am Platze ist, aber was ich meine, ist ein gewisser Wille zur peniblen Genauigkeit, der in meinen Augen ein wenig krank anmutet. Sauber muss nicht ins Fascistische abgleiten, und darum muss ich Sie künftig der Dienste, die Sie meinen Unterhosen leisteten, entbinden. Sauber soll mein Unterwerk, bezeichnen wir es so, schon sein, nicht aber von allen Spuren menschlicher Tätigkeit befreit.

novela corta #79

katharina vasces und der kobboi am meer

katharina vasces war klug genug, dem kobboi über den besuch vom festland nichts zu erzählen. sie wollte ihm ja nicht die laune verderben.

so kann sie nun in aller ruhe mit dem kobboi den feierabend geniessen.

für frau heidi gassner verriet uns katharina vsaces dann doch noch eine kleine geschichte vom kobboi:

als erstklässler in einem kleinen dorf ging er vor dem unterricht immer in zweierkolonne vom schulhaus in die kirche zur morgentlichen messe und nachher wieder zurück in die schule.
die schule war übrigens eines der wenigen neuen häuser im dorf und dadurch für den kobboi eine völlig fremde welt. die lehrerin war auch nicht eine vom dorf und sie war auch anders gekleidet als die übrigen frauen, und sie trug immer stiefel mit langen schäften und hohen absätzen.
so kam es, dass nach der messe, zurück in der schule, alle die schuhe auszogen und in pantoffeln schlüpften. die lehrerin zog auch immer ihre stiefel aus und wechselte vermutlich zu bequemeren schuhen, der kobboi kann sich nicht mehr daran erinnern.
wie es dazu kam, weiss er auch nicht, aber auf alle fälle gab es immer wieder schülerinnen und schüler, die der lehrerin beim stiefelausziehen halfen. es gab meistens ein regelrechtes gerangel darum, wer das machen durfte.
dem kobboi war das mehr als recht, denn er war mit sich, seiner umwelt, der schule, den schuhen, eltern, geschwistern, träumen, mitschülern, dem schnee und so weiter derart beschäftigt, dass ihm keine zeit zur verfügung stand, auch noch der lehrerin aus den stiefeln zu helfen.
als gegen ende schuljahr die lehrerin sich ausführlich mit seinen eltern über seine nicht vorhandene diziplin unterhielt und der kobboi sich zu verteidigen versuchte, kam dann prompt der vorwurf der lehrerin, er hätte nie geholfen, ihr die stiefel auszuziehen.
der kobboi war verwirrt und für den rest des elterngesprächs sprachlos.

Hart kämpft (Teil 1) (DREI SABINEN)

Sie war und wollte eine auffällige Erscheinung sein. Immer Auftritt, aber im Inneren die Angst und die Depression stets auf der Lauer. „Ein heißer Feger“, flüsterte es hinter ihr her, wenn sie die Treppe hinaufstieg ins Turmhaus, wo die Schönen und Reichen und Gebildeten das Tanzbein schwangen. Lippen auf Alarmrot, die Nüstern gebläht, wie eine Zuchtstute das Haupt in den Nacken gelegt, eine edle Bewegung, dafür aber der Hals zu kurz, eigentlich. Sie kompensierte das mit einem Blick unter exakt geschwungenen Brauen aus giftgrünen katzenhochmütigen Augen. Das lockige Haar schwang um ihre Schultern in falschem Tizianrot. Sie wollte keine Naturgewalt sein, sondern das hohe Bild der zweiten Natur: Mehr Erotik als Sex, aber stets ein Angebot, unter der Hand, für den Mann, der das Alpha-Tier vorstellte oder den sie dazu machen konnte. Jede Geste zeigte an: „Ich bin der große Preis.“

So tauchte die wieder auf, die einmal die Bohnenstangen-Sabine gewesen war und sich jetzt Sabia Hart nannte, modelhaft, und keine konnte einer wie ihr ohne Vorurteile begegnen. So viel Schau, da ließ sich leicht an der Substanz zweifeln. Das war ein Fehler und nicht unser einziger. Sie hatte sich verwandelt und wir sogen die Luft ein. Doch das Spiel, das sie spielte, begriffen wir weder damals noch später. Die Kampfszene, in die sie eingestiegen war, vielleicht hatte einsteigen müssen, auch um unseretwegen, unserer Worte und Blicke willen, verstanden wir nicht. Sie wollte gesehen werden, aber die Blicke, die sie trafen und die sie verschoss, galten nicht gleich viel.

