Archiv der Kategorie: Ausgabe 03/2019

Aus dem Personalbüro eines Poeten

Das Nomen
Sitzt hinter seinem Schreibtisch, steht an seiner Werkbank über die Jahre. Setzt gerne Fett an, wartet gutmütig und träge bis zu seiner Pensionierung oder vorzeitigen Entlassung. Adjektive zaubern ihm Farbe ins Gesicht, Verben bringen es ein paar Sätze lang auf Trab.

Das Adjektiv
Ist oft zu konventionell oder viel zu schrill. Hat die Angewohnheit, sich sofort dem stärksten Nomen um den Hals zu werfen, ganz besonders dann, wenn es paarweise oder in Gruppen auftritt. Trotzdem absolut unentbehrlich. Ein, zwei originelle Adjektive, und alle anderen Wörter lockern die Krawatten, lächeln und gehen gerne wieder ihrer Arbeit nach.

Das Verb
Kann keinen Moment lang stillsitzen. Hält die Hauptwörter in ständiger Bewegung, vertreibt die Adjektive vom Kaffeeautomaten. Sorgt unnachgiebig dafür, dass eine angefangene Sache bis zum Punkt kommt.

Das Adverb
Unscheinbar und bedürfnislos. Assistiert dem Verb bis zur Selbstverleugnung. Tritt kaum jemals in Konkurrenz zu seiner lauteren Kollegin, dem Adjektiv.

Die Konjunktion
Zeigt keinerlei Eigeninitiative. Wird nur dann lebendig, wenn es etwas zu verkuppeln gibt.

Die Präpositionen
Ungeliebte Laufburschen, die oft an der falschen Stelle stehen. Werden meist sträflich vernachlässigt. Erhalten sie nur ein wenig Aufmerksamkeit, tun sie klaglos ihren Dienst.

Die Interjektion
Riecht nach Heu und nach Mist. Abstrakte Begriffe rümpfen in ihrer Gegenwart die Nase; alle anderen Wörter erinnern sich wieder daran, woher sie kommen.

14. September 2019 11:36

Die orphischen Dörfer

DAS NÄCHSTE DORF: hier hängt man die Heiligen, solange sie noch am Leben sind. Man bringt ihnen das Ertrinken bei, bevor es das Meer tut. Hier heißt es Chili con Carne statt Silikon Valley, Bamberg statt Bombay, Bayreuth, ein Beirut für Feiglinge. Man spricht ein schwebendes Schwäbisch, reist von Krankfurt nach Siechburg, von dort geht es dann nach Fluchhafen usw.

30. August 2019 14:23

 

Zehn Jahre „Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen!“ Hip hip hooray!

Dieses hier ist der 750ste Beitrag in den Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! In zehn Jahren. Macht im Durchschnitt 75 Beiträge im Jahr. 6,25 im Monat. 1,5 in der Woche. 0,2 am Tag. 0,008 in der Stunde. 0,00014 in der Minute. 0,00000237 in der Sekunde. So die Zahlen. Ein durch die Umstände erzwungener Blick in all das Geschriebene aus den besagten zehn Jahren, strikt nach dem Zufallsprinzip, offenbart mir aber Wesentlicheres, nämlich die Erkenntnis, es keinesfalls mit mir bekannten Texten zu tun zu haben, sondern zumeist mit solchen, an die ich mich allenfalls vage erinnern kann, wenn überhaupt. Die muss wohl ein früheres Ich von mir geschrieben haben. Sehe ich mir allerdings Beiträge an, die kommentiert worden sind, so stelle ich fest, dass ich mich an diese nämlich ein klein wenig besser erinnere, woraus zu schließen wäre, alles Nichtkommentierte auch einfach löschen zu können, liest ja eh keiner mehr, nicht mal der Nachkomme seiner selbst, also ich als das jeweilige Jetzt-Ich. Ein paar Beispiele für vollkommen Vergessenes? NEIN! Gucken Sie doch einfach selbst in die Archive der NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN. Sie werden Ihren Spaß haben, sich ärgern, etwas lernen können oder auch, Lesen ist nie ungefährlich, etwas vergessen von dem, was Sie selbst vor der Lektüre noch wussten. In solch einem Fall des Vergessens hilft dann nur noch lautes Rückwärtslesen, das ist und bleibt die beste Methode, analog zu derjenigen, stets an den Ort zurückzustiefeln, an dem man noch wusste, was man andernorts zu tun haben würde. Am besten ist es natürlich, Sie legen sich selbst ein Archiv zu, so wie ich das getan habe seit dem 1. September 2009, und wären somit in der Lage, in sich selbst als einem früheren Ich herumzustöbern, auf dass nichts, so denn gewollt, dem Vergessen anheim falle. Allerdings, das sei zugegeben, tue ich selbst das wirklich so gut wie nie – denn ist Schreiben nicht zuvörderst aktives Vergessen, so frage ich, ein Ablegen von Gedankengut, eine immer mal wieder notwendige Häutung?! Es sieht mir ganz so aus!

