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the making of die vier jahreszeiten eines ganz bestimmten mädchens

die vier jahreszeiten eines ganz bestimmten mädchens

was ist ein sommermädchen?
eines so wie du: verzagt,
so hadernd, dass selbst wenn ich sang vorm balkon
„only you“, du mir nicht hast geglaubt.

was ist ein wintermädchen?
in schneiend nacht sie sprach von liebe,
sandte fotos, mich ertau(b)end.
wir waren wie die dieb’ dem taugewitter verweht.

was wär’ ein herbstmädchen
mit blätterfall, fühlt sich verwelkt?
ich les’ ihr nach gefall’ne blüten,
und zähl’ ihr auf ein jedes blatt,

das blieb, noch grünend, an dem birkenstamm,
der mein frühlingsmädchen, wie gott ihn schuf, umtanzt.
es halte ein in spalte dann,
was rinnt zu früh mir ewig weg und wann?

ja, wann wird’s ende ausgesetzt im lispelschwarm?

„Jenen, die Gott lieben, muss auch ihr Betrüben lauter Zucker sein …”

Die faltbaren Moleküle

Die richtige Stimmung wird der Schublade
entnommen, die auch Streichhölzer enthält.
Maßgeblich ist die richtige Dosierung an der
Sache beteiligt, scheitert aber oft am Belieben
der brunftigen Kundschaft, die sich auf Reisen
in sicherer Umgebung weiß. Der Trotz einer
Luftschlange, die man mit Besenstielen
so lange jagt, bis sämtliche Hugenotten aus
den besetzten Ställen vertrieben worden sind,
oder bis der Teig eines zwielichtigen Kuchens
aufgehört hat, die Heizrippen unsittlich zu berühren.

Die Konnotation ist einfach zu formulieren, sie
zappelt im Schrank mit heruntergelassenem Lebenslauf.
Wehe dem, der seine Hand nicht von ihr lassen kann,
der glaubt, die Finger seien die perfekte Maschinerie,
um junge Füchse zu zeugen.

Eine Sekunde später werfen wir uns in das
Gestrüpp eines pränatalen Frühlings. Der Picknick-Korb
fällt von der Klippe, die eines der
Flaschenzug-Kinder im Sandkasten nachbilden
wollte, es versprochen hatte, es dreimal
dem Marketender erzählte, um dann mit den
satinpolierten Murmeln aus der Waffenfabrik
durchzubrennen. Ihm folgte der dreibeinige
andalusische Hund, ein Champignon-Pflücker aus den
Pariser Randbezirken, und ein Clown, der geschminkt
war wie Rasputin, als sein Gemächt
noch nicht die 30cm-Marke erreicht hatte, als sein
Bart noch von seiner Mutter getrimmt wurde.

Auf den semantischen Feldern
liegt Sprachabfall, was sich erst dann
ändern wird, wenn es Prostata-Massagen
umsonst gibt.

Die Evolution muss neu überdacht werden

Beim Sonntagsfrühstück fliegt mir etwas Erdbeermarmelade vor die Brille.

„Jetzt hast du den süßen Blick“, sagt sie.

*

Manchmal wünsche ich mir, das CERN in Genf hätte tatsächlich eine neue Zeitlinie erschaffen. Oder das nahe Sonnensystem Nemesis könnte eine Überlagerung von Dimensionen erzeugen. Irgendwas irreal Irreparables geschähe und könnte eine Erklärung liefern für die derzeitige Verwirrung. Die 9 Konföderierten, die Sternengeschwister, all ihr Gelichter. Herbei.

*

Man sollte sich kein Urteil erlauben über andere Menschen. Wir sind alle nur Evolution, und Evolution bedeutet Ausprobieren. Da geht eine Menge schief.

*

„Hunde streicheln einen niemals zurück“, sagt sie nachdenklich. „Vielleicht wollen Hunde gar nicht gestreichelt werden.“

Es ist eine Überlegung wert.