Kerstin, die einmal „die Schlaue“ gewesen war und nun ein Mittelstandsmusterleben in der Provinz führte, hatte den berühmten Pianisten, dessen Einspielungen sie sammelte, an jenem Abend hören wollen und den Freund überredet, sie zu begleiten. Von ihr hörten wir später, wie diese Begegnung mit der, die wir vor Zeiten Bohnenstangen-Sabine gerufen hatten, verlaufen war. Das meiste mussten wir uns zusammen reimen, denn Kerstin war keine gute Erzählerin. Mit geschlossenen Augen, so stellten wir uns vor, hatte Kerstin dem Spiel gelauscht, ihre Hand sanft und trocken in die ihres Begleiters gelegt. Sie saßen in der ersten Reihe der Stühle, die an jenem Abend im Halbkreis auf den Tanzboden gestellt waren, um dem Pianisten eine Bühne zu schaffen, die Beine einander spiegelnd übereinander geschlagen, ihre Füße sich gelegentlich leicht berührend. Der Meister spielte gut, wenn auch, wie Kerstins Gefährte später feststellte, beinahe zu virtuos. Zu sehr, so fanden beide, war sich der Mann in jedem Augenblick seiner selbst und seiner Begabung bewusst, spielte vor, gab sich nicht aus. „Trotzdem, war´s gut.“, resümierten sie im Foyer danach. Nach dem Vortrag standen die geladenen Gäste noch eine Weile herum, Weingläser wurden ausgeschenkt, Brezeln aus Körben angeboten. Ein alter Bekannter stellte Kerstin den Pianisten vor.

Sie, so behauptete sie, sei überrascht gewesen wie dieser Mann sie taxierte, als sei sie solo gekommen, aus tiefliegenden, von schweren Lidern verschatteten, beinahe schwarzen Augen. Das dunkle geölte Haar und sein Monjou-Bärtchen, über das er sich fortwährend strich, verstärkten die, ohne Zweifel beabsichtigte, Reminiszenz auf einen ruchlosen Dandy der 20er Jahre. Seine Stimme war rauchig, ein heiseres Flüstern, als hätten sie beide etwas miteinander zu verbergen, so legte er ihr seine Hand auf den Unterarm: „Sie kennen meine Musik? N´ est pas?“ Die Bewegung hatte etwas Entblößendes. Kerstin fühlte sich nackt. Ein leichtes Tippen seiner Fingerspitzen, kaum spürbar. Dann ließ er wieder los.

Dieser Flirt aber, so stellte Kerstin es dar, galt nicht ihr, nicht wirklich, sondern dem, der sie begleitete, ihrem Mann, wie der Klaviervirtuose offenbar annahm, und ihr, der Roten, der schönen Sabia, seiner Frau. Die sie nicht war, andererseits, was eine Rolle spielte, die aber Kerstin an jenem Abend noch nicht durchschauen konnte. Wir waren nicht überzeugt, denn wir ahnten, wie sehr Kerstin, die Spröde, ihre eigene Anziehungskraft unterschätzte.

Was jedoch sicher stimmte: Das Spiel, das hier gespielt werden sollte, zwischen Hart und dem Pianisten, überforderte die schlaue Kerstin. Was sich an jenem Abend zwischen Sabia, Kerstin und dem Pianisten anbahnte, beruhte schon auf so tiefen Missverständnissen, dass sie auch später keine Erneuerung der alten Freundschaft – die in Sabias Augen ohnedies niemals bestanden hatte- je würde wieder auflösen können. Kerstins Begleiter reagierte nicht auf den Pianisten. Er sah wohl das Spielbrett, aber die Spieleröffnung, die ihm galt, entging ihm. „Magst du ein Glas Roten?“, fragte er und als Kerstin nickte, wandte er sich ab, unbesorgt, um sich in der Schlange anzustellen. Der Pianist lächelte, kein anderes Wort passt besser als: maliziös. Weniger galt seine Verachtung ihr, der kühlen Blonden, die der Verteidigung nicht wert zu sein schien, als dem anderen Mann, der den Kampf nicht angenommen hatte.

