Da grinst der nur

 

BFBS? Gibt’s den noch? Den British Forces Broadcasting Service, die Radiostation für die im Rheinland stationierten britischen Streitkräfte? Ergebnis der Recherche: nein. Auf UKW jedenfalls nicht mehr, da ist der Sender seit April 2020 abgeschaltet, da die Zahl britischer Soldaten in NRW auf 200 geschrumpft ist. Da macht ein eigener Großsender keinen Sinn mehr.

Bis in die 80erjahre war BFBS eine feste Größe in meinem Radio-Universum. Die englische Top 40 hörte ich regelmäßig, und mit Soul Train und Soul Station waren zwei spezielle Soulsendungen im Programm, die mehr als nur den üblichen Dancefloor-Rotz spielten, (den allerdings auch). Und dann war da noch Rodigans Rockers, David Rodigans legendäre wöchentliche Reggae-Show auf BFBS. Eigentlich wurde ich erst von Rodigan an Reggae herangeführt, besonders an die Spielart Lovers Rock. Ich hasste Reggae bis dahin, so wie ich Hunde hasste bis zu dem Moment, wo die Gräfin mit einem moppeligen kleinen Mischlingswelpen um die Ecke kam. Besser, man lernt die Dinge kennen, bevor man sich darauf festlegt, sie zu lieben oder zu hassen.

In der Geschichte Tage, wo Blut kam gibt es diese Szene, wo ich kurz vor Weihnachten 1985 durch Düsseldorf-Oberbilk irre und einen bestimmten Puff suche. Während ich also durch die Straßen laufe, fällt mir auf, dass ich die Gegend kenne, dass ich hier tatsächlich schon mal gewesen bin, aber nicht im Puff, sondern mit dem dicken Hansen Haschisch kaufen. Wir saßen bei einem Dealer auf der Bude und rauchten 80erjahre-Bongs, dazu lief Rodigans Rockers – knochenlaut. Es fehlte nicht viel und ich wäre auf den Horror gekommen, weil ich die ganze vertrackte Situation kaum aushielt. Den viel zu starken Pot, meinen Schiss vor den Bullen, den nervigen Reggae-Rhythmus.

*

Der Dealer hauste in einer Sozialwohnung, und Parterre war ein Kiosk, das vergesse ich nie, die verkauften nämlich Frühkölsch in Düsseldorf, und das nicht gerade unter der Ladentheke. Gleich vor der Kasse präsentierte man das Flaschenbier, richtig frech. „Dafür hätte der Besitzer früher was auf die Nase gekriegt“, spöttelte ich, doch der dicke Hansen war mit den Gedanken woanders und blickte durch mich hindurch. So nach dem Motto, was interessiert mich dein blödes Bier, wenn wir gleich fett was zu Rauchen kriegen. Es gibt kein Alter, wo man schärfer aufs Kiffen ist als mit Anfang/Mitte zwanzig. Da kann man rauchen wie andere Leute Luft holen.

Nachdem endlich der Türöffner aktiviert wurde und wir eingelassen wurden, verrammelte ein langer hektischer Kerl die Etagentür gleich wieder, mit Kette und Sicherheitsschloss. Und das bei meiner ausgeprägten Bullenparanoia. Obwohl ich im Laufe meiner langen erfolgreichen Drogenlaufbahn nicht ein einziges Mal von einer Hausdurchsuchung überrumpelt worden bin, weder daheim noch bei Freunden oder Bekannten, machte mich allein schon die Vorstellung kribbelig, die Schmiere könnte jeden Moment auf der Matte stehen. Kribbelig bis wahnsinnig, je nach seelischem Zustand. Es kam auf die Gesamtsituation an. Wie getriggert war ich? Hatte es in der Wohnung schon mal eine Razzia gegeben? Brach vielleicht die Weihnachtszeit an, wo das Rauschgift-Dezernat traditionell besonders aktiv war? Waren viele Drogen im Haus? Seit ich 1979 für ein Fingerhütchen Haschisch zwei Wochenend- Arreste in der JVA absitzen musste, hatte ich mächtig Schiss vor dem Knast. Da wollte ich nie wieder hin. Das hatte gereicht für ein ganzes Leben.

Die Bude in Oberbilk war nicht mehr als ein langer düsterer Schlauch, der Teppichboden voller Brandlöcher. Elektrisches Licht kroch gelb und spärlich aus einer Deckenschale und verteilte sich notdürftig im Raum, mehr Lux gab die Wohnung nicht her, die Vorhänge waren zugezogen. Nachdem wir Platz genommen hatten, verschwand der lange Dealer kurz im Nebenzimmer und drehte die Musik auf. Aus mannshohen schwarzen Boxen wummerte Rodigans Rockers, die wöchentliche Reggae-Show auf BFBS. Das hatte noch gefehlt. Reggae…

„Der Arsch hat soviel Material im Haus, kannst du dir nicht vorstellen“, hatte der dicke Hansen auf der Hinfahrt noch getönt, doch nun hieß es plötzlich, Jungs, ihr müsst euch was gedulden, der Brösel muss noch gepresst werden. Dauert nochn klein‘ Moment.