*

Auf halluzinogenen Pilzen kriegt man einen Eindruck davon, wie die Erde wirklich ist, unabhängig vom Zusammenspiel der Sinne und Gehirn. Dass die Erde rund ist, dass es Erdanziehung gibt, dass im Erdinneren ein großes Feuer brennt, es wird Gewissheit. Ein Trip ist eine sehr irdische Angelegenheit.

*

Die Evolution muss neu überdacht werden.

Vielleicht ein Carport drüber.

Muss man sehen.

*

Ich mag Menschen, die einem das Gefühl vermitteln, als mache sich die Ruhe der ganzen Welt in ihnen breit. Nicht, dass ich einen kennen würde.

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„Eine Frau wird für die Gesellschaft geboren, ein Mann für sich selbst, jeden Tag aufs neue.“

  • Die Gräfin

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Sich hinstellen und populäre Sachen sagen, das kann jeder. Die motzenden Massen bedienen. Wo man sich des Beifalls sicher sein kann, weil eine Million Mäuler schon das gleiche verkündet haben, ohne damit angeeckt zu sein. Dazu gehört kein Mumm. Das ist wie Schwarzfahren mit Hunderteuroscheinen in der Tasche – mutlos.

*

„Psst! In mir sprechen gerade mehrere Menschen.“

„Ach.. Hast du wieder deine Stimmen an?“

*

*

„Das Leben beginnt mit 50“, sagt sie tapfer.

„Na ja“, sag ich, „wenn man vorher kein anderes hatte.“

*

„Wenn man älter wird, verliert man zunehmend die Lust, Fan von irgendwem zu sein – da ist man schon froh, wenn man sich selber gut findet.“

*

Immer gibt’s gar nicht. Immer ist ein phantastisches Wort.“

  • Die Gräfin

*

Eine Konditorei ist ein zutiefst friedlicher Ort. Wo Kuchen verkauft wird, bricht kein Krieg aus.

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„Kannst du abheften, unter Ulk“, war sein Standardspruch, wenn er an der Zigarre mümmelnd vor einem stand. Er nahm einem das Klemmbrett aus der Hand, auf dem die EDV-Liste eingespannt war, und begann sie mit den Lebensmitteln abzugleichen, die man auf den Rollcontainer geladen hatte. Sobald er einen Fehler entdeckte, (wenn man etwa statt der drei vom Kunden georderten Kartons Irische Butter nur zwei auf den Rolli gepackt hatte), gönnte er dem Zigarrenstummel eine kleine Pause, murmelte, „ein Karton Irische zu wenig, Jung“, strich den Fehler an und reichte einem das Klemmbrett zurück.

Der Kontrolleur trug einen weißen Kittel. Er war alt. Sechzig, mindestens. Ich war Anfang zwanzig und wunderte mich, dass ein so alter Mann in Deutschland noch arbeiten musste. Er war groß gewachsen, über seinem stattlichen Bauch spannte sich die immer gleiche Strickjoppe, die ihm etwas gefährlich gemütliches verlieh.

Wir arbeiteten im sogenannten Plus-Bereich, wo die Temperaturen bei konstant 7 Grad plus lagen, im Gegensatz zum benachbarten Tiefkühllager, wo sich bei minus 18 Grad erheblich ungemütlicher kommissionieren ließ.

(Was noch im Nachhinein erstaunt: das Rauchen in den Gängen des Lebensmittellagers war gestattet. Auch wenn wir 1983 schrieben, auch wenn die Sachen in Plastikfolie eingeschweißt waren.)

Viele Worte macht der Kontrolleur nicht. Er stand im Plus-Bereich am Ende des Parcours und wartete auf uns Kommissonierer. Wenn er überhaupt den Mund aufmachte, musste sich das Gesagte mühsam den Weg vorbei an dem im Mundwinkel geparkten Zigarrenstummel bahnen.

Der alte Kontrolleur hatte ein großes finsteres Gesicht, beherrscht von zwei buschigen Augenbrauen, die sich wie die beiden Bögen einer im Bau befindlichen Brücke aufeinander zubewegen schienen. Darunter Augen, in denen gelegentlich der Schalk aufblitzte.