Kein Schwein. Norbert W. Schlinkert 2019.

 

regen

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bama­ko : 18.55 UTC Mor­gen oder über­mor­gen wer­de ich eine Geschich­te erzäh­len, die mit Jack Kerou­ac in einer gewis­sen losen Ver­bin­dung ste­hen wird. Als ich die Geschich­te zu notie­ren begann, erin­ner­te ich mich an einen Text, den ich vor 11 Jah­ren an die­ser Stel­le bereits gesen­det hat­te. Es war gleich­wohl im Sep­tem­ber gewe­sen, es reg­ne­te damals und ich spa­zier­te unter einem Regen­schirm. Zunächst reg­ne­te es Regen­sand, dann Regen­reis, dann reg­ne­te es klei­ne Frö­sche. Für einen kur­zen Moment dach­te ich, in einem Film ange­kom­men zu sein, der von Loui­sia­na han­del­te. Das war ein fei­nes Gefühl gewe­sen unterm klin­gen­den Schirm am Ufer des Mis­sis­sip­pi zu stehn und den Frö­schen zu lau­schen, die auf ihrer letz­ten Rei­se vom Him­mel erstaun­li­che, pfei­fen­de Geräu­sche von sich gaben. Als ich so im Frosch­re­gen am gro­ßen Fluss stand, erin­ner­te ich mich wie­der­um an einen klei­nen Text, den ich ein Jahr zuvor bereits geschrie­ben hat­te. Und sofort wuss­te ich, dass ich die­sen Text, sobald ich wie­der zu Hau­se ange­kom­men sein wür­de, noch ein­mal lesen soll­te. Es ist noch immer, auch heu­te, 12 Jah­re spä­ter, ein beru­hi­gen­der Text, ein Text, der mich berührt. Des­halb will ich die­sen klei­nen Text, eine Anlei­tung zum Glück­lich­sein, noch ein­mal, zum drit­ten Mal, für Sie wie­der­ho­len: Man ver­las­se das Haus. Sorg­fäl­tig alle Bewe­gun­gen des Ver­kehrs beach­tend, gehe man solan­ge durch die Stadt bis man auf eine Buch­hand­lung trifft. Dort kau­fe man  Cor­ta­zarJulio – Geschich­ten der Cron­opi­en und Famen. Dann gehe man spa­zie­ren, tra­ge den schma­len Band durch die Stra­ßen, bis man einen Park erreicht, wenn Som­mer, oder ein Cafe, wenn Win­ter ist. Man neh­me Platz und lese. Über den Umgang mit Amei­sen bei­spiels­wei­se oder wie wun­der­bar ange­nehm es ist, ein Spin­nen­bein pos­ta­lisch an einen Außen­mi­nis­ter auf­zu­ge­ben. Oder man las­se sich im Uhren­auf­zie­hen oder im Trep­pen­stei­gen unter­wei­sen. Jetzt bereits wird man eine leich­te Wär­me spü­ren, die aus der Gegend des Bau­ches nach oben und unten in Arme und Bei­ne aus­wan­dert. Also lese man wei­ter, lau­sche jenen ange­neh­men Geräu­schen im Kopf, die­sem sagen wir: Jeder­mann wird schon ein­mal beob­ach­tet haben, dass sich der Boden häu­fig fal­tet, der­ge­stalt, dass ein Teil im rech­ten Win­kel zur Boden­ebe­ne ansteigt und der dar­auf fol­gen­de Teil sich par­al­lel zu die­ser Ebe­ne befin­det, um einer neu­en Senk­rech­te Platz zu machen. Oder jenem: Trep­pen steigt man von vorn, da sie sich von hin­ten oder von der Sei­te her als außer­or­dent­lich unbe­quem erwei­sen. It works. — stopping