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Soldier of Love

you got this strange defect on me
and I like it
you make my world seem wrong
you make my darkness shine, oh yes
I got this strange effect on me
and I like it

Song 1
Song 2

Philip Roth, Exit Ghost:
„Mein erster (…) Eindruck war der von einem Mann, der das Opfer einer generellen Verwirrung war – mit achtundzwanzig bereits gedemütigt durch die mangelnde Bereitschaft der Welt, sich seiner Kraft und Schönheit und den dringenden persönlichen Bedürfnissen, denen sie dienten, bereitwillig zu unterwerfen. Das war es, was aus seinem Gesicht sprach: die wütende Erkenntnis eines unerwarteten, gänzlich lächerlichen Widerstands.“ (S. 110)

Wir ließen das Forsthaus zurück. Zwei Bilderbuchfamilien ersetzten uns. Eine Zwölfjährige hatte noch von ihrer ersten E.-A.-Poe-Lektüreerfahrung erzählt. Es ging um Kannibalismus, glaube ich. Während dieser paar Tage hatte ich ständig Verdauungsprobleme. Zwei warme Mahlzeiten pro Tag und der übliche Feierabendunsinn. Ich habe auch mal wieder ein Kilo zugenommen. Ich habe seit Tagen in keinen Spiegel gesehen.

„Mir hast du krank besser gefallen.“
„Was soll das heißen?“
„Du hast nicht alle mit deiner Sichtbarkeit verschreckt.“

Mir gelang ein Foto. Kirsten Dunst setzte sich auf mein Gesicht. Wie eine Wespe. „Zu nackt fürs Vaterland.“ Später richtete sich ein ganzer See nach ihr (sie war als Einzige im Wasser). Man liest ihren Namen auf Barkassen, auf Gedenktafeln. Diskretionen vs. Quäkquellen. Als wir flach im Kornfeld lagen, ordentlich bekifft, und Änderung so möglich schien, ein Indieluftsprengen der dörflichen Welt. Daran erinnerte ich mich. An Narrenkappenträger in den Nachtbars in der Sommerzeit. Damals, bevor uns die Maschinen kriegten.

„Ich will eine SMS von dir.“
„Warum? Magst du keine Telefonate?“
„Ich kann deine Stimme nicht hören.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Das musst du auch nicht. Sagen wir so: Die Maschinen stehen woanders.“

Über der Kleinstadt ging ein Gewitter herunter, während wir unter dem Dach der kleinen Bushalte saßen und auf den Rufbus warteten, der dann ein Taxi war und uns für zwei Euro zum Bahnhof brachte. Dem Fahrer fehlten Kleingeld und ein guter Blick für die eigene Körperpflegebedürftigkeit. Wir sahen dem wackelnden Wald zu und schwiegen die Fahrt über. Wir fuhren zurück, endlich. Hinter Angermünde öffnete sich der Himmel. Wir fuhren zurück, in eine Stadt voller Taxis.

Die Welt ist groß, aber kleinteilig.

Es fehlt eine Geschichte. Die von der Amnesie nach der durchrauschten Nacht. Eine weitere Nacht mit vielen Intoxikationen, eine Nacht in einer Bar ohne Filter, mit Sternschnuppen, mit gedämpften Frühlingsgefühlen. Jedenfalls, zu merken war nicht viel, viele Gläser, viel Gespräche, ein Zucken in den Augenlidern, ein Blick wie aus einem Wäschekorb, und irgendwann stand ein Taxi an der Straße. Die Lichter der Großstadt, die über die Heckscheibe wandern. Ein französischer Film. Eine bewusstlose Nacht. Am nächsten Morgen klingelt das Telefon. Ein Körper, der die Decke zur Seite schlägt und Schritte macht. Eine Tür wird geöffnet. Ein Gespräch angenommen. Der ideologische Staatsapparat ist dran. Zu hören sind nach ein paar Floskeln und Formeln weiter nichts als ein Rums und das Geräusch des Auflegens. Und dann fiel die gesamte Gedächtnisleistung aus. C’est pas vrais, doch, genau so.

Das Blut anderer Leute

Obwohl mir der Anblick von Blut zusetzte, arbeitete ich als Springer im OP. Es war der einzige Job im Marienkrankenhaus, wo man als Zivildienstleistender das Wochenende regelmäßig frei hatte. Ausserdem gab es hundertfünfzig Mark Zulage im Monat, weil dort kein Zivi eingesetzt werden wollte. Als ich mich probeweise für den Dienst im OP entschied, war die Stelle über ein Jahr nicht besetzt gewesen. Der letzte Zivi, der es versucht hatte, war nach einer halben Stunde Hals über Kopf geflohen, mit stumpfem Blick.