„Den Job kannst du abheften, Jung – unter Ulk.“

*


*

Nichts ist trauriger als mit seinem Witz allein gelassen zu werden. Da sitze ich mit der Gräfin am Frühstückstisch und reiße spontan einen Gag, mache richtig auf Witzkerl, und dann hört sie überhaupt nicht richtig hin! Ist mit ihren Gedanken ganz woanders und krümelt den Teller voll! Ja, wofür ackere ich denn hier?! Im übrigen unterstreicht sie mit diesem Verhalten nur eine handschriftliche Bemerkung unter ihrem Grundschulzeugnis, zweite Klasse, zweites Halbjahr.

„Die kleine S. ist intelligent, doch unaufmerksam“, schrieb ihre Klassenlehrerin, die blonde Frau Schäfer mit den stämmigen Beinen. „Statt dem Unterricht zu folgen, guckt sie lieber aus dem Fenster und beobachtet die kleinen Meisen, wie sie auf dem Schulhof landen.“

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dabei hatte der Witz durchaus normale Chefqualität.

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„Wo ist eigentlich das Leben hin..?“ klagt sie. „Ich hatte doch immer so viel Zeit. Ich glaube, die Jahre sind zu klein geworden.“

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„An Tagen, an denen ich mich hässlich fühle, kann keine Klamotte der Welt einen schönen Menschen aus mir machen.“

  • Die Gräfin

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„Wie lange ist Scheiblettenkäse denn haltbar..?“

Wir hatten vor einiger Zeit Heißhunger auf Hawaii-Toast, dafür brauchte es unbedingt Scheibletten-Käse, doch mehr als die Hälfte der Packung blieb übrig und steht sich seither im Kühlschrank die Beine in den Bauch.

„Ach, der ist ewig haltbar“, sag ich. „Das sind alles Restbestände aus alten Louis de Funes-Filmen, die heute noch im Supermarkt verkauft werden.“

„Dann hält der sich noch, meinst du?“

„Ja. Der hält noch.“

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In Büchern und in Filmen folgt man gern den abenteuerlichen Lebenswegen berühmter Künstler, während man von den eigenen Abenteuern zunehmend die Schnauze voll hat.

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Nichts stimmt einen so wehmütig wie ein schon lange vermisster Duft, der einem plötzlich um die Nase weht, wenn man im Grünen spaziert.

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Aaahh.. die Welt geht unter! Endlich! Da blühen die Geschäfte!!!

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Als wir mittags am Tisch sitzen und essen, klappert draußen der Briefkasten.

„Hörst du das auch?“ flüstert sie. „Der Wind hat Post reingeweht.“

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Das Herz einer Fledermaus schlägt 1000mal in der Minute. Das Herz einer Fledermaus ist ein sehr leises Schnellfeuergewehr, Fledermausblut ist seine Munition.

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Aus ihrer Haut heraus kommt nur die Schlange.

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Wir sind alle nur auf der Suche nach dem kleinen Glück, Mensch wie Tier, und es sind alles bloß Hormone. Ein Jagdhund, der laut wimmernd hinter einem Reh her ist, ein Terrier, der leidenschaftlich gern buddelt, ein Huskie, der durch den Schnee rennt bis zur Erschöpfung, sie alle entwickeln die gleichen Glücksgefühle wie ein Junkie, der sich nachts um drei auf die Socken macht, um Nachschub zu organisieren.

Versuch den mal zurückzupfeifen.

*


Spielen Sie Boule? Nein nein. Im Moment nicht.

*

Als ich mit der neuen Brille auf der Nase ins Bad ging und mich im Spiegel betrachtete, dachte ich, da steht Roy Orbison. So richtig einverstanden war ich nicht mit dem Anblick. Auch der Gräfin kamen Zweifel, ob die Auswechslung der alten Brille etwas gebracht hatte.

„Aus einem etwas merkwürdigen Büroleiter ist ein etwas großzügigerer merkwürdiger Büroleiter geworden“, grinste sie, wobei sie das etwas bis zum Anschlag dehnte. Im Laufe des Abends jedoch gewöhnten wir uns mehr und mehr an den Anblick, und aus einem etwas merkwürdigen Büroleiter wurde der Vize-Gebietsleiter vom Objektschutz Olpe, und ich war fürs erste zufrieden.