„Aber keine Angst, geht schnell. Kriegen wir gleich geliefert.“

Der Dealer bot uns Rauchproben an. Kundenservice. Zur Auswahl standen Grüner Türke und Roter Libanese sowie holländisches Powergras. Ich wäre am liebsten auf der Stelle wieder abgehauen, doch das Geld, das auf dem Tisch lag, war Hansens Geld, außerdem waren wir mit seiner Karre da. Und er hatte die Ruhe weg. Er saß da und wippte mit dem Autoschlüssel zu Rodigans Rockers – ein Reggae nach dem anderen, eine endlose Parade von Reggaesongs, stets im gleichen verfluchten Rhythmus, four on da floor.

Jah Man.

No man. Ich zog einen Bong. Fast widerwillig. Aber ich wollte mir keine Blöße geben. Das Wasser blubberte in der Flasche, als der Dealer plötzlich aufstand und hin und her tigerte. Abrupt blieb er stehen und spähte aus dem Fenster, als erwartete er jeden Moment ein Sondereinsatzkommando, das gab mir den Rest. Der Bong ließ das Haschisch in mir explodieren, sprengte meine Nerven – ich bekam Panik. Der Typ hatte doch nicht umsonst so eine Action um seine scheiss Wohnungstür gemacht… und warum war der plötzlich so nervös. Es war, als zöge sich plötzlich ein Riss durch meine innere Landschaft. Dieses schiefe Angstgefühl, dass etwas gerissen war in mir, irreparabel, dass es auf ewig schief bleiben würde: die unkonkrete alte LSD-Angst, im falschen Moment am falschen Gleis den falschen Zug genommen zu haben.

Eigentlich dürftest du gar nichts mehr kiffen, hatte Lana mal gemeint. Wenn du noch Wert auf dich legst. Auf die Gesundheit deiner Seele.

(Wenn du dein Lebtag lang Angst hattest vor den verschiedensten Dingen, bleibt am Ende nur noch eins: die Angst vor dir selbst, und sie bricht dir das Genick.)

In diesem Augenblick schälte sich ein zweiter Typ aus der Dunkelheit, er musste die ganze Zeit in der Ecke gesessen haben, auf einem Sessel, ohne einen Ton zu sagen. Ein Gesicht war nicht auszumachen. Es waren nur blasse Umrisse, die sich kaum merklich bewegten. Und zwei gespenstische Katzenaugen. War das etwa eine Katze..? Scheisse, war ich breit. Ich signalisierte dem dicken Hansen, was los war, („ich dreh durch!“), doch es ließ ihn kalt. Er spielte mit dem Autoschlüssel in der Hand wie mit einer Gebetskette, völlig unbeeindruckt von der Situation, in der ich gerade abzusaufen drohte. Der Dealer stopfte schon den nächsten Bong, den er dauernd mein‘ Bubble Boy nannte, und stampfte mit den Füßen zum Reggae. Diese gottverflucht monotone Marschiermukke, diese Echoeffekte – ich erstarrte zunehmend in dem ganzen Lärm, musste mich irgendwie abkühlen, mich runterholen, komm endlich runter, Glumm, sag was, egal was.. irgendwas belangloses, befreie dich… Der Dealer schien zu merken, dass etwas nicht stimmte mit mir, er glotzte so komisch rüber, ein Moment der Konfusion in seinem Blick, doch er sagte nichts. „Kennst du auch Soul Train..?“ fragte ich endlich, er verstand nicht, ich wurde lauter, mit ausrutschender Stimme wiederholte ich „..Soul Train.. auf BFBS.. immer mittwochs…“, doch er starrte nur in seinen Bubble Boy und meinte desinteressiert, “Soul? Nee, find ich nicht gut. Ich kann nicht immer alles gut finden.”

Ich kann nicht immer alles gut finden. Welch ein Satz. Da lagen die 80erjahre vor mir, zum Bündel geschnürt: Ich kann nicht immer alles gut finden.

Ja klar! dachte ich, als ich durch Oberbilk lief, ich kann jetzt nicht gut finden, dass ich hier so blöd durchs Bahnhofsviertel stiefle und den Puff suche, aber ich stiefle nun mal blöd durchs Bahnhofsviertel, so ist das nun mal, also reiss dich zusammen und frag endlich irgendeinen Passanten nach dem Weg, frag ihn, wo der verdammte Bahndamm ist…

“Da vorn durch den Tunnel, die erste rechts und immer geradeaus.”

Hinterm Bahndamm. Ich erkannte es auf Anhieb wieder. Vorm Eingang zum Kontakthof drückte sich eine Gruppe türkischer Männer herum, lamentierend, Kerne spuckend. Ich trat in den Hof. Zwei Nutten lehnten an der Backsteinmauer.

“Kommste mit?”

Ich grinste.

“Da grinst der nur.”

aus: Tage, wo Blut kam