Dementsprechend skeptisch wurde ich von Stationsschwester Hildegard empfangen. Eine hochgewachsene nette Person, die unterm OP-Kittel Strickjacke trug und sachte nach Muskatnuss duftete, eine Prise, eine Messerspitze nur, die einem aber unmittelbar ins Rückenmark fuhr, sobald man sich in ihrer Nähe aufhielt.

“Ich hoffe, Sie können Blut sehen..?” fragte sie.

Ich war mir da nicht sicher. Normalerweise brachte mich schon ein Piekser in die Fingerkuppe (zur Bestimmung des Blutzuckergehalts) an den Rand des Nervenzusammenbruchs, aber ich hielt den ersten Tag durch. Die erste Woche. Einen Monat, zwei. Ich blieb bei der Stange, weil ich scharf aufs freie Wochenende war, das war das Riesenextra, das vor meiner Nase zappelte, das wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Also gewöhnte ich mich an den ganzen sterilen Kram und daran, den Herren Chirurgen während einer Operation noch die winzigste Schweißperle von der Stirn zu wischen, damit ihnen auch ja nichts ins Auge tropfte, was womöglich die ganze Hüft-OP versaut hätte.

Nach einem halben Jahr geregelter Fünf-Tage-Woche im OP hatte ich mich endlich an den Gestank aufgefräster Knochen und all den spritzenden Blutbrei gewöhnt. Blut ist ja kein Saft, das ist eine Mär. Blut ist ein sämiger, von weißlichen Fasern, Knötchen und Gewebefetzen durchtränkter zähflüssiger Brei, der jedes verdammte Abflussrohr verstopft. Blut stinkt metallisch und süßlich und unheilvoll mittelalterlich.

Wer täglich Umgang mit Blut pflegt, achtet die Schürze.

Diie Hände des Metzgers, Foto aus dem Versteck, 4

Manchmal, wenn es dicke kam, etwa bei Amputationen, wo das Blut nur so sprudelte und es im ganzen OP-Trakt so organisch roch wie im russischen Hundezwinger, suchte ich förmlich die Nähe von Stationsschwester Hildegard, nur um etwas von dieser herrlich leichten Muskatnote abzubekommen und dem ganzen runterziehenden OP-Gestank die Stirn zu bieten.

Eines war merkwürdig, und es blieb merkwürdig bis zum letzten Tag. Sobald ich Feierabend hatte und beim Fernsehen zufällig auf eine unblutige kleine Knie-Punktion im Gesundheitsmagazin Praxis (ZDF) stiess, schaute ich angeekelt weg. Schaltete um. Ich ertrug es nicht. Mir wurde flau im Magen. Es war widersinnig und nicht zu erklären.

Da hatte ich im OP Tag für Tag von Rippenspreizern brutal geöffnete Leiber so nah vor Augen, dass ich hineingreifen konnte in den blubbernden Organpark wie in eine Selbstbedienungstruhe, doch beim Anblick kleinerer Eingriffe im Fernsehen schiffte ich mir in die Hose und stand kurz vorm Kotzen.

Merkwürdige Sache. Keiner konnte es mir erklären. Aber ich erzählte es auch niemandem.

foto.ausdemversteck5

Meine Hauptaufgabe als Springer bestand darin, von Saal zu Saal zu springen und das Licht über den Tischen einzustellen. Das hört sich einfacher an, als es ist.

Da nicht selten in allen drei Sälen gleichzeitig operiert wurde, war ich auch für alle drei großen OP-Leuchten gleichzeitig zuständig. Bei schwierigen Eingriffen musste das Licht ständig neu in Position gebracht, das Lichtfeld immer wieder nachjustiert und fokussiert werden.

Besonders zu Beginn meiner Zeit als Springer schaffte ich es oft nicht, die um die Lampe herumlaufende Reling so zu handhaben, dass das Licht auf den Punkt gebündelt am Tisch ankam, da, wo es hingehörte, mitten in die kaputte Hüftpfanne eines Patienten etwa, die von einem Implantat ersetzt werden musste. Das war zwar Routine für jedes orthopädisch geschulte OP-Team, dennoch blieb es Milimeterarbeit.

Mehr als ein Mal wetzte der Chef-Metzger ungeduldig das Besteck und konnte nicht fortfahren mit seiner hochbezahlten Arbeit, solange ich den Krisenherd nicht punktgenau ausleuchtete. Die versammelten OP-Schwestern beobachteten mich missmutig, während ich mit dem Halogenscheinwerfer im Clinch war und mich so ungeschickt anstellte, als würde ich beim Darts-Spielen ein ums andere Mal die anderthalb Meter entfernte Scheibe verfehlen.