Hart dagegen nahm an. Mit dem Oberkörper lehnte sie sich leicht seitwärts gegen die Brust des Pianisten. Hätte sie ihren Arm, wie eine Bürgerliche des 19. Jahrhunderts im Stadtpark, unter seinen Arm geschoben und einen Schirm geschwungen, die Geste hätte nicht besitzanzeigender und abwehrender zugleich sein können. Sie hatte Kampfstellung bezogen. „Wir Künstler“, lächelte sie, „müssen euch sehr kapriziös erscheinen.“ Er genoss es, ungemein. „Aber warum denn, meine Liebe, darf ich Ihnen Sabia Hart vorstellen, eine sehr, sehr gute Freundin.“ Das war geschickt. Er sagte nicht: meine Freundin. Oder: meine Geliebte. Dennoch war es eindeutig: sehr, sehr, das e gezogen und das r gerollt. Aber auf eine Weise ausgedrückt, die die Geliebte auf Distanz hielt. Die Botschaft an Kerstin, der er tief in die Augen schaute, lautete: Wenn Sie wollen… Die ehemalige Bohnenstange bemerkte das wohl und fuhr die Krallen aus. „Wirk kennen uns“, ließ Kerstin ihn wissen, „von früher. Obgleich du dich“, wandte sie sich an Sabine-Sabia, „sehr verändert hast. Kaum wiederzuerkennen.“ Hart schnurrte. Das Angebot, das er Kerstin gemacht hatte mit den Augen, brachte sie in Wallungen. Das war der Preis, um den er zu haben war, und der seinen Wert steigerte. Dass er sie kämpfen ließ. Ohne die dauernden Kränkungen hätte sie ihn gar nicht haben wollen.

Was ging in ihr vor an jenem Abend, als sie eine von uns zum ersten Mal wieder traf nach so langer Zeit? Sah sie in Kerstin ein Mäuschen, das es wagt, mit der Katze zu spielen? Wir hatten sie bedauert, früher, aber Kerstin schauderte es nun, wenn sie an den Blick dachte, mit dem Hart sie gemustert hatte. Durchdringend, gierig, verlangend. Spiel mit uns. Wags doch. Und was sah er? Die Beute eines anderen, um die es sich zu streiten lohnte? Es waren andere Frauen anwesend, schönere, teurere als Kerstin an jenem Abend. Warum sie? Die versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen: „Du bist Sängerin geworden?“, fragte sie. Hart legte den Kopf in den etwas zu breiten Nacken, als wolle sie jenen kleinen Makel durch die Dehnung ausgleichen, bevor sie Kerstin ihr breitestes Lächeln schenkte: „Du hast bestimmt von meinem Engagement in H. gehört.“ Kerstin verneinte. Harts Züge erstarrten, jedoch nur für einen winzigen Moment.

„Holst du mir meinen Mantel?“, wandte sich Kerstin, der kalt geworden war, an ihren Begleiter. Er strich sanft mit der Hand über ihren Rücken. „Müde?“ Sie nickte, erleichtert. Als er zur Garderobe ging, beugte sich der Pianist zu ihrem linken Ohr: „Wir werden uns wiedersehen.“, flüsterte er, die Lippen fast gegen ihre Muschel gepresst. Kerstin zitterte. Der Pianist lachte entspannt auf: „Sie sind eine wunderbare Zuhörerin.“ Er hob ihre rechte Hand seiner Nasenspitze entgegen und hauchte einen angedeuteten Kuss darauf. Hart neben ihm schüttelte sich kaum merklich, aber Kerstin war sich dennoch sicher, die Bewegung wahrgenommen zu haben. Kerstins Begleiter kam mit dem Mantel zurück und sie schmiegte sich an ihn, strich mit ihrer Wange über seine Hand, die ihr den Ärmel half. Er suchte, ein wenig irritiert, ihren Blick. „Alles in Ordnung?“. Sie nickte und klammerte sich noch etwas enger an ihn. Sabine Hart legte ihr zum Abschied eine Hand auf den Arm: „Wir werden uns wiedersehen.“, wiederholte sie exakt die Worte des Pianisten.

Kerstin benutzte, als sie uns davon erzählte, nicht das Wort Flucht. Aber so etwas muss es gewesen sein. Sie glaube nicht, sagte sie, dass sie Sabine Hart, die Bohnenstange, die eine Rote geworden war, sinnlich, ergreifend, besessen von ihm, dem Pianisten, je wiedersehen werde. Sie jedenfalls, behauptete Kerstin, wolle das nicht. „Irgendwie“, sagte sie, und das Wort entlarvte sie mehr als das Zittern ihrer Stimme, machten die ihr Angst, diese unbekannte Sabine-Sabia und ihr Pianist. Damals ahnten wir noch nicht, was kommen würde. Aber keine von uns glaubte Kerstins Beteuerungen.