*

Kapitalismus – diese endlose Potenzmaschine.

*

Ich flöte so vor mich hin.

„Gute Laune heute?“

„Geht so“, sag ich.

„Och Mensch, entwerte doch nicht immer alles so, wie einen alten Fahrschein.“

*

Bücher, die man in seiner Jugend gelesen hat, sind wie alte Freunde. Sie erinnern einen daran, wer man einmal war, als man das Buch zum ersten Mal in der Hand hielt.

*

Mein Leben gehört zu den Kassenschlagern, wo man im Kino sitzt und die ganze Zeit darauf wartet, dass sich der Vorhang hebt und es endlich losgeht, auf Veranlassung des Filmvorführers.

*

Samstagabend auf dem Spielplatz. Es ist dunkel. Auf der Schaukel sitzt ein einsamer Teenager, er schaukelt langsam vor und zurück, vertieft in sein Handy und mit langen Strippen im Ohr, als würde er künstlich ernährt. Das bläuliche Licht des Displays leuchtet sein Gesicht aus, schwingt in der Finsternis vor und zurück wie ein betont höfliches UFO, das keine Fehler machen will. Nicht jetzt. Nicht beim Schaukeln.

*

„Ich bin immer wieder fasziniert, wie viele verschiedene Leben ein einzelner Mensch leben kann“, sagt sie.

„Schön gesagt“, sag ich.

„Wieso schön? Das ist überhaupt nicht schön. Das ist verwirrend.“

*

„Du..“

Sonnabends, ich bin schon fast eingeschlafen, flüstert sie meinen Namen.

„Du..?“

„Mh..?“

„Können wir nicht mal einen Film über mich drehen? Ich würde mich gern mal groß im Kino sehen.“

*

„Antwerpen ist die letzte große Lektion, die ein Mensch in seinem Leben erhält, und jeder muss es ganz allein bewältigen, jeder für sich – ohne jede Anleitung.“

„Hmm..? Wieso ist Antwerpen die letzte große..“

„Altwerden, du Penner, nicht Antwerpen! Altwerden ist die letzte große Lektion..!“

*

„Die Scham gibt man ab, wenn man im Kapitalismus lebt. Scham war gestern.“

  • Die Gräfin

*

Was gibt es schöneres als ein strahlend blauer Sommerhimmel, 24 Grad und den ganzen Tag Zeit, ach was, das ganze Leben, für die eigenen Belange.

DANGER.

*

Ich: „He! Es ist schon fünf Uhr durch!“

Sie: „Bei dir vielleicht, du Penner.“

*


aufmerksam und langsam

leuchtturm

aufmerksam und langsam liest er vom kampf mit dem fisch, vom kampf des lebens. sein eigenes leben fügt sich ein und die vielen arenen, in denen er sich verausgabt hat. er hat gewonnen, er hat verloren. es gab neuanfänge und er fühlte sich stark.
ebenso aufmerksam beobachtet er das wasser, in der ferne ein lustschiff, manchmal ein segler. das ruderboot kann er nicht ausmachen.
bald ist er auf der letzten seite. eine unruhe beginnt sich breitzumachen.

text: 

Museen

Wie wirkt die Stadt schön, wenn man „von oben herab“ die von der Gemeinde täglich veranstalteten Feuerwerke und Zeltfeste bewundert! Diese Ereignisse organisiert man hier, um den aus Einsparungsgründen aufgelassenen Museen, in denen man einen bestimmten Menschenschlag noch bis vor Kurzem verwahrte, eine vorübergehende Heimstatt zu bieten. Heute kann oder will sich die Gemeinde diese Verwahrung nicht mehr leisten. So laufen viele für mich „aufregende“ Leute frei herum.

Das Lesezeichen 01/2018 ist da!

Die Lesezeichen-Ausgabe 01/2018 erschien am 10. April 2018.