“Herrgott – wird das heute noch mal was!?” ölte der Chef genervt in seinen Mundschutz.

Wenn die Atmosphäre sich entspannte, widmete ich mich den Augenpartien der Kollegen. Von Kopfhaube und Mundschutz größtenteils verdeckt, war von den Gesichtern kaum mehr zu erkennen. Die Beschränkung auf den Sehschlitz, auf den schmalen Ausschnitt machte noch den müdesten Blick spannend, und mehr als einmal verknallte ich mich während einer ereignislosen Meniskus-OP kurzfristig in den Augenaufschlag einer OP-Schwester, die gedankenverloren nach dem Knochenzement griff, obwohl der Chef ihn noch gar nicht angefordert hatte.

Und mir rummste es im Bauch.

 

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Igor war ein Anästhesist aus Bulgarien und groß wie ein Bär, er hatte Pranken, mit denen er jeden Tunnelbau allein hätte vorantreiben können. Er war eine Ein-Mann-Vortriebsmaschine. Als Anästhesist war sein Platz am Kopf des Patienten. Wenn es bei einer Operation hoch herging und das Blut gleich literweise abgesaugt wurde und in die Glasbehälter rauschte, machte er mir und den Schwestern oft Kniepäugelchen, einfach, um dem Moment die skandalöse Schwere zu nehmen, die Nähe zu Tod und Verderben.

Igor war okay.

Manchmal summte er “Es gibt kein Bier auf Hawaii” und sah unendlich traurig aus.

foto.ausdemversteck6

Die Krönung der zwölf Monate im OP war natürlich mein letzter Tag als Kriegsdienstverweigerer. Nach einer aufwändigen Bein-Amputation, es war mir freigestellt worden zu assistieren, überreichte mir Schwester Hildegard das gerade abgetrennte, noch warme Raucherbein einer alten Frau, um es ins Krematorium zu bringen. Es war eingewickelt in pastellgrünes Krepp-Papier. Einen Moment war mir, als hätte ich zur Feier des Tages Lorbeer an Schwester Hildegard gerochen, und Rheumasalbe. Aber nur ein ganz klein bisschen, und auch nur einen kleinen Moment.

Ich trug das Bein vorsichtig über die Flure des Krankenhauses, als dürfe bloß nichts drankommen, und verschwand durch den Hinterausgang. Die Sonne schien auf den leeren Hof, mein Schritt hallte übers Kopfsteinpflaster. Ein Bild, das mich bis heute verfolgt, das mich nicht mehr loslässt.

Im Traum seh ich mich mit einem Bein, das niemanden mehr gehört, durch die Wüste irren. Niemand will es haben, ich weiss nicht wohin mit dem Bein, die Karawane ist längst weiter. Ich bin ein Menschenbeinhändler mit einem noch warmen Menschenbein in der Hand, das keiner haben mag. Ja ja, anderer Leuts Genitalbereich tät uns schon interessieren, sagen die Nomaden, aber wen interessiert anderer Leuts linkes Bein.

Wer mit einem Bein unterwegs ist, das niemandem mehr gehört, sieht die Welt anders. Es ist, als wäre Gott ein Witzemacher, und er hat daneben gehauen, niemand lacht.

Das Bein zitterte in meinen Händen.

DZL-03 DER ZARTE LEIB

Zartleibigkeit wird vermißt,
auch intensive Zartlebigkeit.
Zärtlich gestrichene Haut,
die im Außenleben auflebt,
das sich zunehmend rotfleckig äußert,
als von selbst aufgebrochene Wundmale,

plötzliche Faltenvermehrung.
Schon wieder ein schärferer Blick auf Mädchen,
wie sie vor den Spiegeln hin- und hertanzen,
während sonst Spiegel tabu sind.
Dieses Leben im Ungefähren.