26/15 – un fil d’or


au bord du marées – Wo der Himmel die Erde berührt-
Arkaden reichen über das Meer
Wir glitten in ein tägliches Ausbalancieren. Wir gingen über Brücken. Wir wechselten die Seiten. Wir warteten. Saiten, sagte ich zu dir. Ein Instrument die Stadt. Ein Resonanzkörper, vielleicht der Farben des Lebens anhin. Ein Organismus, schwebend über der Wasserfläche. Ein Membran, das Himmel vom Wasser trennt. Ein, auf Zehenspitzen stehendes Wesen. Stets umflutet. Sein Anker in einer Endlichkeit.

einer hob gegenüber …

einer hob gegenüber
hinterm fenster
den arm
da wo ich hätte
ich und die welt
a supposèd person
hingehen sollen
den platz überquerend
(looks like an agony)

wie aber kann einer
hinter dem fenster
gegenüber stehend
vor dem arm
der sich hebt
geboren werden?

(johannes drei vier)

la fiamma è avida
und späht dich aus

(30.3.15)

Hülfe denn womöglich eine Schriftstellerselbstmordwelle, Frau Torik?

Lamentiert wird zurzeit andernorts, da bin ich ja fast froh, denn alles selber machen will man denn nun auch wieder nicht! Beklagt wird jedenfalls, bei der Kollegin Aléa Torik nämlich, daß es dem literaturschreibenden Menschen meist schlecht geht, beruflich, finanziell, psychisch, während von eben diesen Schreibenden allerlei andere Berufstätige leben. Sie schreibt das folgende, ich darf mal zitieren:

Es ist tatsächlich ausgesprochen obszön, dass so viele schreiben. Dass so viele zu den Fleischtöpfen streben, von denen es nicht wenige gibt. Aber es kommen eben immer nur ganz wenige in Frage. Es sind wenige hundert, die die Preise und Stipendien bekommen, die auf die großen Festivals eingeladen werden etc. etc. Es ist obszön, dass wir, die wir Hunderttausend Menschen in Lohn und Brot halten, selbst solche Hungerleider sind. Wir müssten aufstehen und klipp und klar sagen, dass wir das nicht mehr machen. Wir schreiben keine Texte mehr. Wir schicken nichts mehr an Verlage, wir bewerben uns nicht mehr auf Stipendien und lehnen Lesungen freundlich, aber bestimmt ab. Wir verweigern uns einfach. Wir schreiben nichts mehr, vielmehr veröffentlichen wir nichts mehr. Anders als bei der Deutschen Bahn oder der Lufthansa, wo wegen Lappalien gestreikt wird, geht es bei uns um die gesamte Existenz.

So also Aléa Torik in ihrem Beitrag, und zwar als Replik auf die wütende Aufforderung Bersarins an die Schriftsteller:innen, sich doch gefälligst zu reduzieren, was imgrunde natürlich ein Schrei nach Liebe, also nach Qualität ist. Aber würde eine Verweigerung, ein (Schriftsteller:innen-)Streik, etwas nützen? So wie ein Krieg auch nur Krieg genannt werden darf, wenn er grundsätzlich beendet werden kann, so ist ein Streik auch keine ewige Verweigerung, irgendwann bröckelt die Front, Streikbrecher nutzen die Lage, ihren Kram unterzubringen, und so weiter und so weiter – und am Ende wäre die Zahl der Schriftsteller:innen nicht nur nicht kleiner, sondern womöglich größer. Was also tun? Auf die verwirrte Leserschaft ist natürlich wie immer kein Verlaß, denn die sind wegen des Überangebots an Literatur ohnehin völlig überfordert (und dabei gäbe es hinter dem Überangebot noch ein weiteres und sogar noch größeres solches), so daß womöglich nur eine Lösung bliebe, die zum einen die pure Anzahl an Literaten reduzierte, aber diesen auch je einen Publikumserfolg bescherte, möglich gemacht nämlich, so jedenfalls meine Idee, durch den einfachen und effektiven Selbstmord eines jeden einzelnen Schreibenden, und zwar direkt nach Beendigung der ersten selbst als gut empfundenen literarischen Arbeit. Grund dafür ist in jedem einzelnen Falle die Erkenntnis, mit solch einem Text nie und nimmer Erfolg haben, sich also auch gleich umbringen zu können – was aber wiederum mit dem Trost verbunden ist, durch sein eigenes tragisches Ableben wenigstens dem Text allein, ihm als solchem eine gute Chance auf Veröffentlichung und Erfolg zu ermöglichen, denn, das weiß man, das Publikum liebt gute Geschichten, die in der Realität, also der Verzweiflung der Autoren wurzeln. Alles in allem entstünde so eine Win-Win-Situation, die Autor:inn:en nämlich zeigten, wie ernst sie es meinen mit ihrer Kunst, wie sehr das Schreiben ihr Leben ist, und zudem würden die so ins Licht gerückten Texten angemessen gewürdigt werden, und das sogar von einem Publikum, das eben genau diese Texte wirklich will. Nur um den Nachwuchs an literarisch schreibenden Menschen müßte man sich womöglich ein wenig Sorgen machen, aber das Problem lösen wir dann auch noch, später irgendwann.

