Archiv der Kategorie: Ausgabe 01/2008

gerettet (u.a.)

gerettet (1)

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“Ich bin gerettet! denke ich in einer ersten, glückhaften Reaktion. Dann folgt aber gleich der nächste, ernüchterndere Gedanke: Ich bin in Rio! Ich werde an diesem Tisch sitzen bleiben, an diesem Tisch schlafen, an diesem Tisch mich sonnen, die Stühle an diesem Tisch bewachen. Rio als Traumhafen see- und liebeskranker Matrosen – das war einmal.”

bankett (2)

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Ich habe Angst, dass mir mein Tisch mit meinen Stühlen gestohlen wird, wenn ich ihn alleine lasse. Langsam füllt sich der Strand mit Menschen. Sie tragen Tische und Stühle auf dem Rücken, stellen sie in den Sand und setzen sich. Sie sitzen da, schauen aufs Meer hinaus, alles schaut sehr friedlich aus. Was wird das? frage ich mich. Ein riesiges Bankett unter freiem Himmel?

copacabana (3)

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Tausend Tische am Strand von Copacabana. Viertausend Menschen mit viertausend Picknickkörben, die sich setzen und miteinander teilen. “Doch was ist das, was sie da einander anbieten?” frage ich ein hübsches Fräulein, das soeben mit einem Korb an meinen Tisch getreten ist. “Oh”, lacht sie, “Sie wissen das nicht? Heute tischen wir einander Lügen auf!” Und schon greift sie in ihren Korb und beschenkt mich mit einem Märchen, das so ungeheuerlich ist, dass ich wollte, es wäre wahr.

Lyophylias Lust der Gefriertrocknung

Am anderen Brunnenende galt die Gefriertrocknung als die effizienteste und schonendste Trocknungsmethode für durchnässte Papiere und also Bücher. Und nur das beste Verfahren schien ihr gut genug, das Wasser aus ihren heiligen Schriften zu entfernen. Vorerst war an dieser Stelle an die Erzeugung eines Vakuums von ihr aus nicht zu denken. Wie also das Wasser in nie flüssiger Form zu halten, sodass alle schädigenden physikalischen, mechanischen oder biologischen Prozesse im Papier ausgeschaltet werden konnten? Sie kam an den Trippelpunkt ihrer Karriere und investierte in Anlagen. Schnell begannen sich die im Vakuum aus den Papieren entweichende Wasserdämpfe an den Eiskondensatoren bei bitterster Kälte zu sammeln. Vorsicht musste walten. Nach der Gefriertrocknung waren die Papiere extrem trocken und in diesem Zustand vorsichtig zu behandeln. Und nachzubehandeln. Zu glätten und zu pressen. Und zu beachten: Durch die Wasseraufnahme des Papiers und anschließende Feuchtigkeitsabgabe während des Trocknungsprozesses traten an den einzelnen Papierfasern ungleichmäßige Spannungen auf, die ein Wellen bzw. Verziehen zur Folge hatten. Wellen und Entwellen. Lyophylia hatte eine weitere Idee. Derart deformierte Papiere konnten wieder geglättet werden, indem man sie unmittelbar nach dem Trocknen durch Pressen in eine plane Form brachte. In diesem plattgepressten Zustand verblieben die Bücher so lange, bis das Papier wieder seinen normalen Wassergehalt aus der Luftfeuchtigkeit aufgenommen hatte. Natürlich gab es weitere Probleme. Kleinigkeiten. Gestrichenes neigte bei stärker Durchnässung beispielsweise zum Verkleben. Doch im grossen und ganzen war sie mit ihrer Arbeit zufrieden.

stern (wiederaufgetaucht)

h segelte ruhig durch die nacht. er maß den himmel aus: zenitweit. der himmel aber war, was er immer gewesen ist, nämlich: nichts als ein zufluchtsort in den köpfen der menschen. und also segelte h ruhig durch die nacht, und er maß einen der wenigen menschlichen zufluchtsorte aus, und dieses segeln und auch das ausmessen, das eigentlich ein palpieren und umrunden und eintauchen war, all das war ein klingendes vergnügen, das er gern mit jemandem geteilt hätte. und also öffnete er die augen und blickte sich um. erst kam der pistazienvogel. er schwirrte aber nur schnalzend vorbei. dann kam ein engel. doch der schwieg, und so hielt h, als ich kam, die augen schon wieder geschlossen. mir gefiel dieser blick: nach innen gerichtet, und so habe ich ihn dann auch geküßt: von innen. da wurde ein stern geboren.

aber ich bin’s nicht, bin’s nie gewesen

kannst du einen hut schneidern? einen mit sonnenlöchern drin für die langen tage,
die bis in die nacht reichen, und für die langen nächte bis in den tag?

unter deinem spiegelglas ist ein finger gebrochen, treibt er umher, treibst du? – obskur, sagt er,
sag’ ich: fisch ihn raus, näh ihn an, richt ihn ein, hol die angel, scheißkerl du.

nein, gibt es nicht, so sitzend im kahn, dem romantischen, brauchst du ihn nicht, sagt er,
denn der mond brennt eh keine löcher in den kopf. nur ins gemüt, sag’ ich. er lacht. du lachst.

näh’ mir einen kopffetzen für die langen wassernächte, sag’ ich zu ihm und du:
hier ist ein knöchelchen, ich hab’s geborgen letzte nacht, als mir so romantisch war

innendrin.

fast zum sterben war mir vor lauter mond. aber leider hab‘ ich dir alle finger gebrochen
und dem wasser unter die haut geschoben. für später, wenn du weg sein wirst und er wird.

du spinnst, sagst du. ich spinne, sag’ ich. ich weiß, sag’ ich.
mit dem knöchelchen näh‘ ich mir ein segeltuch gegen den mond. du fädelst mich ein.

in der letzten nacht hat’s mir das herz versengt, sag’ ich, jetzt schlägt es.
er fährt mir unter die haut. klar doch: deine finger, immer deine finger.

wenn der wind in mein mondsegel weht, wehe ich mit. das sag’ ich zu dir: gib acht!
unpassend, sagst du, weil dich das knacken stört. aber ich bin’s nicht, bin’s nie gewesen.