Das Wesen vernebelt sich von selbst.
Dieser erstaunliche Schwund an Wörtern:
als wäre man befreit,
wenn man Wörter verliert.
Diese Scheu, vom Wortverlust zu reden,

als wäre das Reden schon Verlust.
Als wäre Merktechnik eine Schande.
Als wäre die Überwältigung mit Namen
auch eine Namensverwaltungspflicht.
Man könnte jetzt sogar so weit kommen,

den eigenen Namen zu ändern,
um dem Namensauftrag der Eltern
endlich zu entgehn.
Der zarte Leib taucht nicht auf.
Die Lieben erscheinen nicht,
auch wenn sie schriftlich so tun,
als wäre ihr Witz schon Anwesenheit

(2013)

(veröffentlicht in: KOLIK Nr. 62)

der gürtel & die über

der gürtel …

der gürtel
des orion
schweigt
in den blick

durstig hängt
das schwert
als ein blatt

ins gemächt
hinein

und zerreißet
was zungen

 

die über …

die über
den daumen gepeilt
die verkindlichung
im an sie denken
die’s schon schaukelt
und warten
daß den lippen
die haut nachwächst
die die zähne
ihnen abgebissen
die ihm geblieben

 

Zeiten, als nämlich das Schreiben noch geholfen hat

Man wird mir, Entschuldigung, also bitte!, schon nachsehen müssen, einigermaßen verwirrt zu sein. Ist ja auch alles so undurchsichtig heutzutage, das Leben selbst als das eigene mit Leib und Seele, das Leben der anderen, die Literatur als Gänze, die Weltwirtschaft als solche, das deutsche Steuersystem im besonderen, die Funktion des sogenannten Internet ganz global, die Stoffwechselvorgänge im Säugetier stofflich betrachtet, die Überwachung aller Menschen durch alle Geheimdienste, dazu all diese Kriege jedweder Art mit all diesen Greueln, naja, und so weiter. Alles unklar, undurchsichtig, wenn überhaupt nur dem Fachmenschen einzeln und im Einzelnen (Einzellnen!) einigermaßen verständlich. Das Eindeutigste, was also oftmals überhaupt präsentiert werden kann, ist eine schematische Vereinfachung – da also wird, sagt eine Grafik, nur so als Beispiel, die Ware hergestellt und verpackt, dann wird sie transportiert, sehen Sie, da fährt ein LKW über die Autobahn, und da wird die Ware vom Menschen gekauft, sofort gefressen, dann verdaut und so weiter, und das geht auch mit Krieg und Literatur und Wirtschaft und Internet, wir sehen Symbole, Pfeile, Zahlen … fatal ist nur, daß mit dieser Art der auf einfachste Einfachheit heruntergebrochenen Information nichts weiter verbreitet wird als Scheinwissen, selbst wenn dazu ein pfiffiger Journalist noch einen Text schreibt und damit, wenn er Glück hat, sein Geld verdient, das dann als bunte Scheinchen oder als Plastikkarte in Erscheinung tritt und gegen Waren und Dienstleistungen aller Art getauscht werden kann, was dann aber eben auch nicht die ganze Wahrheit ist sondern auch nur so ein winziges, bewegliches Pünktchen im Gespinst des Allseins. Ich persönlich denke ja, nicht das Schlechteste ist immer noch, sich die Welt als einen ins Licht gehaltenen fadenscheinigen Hosenboden einer Anzugshose vorzustellen und darüber dann sich nicht nur der schlechten Qualität wegen maßlos aufzuregen, denn eben da soll ja nicht durchgeblickt werden können, sondern darüber auch noch tatsächlich verrückt zu werden, auch wenn man, statt buchstäblich ins Irrenhaus zu kommen, eben auch einen Text schreiben könnte, in dem eben dies erzählt wird, wie das Thomas Bernhard schon Anfang der 1970er Jahre tat mit seiner Erzählung Gehen, doch waren das, scheint mir, andere Zeiten, solche nämlich, in denen das Schreiben noch geholfen hat.

»re-writing the image« textkunst ausstellung in australien

»re-writing the image« ausstellung in der town hall gallery
 
ich nehme zur zeit an einer wunderschönen textkunst ausstellung in der nähe von melbourne teil.

town hall gallery
hawthorn arts centre
360 burwood road hawthorn, vic 3122
australien

start: dienstag, 17. juni 2014
ende: sonntag, 10. august 2014

teilnehmende künstler:

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novela corta #48

vier meer aquarelle

eigentlich wollte der kobboi heute auch mal ein selfie machen, aber er schaffte es nicht. ob es an der rauen see lag oder ob ihm die koordination fehlte, konnten wir nicht feststellen.
fest steht, dass katharina vasces gerne ein portrait von ihm hätte. was er wiederum nicht verstehen kann, denn lebendige gesichter brennen sich regelrecht in seinen kopf. so hat er frau vasces natürlich immer bei sich.
nun geht er zum leuchtturm, um sich real bei katharina vasces zu zeigen. irgendwann bleibt sein gesicht in ihren gedanken hängen – jedenfalls hat sie ihn bisher immer wiedererkannt.