glücklicher brief an vladimir nabokov : propeller

india

~ : louis
to : Mr. vladimir nabokov
subject : PROPELLER

Lieber Mr. Nabokov, vor langer Zeit, Sie erin­nern sich viel­leicht, hatte ich Ihnen einen Brief notiert, welchen ich heute wieder­ent­deckte. Plötz­lich war ich mir nicht sicher, ob Sie den Brief tatsäch­lich erhalten haben, deshalb sende ich ihn unver­än­dert ein weiterer Mal: Gestern Abend, nach einem Spazier­gang und dem Besuch einer Bar, in der ein paar halb­wegs betrun­kene Freunde saßen, hab ich mich an ihre Vorle­sung über Franz Kafkas Verwand­lung erin­nert, an Ihre liebe­volle und akri­bisch genaue Unter­su­chung des Textes, an ihre Käfer­zeich­nungen von eigener Hand, mit welchen Sie versuchten eine Vorstel­lung zu gewinnen von Wesen und Gestalt jener Hülle, in die Gregor Samsa einge­schlossen worden war. Ja, die Genau­ig­keit, mit der man sich erfin­dend einem Gegen­stand nähert oder die Genau­ig­keit, mit der man einen erfun­denen Gegen­stand sezieren kann, immer wieder begegne ich während meiner Arbeit Ihren Unter­su­chungen, Ihrer Methode. Vorges­tern hatte ich bei einer ersten Annä­he­rung an eine Geschichte, die von lebenden Papieren erzählen wird, das Wort Propel­ler­flügel in den Mund genommen, ohne zu ahnen, dass Propeller in der Welt lebender Orga­nismen nur sehr schwer zu verwirk­li­chen sind, weil ein Propeller sich doch frei bewegen muss, drehend in einer Fassung, die ihn lose hält, sodass ein lebender Orga­nismus aus einem weiteren Körper bestehen müsste, der ganz zu ihm gehören würde und doch nicht ganz zu ihm gehören kann. Nun habe ich beschlossen, die Vorstel­lung der Propel­ler­flügel nicht so ohne weiteres aufzu­geben. Ich habe mir gedacht, dass ein Propeller, der aus orga­ni­schen Mate­rialen bestehen wird, viel­leicht auf atomarer Ebene einem flug­fä­higen Körper verbunden sein könnte, verbunden durch Mole­küle, die im Moment einer Flug­be­we­gung, den Rotor von Haut und Knochen einer­seits anzu­treiben in der Lage sind und ande­rer­seits je für einen kurzen Moment in die Frei­heit entlassen. Und jetzt bin ich glück­lich und hoffe, dass sie an meinem Entwurf Gefallen finden werden. – Mit aller­besten Grüßen Ihr Louis – stop