Der Einfluss der Leerstelle

Die erste, die ich küsste, die mich küsste, war dann aber C. Sie war auch die erste, mit der ich ging– zwei Wochen lang oder auch drei. Sie war jünger als ich, die Tochter von Freunden meiner Eltern, wir verbrachten oft die Ferien miteinander (ich erinnere mich an den Mückenstich, den sie Jahre zuvor erleiden musste: auf dem linken Augenlid), und einmal, als sie von den Duschen kam, öffnete sie ihren Bademantel für mich, damit ich sie nackt sehen konnte. Dabei gab es noch gar nichts zu sehen. Als sie eines Tages ins Allgemeine sagte, Wir lieben uns doch, war eine Grenze überschritten. Denn ich wusste, dass das nicht stimmte. Ich begehrte ihr Begehren, ich mochte es, begehrt zu werden, aber Liebe – nein, das war es nicht. Ich war nicht verliebt in sie, nicht so, wie ich es in K. und P. gewesen war. (Wenn man so will, bildete C. den Anfang einer anderen Reihe – die, in der Liebe und Sex streng voneinander getrennt waren.) Kurz darauf machte ich Schluss, ohne es explizit zu sagen.

Was dann passierte, sollte Auswirkungen haben. Ich löste mich von dem Kuss, weil ich den Windhauch eines über meinen Kopf hinweg segelnden Glases spürte. Es zerschellte an der Wand rechts von uns, erschreckt sahen wir uns um, erkannten aber zunächst nicht die Quelle dieses plötzlich ausbrechenden Tumults. Über einen Trumeau über der Bar konnte ich dann sehen, wie ein Lude mit einer Karomütze zum Schlag ausholte. Weit geöffnete Münder ringsum. Von irgendwo ertönte ein dumpfer Knall, wie ein Schuss aus einem Schalldämpfer, aber vielleicht war das auch nur ein Geräusch, das in der Luft lag. Ondine fiel mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Tisch. Das Blut, ich hatte es kommen sehen, strömte ihr aus den Mundwinkeln auf die Tischplatte und tropfte dann wie in Zeitlupe auf den Boden. Das alles geschah innerhalb weniger Sekunden, während ich noch den Geschmack von Valeries Lippen auf den meinen spürte, Jason machte wild gestikulierend Zeichen, eine Frau schrie, wieder fielen gedämpfte Schüsse, vermutlich von den Toiletten aus. Rotierendes Licht, noch mehr Schreie, vielleicht war jemand getroffen worden. Jemand musste sich übergeben, mitten auf die Tanzfläche, zu viel Schnaps, zu viel Blut, zu viele Tränen. Die Hektik nahm zu, ein unübersichtliches Gerangel entstand, jemand machte Fotos, jemand rief die Bullen, Streulicht aus Mobiltelefonen, Edith, Jason und der Barista versuchten verzweifelt, die Lage zu beruhigen.

Bedarfsorientierte Sexualität
Der Einfluss der Leerstelle
Informationskontrolle, Homilie

Vor uns Autos, die aussehen wie Turnschuhe. Das Italienisch, das wir an der Autobahnraststätte hören, regt zu Dauergesang an: Lasciate mi … Chi non lavora … Felicità …

Im Schatten des großen Leuchtschilds: AGIP. Im Hintergrund, nur noch knapp zu sehen, die letzten Berge. „Dass es die Alpen gibt, ist ein Problem“, aber nicht, wenn man lediglich durchzufahren braucht. Als Kulisse machen sich die Alpen gut.

Lift noch als Limonade, Feuchttücher von 4711, mit Handtüchern und T-Shirts verhängte Seitenfenster, Fleisch in Alufolie. Meine Kindheit war eine glückliche, jedenfalls in diesen Phasen.