Archiv der Kategorie: Ausgabe 01/2009

Corpore sano (notula nova 29)

(Letzte Grundüberlegungen schon für eine gross angelegte Prosasammlung mit dem AT: “Theorie und Praxis“)

Dann: gibt es eine Reihe sog. Literarischer Weblogs, die von nichts anderem zeugen, als ihrer eigenen Bedeutung. Man erkennt sie daran, dass das dort aufscheinende Ich schon mit sich selbst identisch ist. (Überhaupt: trägt dieser Begriff noch etwas? Der der é-criture semipublique wäre der wohl treffendere und man blickt endlich wieder: weg von der Software. In Richtung Sprechakt.)

Und: dieser Mensch mit dem Suhrkampweblog. Wohl Mitte 50. Und scheint doch jede Nacht zu tanzen. Wie macht er das? Unsereins um die 40 und mit 2 kleinen Schreihälsen: Fast alles tut weh. Fast immer.

Der Sanaismus = Gesundheitsideologie, Gesundheitsreligion. Vgl.: Sanaismus, Sanaisten, sanaistisch, Sanaiter, sanaital, Sanas, Sanaism … (Unerwartet tritt auf: der Geruch meines Vaters.)

Rützikopf +
En. Koord. 648206
Acker bei Hof Grabe
1578 der ander acker ligt in der gaden statt Rütti, unnd ist genammpt der Rütti Kopff
(Akten 1012)

(Zur Erklärung: Hier in der Teufi / Davos: ein erheblicher Input)

Die Gulaschsuppe
Alkoholikerpisse
Eistraum Alaska

Und noch einmal Davos: Nach dem Vorurteil im Herbst, die harte Empirie im Winter: Unglaublich wie viele grausam verödete Menschen in Dorf und Seitentälern gastieren.

letzter hand

das kleine, beiläufige,
der augenblick – verschwundener,
noch ehe er geahnt.
das sanfte im röhren des straßenverkehrs
am vormittag, das erst
am abend durchsichtig wird, wenn ruhe
in der einkehrwoche ist. das
zarte hegen
und also leise treten,
den fuß im pantoffel vorsichtig setzen
selbst auf den schallisolierten
estrich der eigentümlichen einmauerung.
die regler runterdrehen,
den soundcheck für die stille
durch die verstärker schicken.
ein rauschen nur, raum
und aufräumen nachts.
die papiere in ihrem korb
unordnen.

    Mein ist die Rache.

    „Mein ist die Rache“, >>>> spricht der Herr. Da es aber keinen gibt und zugleich der Satz der Rache, indem Gott gerecht ist, eine moralische Seinsberechtigung zugespricht, geht der Racheauftrag an den von Gott verwaisten Gläubigen über. So w i r d Gott wieder, ja der Rächende Gott.

    „Wenn ich nun bald vor seinen Thron trete“, sagte der angeklagte Mörder vor Gericht, „so als Gleicher, dem er sich selbst zu verdanken hat – daß er wieder wurde. Trete ich nicht vor seinen Thron, weil es ihn, wie die Atheisten behaupten, tatsächlich nicht gibt, dann habe ich so oder so nicht unrecht gehandelt, denn kein Unrecht wäre dann. Ich hätte dann nur ausgeglichen.“
    Der alte, von den Spuren seiner Krankheit bereits gezeichnete Mann sprach fest. Ein Schimmern des Hinübers leuchtete durch seine Haut. Als würden tief am Grund seiner Augen Zündhölzer angerieben, traf die Richter aus ihnen von Zeit zu Zeit ein Funke, wie wenn man in einen Kerker, der ein Schlauch aus Schwärze ist, gesperrt ist und sieht weit entfernt ein erleuchtetes Fenster. Die Hände des Mannes, die er langsam und abwechselnd hob, um Bedeutungen zu unterstreichen, waren transparent wie bei Engeln. Er machte nicht den Eindruck von Wirrnis, sondern von Weisheit.
    „Aber weshalb“, wurde er gefragt, „haben Sie mit der Rache gewartet, bis kurz bevor Sie selber sterben?“
    „Damit nicht Gott gerichtet wird.“

    Er hatte eine Liste geführt, sie führte bis siebzig Jahre zurück. Namen und Orte; Taten, die ungesühnt geblieben waren; ausgezeichnete Bürger darunter, bekannte Namen wie unbekannte, Persönlichstes mit Politischem wie unentwirrbar verschlungen; aber hinter jeder Eintragung stand ein Grund. Vor dem vierzehnten Verhandlungstag ging er im Krankenbett ungesühnt hinüber. Es war ein heller Dienstagmorgen, hoch stieg die Sonne und wärmte die Toten.

    [Entwürfe.
    Plots.]

    Fertiggotteshaus

    Diese lustigen Fertighäuser, wie sie beispielsweise auf dem nordamerikanischen Kontinent nicht aus der Mode geraten, und die man mit etwas handwerklichem Geschick selbst zusammenzimmern können sollte (und später en bloque versetzen, wenn man sich einen neuen Garten gekauft hat), die sind nicht gerade eine neuzeitliche Erfindung. In der Spätantike wurden aus den Marmorbrüchen nicht mehr nur Steinblöcke verkauft, sondern zunehmend halbfertige Teile, beispielsweise Säulenkapitellrohlinge, die nachher am Ankunftsort von Steinmetzen mit lokalen Ornamenten versehen wurden, oder roh behauene Sarkophagteile, später auch Fertigprodukte. Bei Marzamemi (Sizilien) fanden Archäologen ein gesunkenes Schiff, das anfangs des 6. Jahrhunderts in Konstantinopel ausgelaufen war und sage und schreibe einen kompletten Kirchenbausatz enthielt: tragende Elemente (Sockel, Säulen, Kapitelle), Pfeiler und Platten für den Chor, einen Altar, eine Kanzel aus thessalischen Brekzien und ein vielteiliges Liturgie-Bastelkit. Boah, der arme Reeder, der dieses Handelsschiff verlor! Dieses Malheur muss verdammt teure Umtriebe nach sich gezogen haben … Wie schade, ich hätte zu gern dem Gefluche der Bauleute gelauscht, während sie das Teil x-mal verkehrt rum zusammengemörtelt hätten. Denn es ist nicht anzunehmen, dass ikea-artige Bauanleitungen damals verständlicher piktogrammiert waren als heute. Und so, wie ich in meinem schiefen Schrank die Kleider nicht richtig stapeln und die Tür nicht schliessen kann, hätten sie, egal wie geschickt gefaltet, zerlegt oder vakuumiert, den Grossen Gott beim besten Willen nicht durchs verzworgelte Tor in die Kirche hineingekriegt, oder wenn doch, mit Ach und Krach, dann wäre er irgendwie immer auf dem Dach rausgekommen und im dümmsten Fall an der Sonne verdunstet.