zylinder

9

india : 12.01 UTC – Vor einigen Wochen besuchte ich B., der noch immer in einer sehr kleinen Wohnung über einem Jazz­café wohnt, weswegen sein hölzerner Fuss­boden manchmal bebt, so dass auch seine Gäste beben und der Kaffee in den Tassen, und im Sommer fliegen die kleinen Sommer­fliegen los, weil das Beben dermaßen schreck­lich für ihre Bein­chen ist, dass sie lieber stun­den­lang herum­fliegen als wären sie Vögel ohne Füße. B. wohnt also in dieser kleinen Wohnung und ist noch immer traurig. Ich kenne ihn seit 15 Jahren, niemals habe ich ihn glück­lich wahr­ge­nommen, nicht eine Sekunde lang, oder in einem Zustand, den man als weder glück­lich noch unglück­lich bezeichnen könnte. B. ist unglück­lich, weil er das so will, er hat sich in seiner Trau­rig­keit einge­richtet, wie in einem unsicht­baren Zelt, in dem er lebt, das er mit sich auf jede Reise nimmt, er reist ja nicht viel, aber er ist ein guter Gast­geber, sehr fein­fühlig, ein gedul­diger Zuhörer, der niemals lacht. Er schreibt im Übrigen an einem Buch, das rund ist, ich meine, er schreibt an einem Winter­buch von der Gestalt eines Zylin­ders. Man kann in dem Buch blät­tern, aber man weiss nicht, wo das Buch anfängt, weil in B.s Buch kein Anfang exis­tiert, man liest, und wenn man lange genug liest, wird man plötz­lich meinen, sich zu erin­nern, oder man hat eine Markie­rung in das Buch notiert, was eigent­lich nicht gestattet ist. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. – stop