Ich. Jetzt. Frühling.

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Ich. Spring. Heute.

 

Um fünf Uhr bin ich von der Leiter gestiegen. Ich habe die feinen Schweineborsten des Pinsels in der Badewanne ausgeschwemmt. Das Bad strahlt wieder ein bisschen mehr weiss. Gelb soll noch, so Lust dazu sein wird, hinzukommen.

 

Um sechs Uhr habe ich meinen fröhlichen schwarz-weissen Hund in mein kleines blaues Auto hopsen lassen. Und bin zur grünen Tankstelle gebraust: Kaffeetrinken. Feldstudien. Beobachtungen. Tipps.

 

Um sieben Uhr habe ich mich an meinen roten Laptop gesetzt. Das 200 Gramm schwere Radio-Apparätchen dudelt. –

Um acht Uhr soll dieser kleine Blog-Beitrag erscheinen. Länger gebe ich mir dafür nicht.

 

Also sage ich jetzt ganz schnell in einfacher Weise, was mir kompliziert am Herzen liegt. Nämlich, dass in|ad|ae|qu|at sich ein bisschen ändern wird. Und zwar in der Form. Und zwar auch im Inhalt. Und überhaupt auch als eine Form von “Temperament” des Kommunizierens.

 

Christiane Zintzen – formerly known as “czz” – wird fortan in ihrem und für ihren Namen hier schreiben. Christiane Zintzen wird hier ihren Umschlagplatz für Heiliges und Profanes halten. Christiane Zintzen wird sich die Freiheit nehmen, sich die Freiheit zur Freiheit zu nehmen.

 

Es ist Frühlingsbeginn.

 

Hotel Zeus, Málaga

In Málaga ist Carnaval. Junge Mädchen ziehen meist zu viert in Gruppenverkleidung durch die Altstadt. Vier Engel, vier Krankenschwestern, vier Fußballfans. Es hat einen Hauch von Manga, einen Hauch von Erstsemesterritual, obwohl die Mädchen noch weitaus jünger sind. Zwischen 16 und 18 schätzungsweise. Der Rest der Menschen ist in normaler Freitagabendausgehkluft. Auf dem großen Platz werden später Drag Queens gekürt. Ich sehe Erwachsene, kleine Spanier, kleine Spanierinnen, durchaus auch mal aufgemacht. Ich bin heute Abend der größte Mann in dieser Stadt. Leider habe ich Kopfschmerzen, dann Rückenschmerzen, und warte eigentlich nur auf die Wirkung der Ibu. Kein guter erster Tag, aber die Luft ist gut, und der Geruch nach Meer.

Das Hotel steht in einer eher abbruchreifen Gegend. Überhaupt ist Málaga kein Schmuckstück von Stadt; allein die Altstadt wurde aufgehübscht und zur übergroßen Fußgängerzone entwickelt. Irgendwo steht eine große Burg, irgendwo steht eine Kathedrale. Ich suche morgen danach. Davor steht ein großflächiger Hafen – vom Hotel aus werden Touren nach Afrika angeboten, Tanger, Marokko, für 78 Euro inklusive Essen. Im Reiseführer heißt es, die Stadt habe sehr unter dem Bürgerkrieg gelitten. Außerdem steht da folgender Satz: „Die Geburtsstadt von Pablo Picasso bemüht sich um einen Ruf als Kulturmetropole.“

Die Wolken da schicken sich an, dunkel zu werden
und die Regierungskreise hassen es, berührt zu werden