Immanuel Kants Wohnhaus in Königsberg (Barbara Denscher/Flaneurin).

In dieser Ausgabe: 

Handlauf eines Geländers; also in Diagrammen; fotografische Archäologie;  Haupt-Satz, gelesen von Margarete Helminger; Figuren an einer Dorfstraße; der persön­li­che Zeige­fin­ger­ab­druck in einem Aufzug; in den Handtaschen weiblicher Anverwandter; die grünende Sonne zur Osterzeit; Meeres-Gesänge; zeit vergeht oder auch nicht; Wie einer Schriftsteller wurde; Nikolai Karamsins Reisen; poetischen Ausnahmemomente; Grenzen spüren; Verlorenheit im Wind; Wurstdemokratie und -guillotine; Licht und Schatten – Wiederhall; Start eines Bildungsromans … uvm.

⇒ ZUM INHALT …

IDA. Ein Bildungsroman (1)

Als Ida Lenko 8 Jahre und 33 Tage alt war, beschloss sie, Mörderin zu werden. Der Bus, in dem Ida saß, hielt an der Haltestelle Ecke Goethestraße/Benediktusweg. Ida hatte die Wange an die mit einer Eisschicht bedeckte Fensterfront gelehnt und mummelte sich enger in ihren Schal, als die Mitteltür sich öffnete und Samet zustieg. Ida schob das Kinn noch tiefer in die grobe, graue Wolle und zog mit der rechten Hand ihre Mütze tiefer ins Gesicht. Samet setzte sich neben sie, ohne sie zu erkennen. Er achtete nicht auf kleine Mädchen (oder Buben), sondern tackerte unablässig auf seinem Handy herum. Gewöhnlich stieg Ida am Eichendorff-Platz aus, aber sie wagte es nicht, Samets Aufmerksamkeit durch eine Bewegung oder ein Räuspern auf sich zu lenken. Also blieb sie sitzen und hoffte darauf, dass Samet nicht allzu viele Haltestellen weiterfahren würde. Ida hielt dabei die ganze Zeit über die Augen krampfhaft geöffnet, gegen den heftigen Impuls, sie für einen Augenblick ausatmend zu schießen. Denn sie wusste, welches Bild sie hinter geschlossenen Lidern erwartete. In der Corneliusstraße schließlich, gegenüber vom Eingang ins Barthelomäus-Zentrum, stieg Samet aus, nicht ohne Ida achtlos mit seiner Ellenbogenspitze anzustoßen. Ida zuckte zusammen, etwas zu heftig, und sie fürchtete schon, dass Samet deswegen aufblicken würde, aber er war zu vertieft in seine Handykommunikation, um sich ablenken zu lassen. Ida fuhr noch eine Haltstelle weiter, um dann zurück zu laufen in ihr Viertel, die Wohnblocks hinter dem mit Linden gesäumten Eichendorff-Platz. Ida zurrte ihren Ranzen fester auf ihren Rücken. Ihre Nasenspitze war weiß vor Kälte und Hass.

Samet war frei. Samet lief herum und zockte auf seinem Handy. Samet frass wahrscheinlich gleich Döner im DummDumm, baggerte kichernde dumme Weiber an, die in kurzen Rücken vorbei schlenderten, und hieb seinen Kumpeln, die sich wieder um ihn scharen würden, auf den Rücken: „Brudär, Alter.“ Jona aber hatte, als Ida letzte Woche bei ihm gewesen war, das Gesicht mit der versehrten Seite zur Wand gedreht und, wie seit dem Nikolaustag, kein Wort mit ihr gesprochen, keines mit ihr und keines mit seiner Mutter, seiner Schwester, seinem Onkel. Jona war verstummt, während Samet sich also wieder einen schönen Tag machte.