Befinden: schwankend bis furchtbar. Wie immer, wenn ich alleine reise, kommt der Gedanke auf: Was mache ich hier eigentlich? Soll es meine letzte Reise sein, ich meine, die letzte, die ich alleine mache? Hoffentlich. Schon die Amerikanerin im Bus vom Flughafen meinte: „How brave you are to travel alone.“ – Interessante Kommunikationsstrategie übrigens: Immer zuerst mit einem Kompliment beginnen. „I like your map!“ Was soll man dazu sagen? Dann zwei, drei interessierte Fragen – schon ist man im Gespräch. Tiefe und Verbindlichkeit werden natürlich trotzdem vermieden. (Ein Ehepaar aus Idaho, circa Anfang 50, via Berlin gekommen. Sie fanden Berlin schön – aber auch grau und schmutzig, und die Luft war schlecht. Letzteres fällt mir gar nicht mehr auf: There is smog above the city.) – Und ich sehe wie gesagt nur junge Menschen, junge Leute zwischen 15 und 30, und dann ältere, Menschen ab 45, manchmal auch Eltern, aber irgendwie habe ich ein komisches Gefühl meiner Altersgruppe gegenüber: Wo sind sie denn, die Anfangvierziger? Ist diese Generation ausgestorben? Oder sitzt sie genauso rückenschmerzengeplagt zu Hause, die Kinder sind zum Glück schon im Bett? – Mehr dazu bald. Alles etwas flach noch. Wird schon wieder.

Fragen an einen potentiellen Geliebten

Wie hast du es bis hierhin geschafft? Was ist dein bester Trick? Worauf verlässt du dich, wenn alle Systeme versagen?
Könntest du einen schwierige-Fragen-Text schreiben? In welches Tier hättest du dich verwandelt, wenn du Kafka gewesen wärest? Wie lange kannst du dich wirklich am Stück konzentrieren? Wie hoch ist die Miete für den Lagerraum, in dem du deine unlösbaren Probleme aufbewahrst?

Wie oft hat es dich schon weitergebracht, der Realität ins Auge zu blicken? Wärst du gern häufiger unsagbar geil? Gibt es einen Alptraum aus deiner Kindheit, an den du dich immer noch erinnerst?
Hast du ein Talent, für das du noch nie Anerkennung bekommen hast, geschweige denn Entlohnung? Wie viele Häute besitzt du?
Wie viele Überlebensrituale praktizierst du? Wie viele davon hast du selbst erfunden? Wer kann dir das Wasser reichen? Wer reicht dir Wasser? Wie oft hat dich in der vergangenen Woche der Gedanke, hinterher aufräumen zu müssen, an einem Vorhaben gehindert?

Wer bügelt deine Versäumnisse aus? Vermutest du oft, dass andere etwas besser hinbekommen als du? Riechst du heimlich an deinen Achselhöhlen?
Schöne Bescherung: Klingt das in deinen Ohren eher nach Weihnachten oder danach, dass du etwas ausgefressen hast? Wie belohnst du deine Verbündeten? Kannst du dich einem Menschen hingeben, für den du nicht die erste Wahl bist?
Könntest du eine Stalkerin lieben? Glaubst du, dass Wichsen zur Psychohygiene gehört? Wie viele Menschen leben in deiner Wohlfühlzone? Stehen dir Parallelwelten zur Verfügung?
Hast du eine Exit-Strategie? Was löst das Wort „Beschwörung“ in dir aus?

Bist du troy? Pickst du Rosinen? Welches Verkehrszeichen würdest du gerne in der Straße aufstellen, in der du lebst? Hast du ein unsichtbares Muttermal und welche Form hat es? Welche Auswirkungen hat deine Genügsamkeit? Welche Auswirkungen hat dein Größenwahn?
Wie raffiniert ist das Vokabular, mit dem du deine Ängste verschleierst? Zuckst du zusammen, wenn eine Frau „ficken“ sagt? Magst du Hefe?
Sollten dir mehr Menschen huldigen? Was inspiriert dich zu aufregenderen Ideen: Information oder Desinformation? Wärst du glücklicher, wenn du tatsächlich der Mensch wärst, den die anderen in dir sehen? Wie fändest du es, wenn ein Abguss deines Körpers als Modell für eine Schaufensterpuppe verwendet würde? Genießt du es, wenn dich andere kopieren?
Bist du endgültig?