Deshalb wollte Ida, dass Samet tot wäre und dass sie ihn umgebracht hätte. Ida stellte sich vor, während sie die Straße hinuntertrabte, wie sie Samet ein Messer zwischen die Rippen stieß, wie sie Samet vor die Straßenbahn schubste, wie sie Samet mit einem Spaten erschlug. Aber Ida wusste auch, dass nichts davon passieren würde, denn Ida begriff sehr wohl, dass sie zu klein und zu schwach war, um Samet anzugreifen. Man müsste, dachte sie, ihn vergiften. Das müsste ich können, dachte Ida, während sie mit dem Fahrstuhl in den 8. Stock fuhr. Sie schloss die Wohnungstür auf. Ihre Mutter schlief noch nach der Nachtschicht, aber Marian, der schon auf die Gesamtschule ging, saß in der Küche und schlürfte Suppe. „Samet ist frei.“, sagte Ida und knallte ihren Ranzen in die Ecke. Marian blickte nicht einmal auf. „Was hast du denn gedacht?“ „Dass er im Knast verrottet, das Arschloch.“, sagte Ida. „Jugendstrafrecht“, murmelte Marian. Ida hatte keine Ahnung, wovon er redete, aber sie erinnerte sich, dass ihre Mutter schon direkt nach dem verheerenden Nikolaustag gesagt hatte: „Der läuft bald wieder hier rum.“ Er hatte vergnügt ausgesehen im Bus, fand Ida. Sie nahm sich einen Teller Suppe und setzte sich Marian gegenüber.

Beide löffelten schweigend den Eintopf in sich hinein, den Mama am Sonntag vorgekocht hatte.  Man müsste ihn vergiften, dachte Ida. Wenn ich das nur könnte. Und Ida beschloss zu lernen. Wie man einen vergiftet. Am besten so, dass es niemand merkt. Ida hatte keine Ahnung, wie und wo man so etwas lernen konnte. Aber sie war sicher, dass sie es herausfinden würde. Selbstverständlich durfte man nicht direkt danach fragen. Sie war ja nicht blöd. Man konnte nicht zu Frau Wagenhaupt gehen und sagen: „Wie und wo lerne ich jemanden zu vergiften?“ Nachdem sie den Suppenteller leer gegessen hatte, putzte Ida sich im Bad die Zähne. Im Schrank standen die Schmerztabletten, die Mama manchmal nahm. Zu viele davon waren giftig. Besonders für Kinder. Das hatte Mama warnend gesagt. In Arzneimitteln ist also Gift, dachte Ida. Man müsste nur wissen, was genau drin ist und wie es wirkt. Es gibt bestimmt ganz viele verschiedene. Wenn ich mich da auskennen würde, dann könnte ich Samet vergiften.

Am nächsten Tag, dem 3. Februar 2008, fragte Ida nach der Deutschstunde Frau Wagenhaupt, was man lerne müsse, um Arzneimittel zu machen. Frau Wagenhaupt sah Ida sehr freundlich an. Sie mochte Ida, die wissbegierig und schnell von Begriff war, eine Ausnahme unter ihren Grundschülerinnen und –schülern, von denen viele keine 5 Minuten stillsitzen konnten. „Da muss man Pharmazie studieren“, sagte Frau Wagenhaupt, „oder Chemie.“  Ida legte ihr Hausaufgabenheft auf den Tisch und zog einen Stift aus der Jackentasche. „Wie schreibt man das?“, fragte sie. Frau Wagenhaupt diktierte ihr das Wort geduldig. „Wie heißt man, wenn man das studiert hat?“, fragte Ida. „Pharmazeutin.“, sagte Frau Wagenhaupt. „Oder Apothekerin.“  „Aha“, sagte Ida. „Willst du das werden?“, fragte Frau Wagenhaupt. „Ja“, sagte Ida. So ein ernsthaftes, ehrgeiziges, kleines Ding, dachte Frau Wagenhaupt. Aber ich traue ihr das zu. Wenn sie sich aus ihrem Milieu lösen kann. „Du kannst das schaffen, Ida“, sagte sie zutraulich. „Du schaffst bestimmt die Empfehlung für das Gymnasium, wenn du so weitermachst.“  Ida nickte. Sie steckte das Hausaufgabenheft ein und bedankte sich bei Frau Wagenhaupt für die Auskunft. Frau Wagenhaupt sah ihr wohlwollend nach, als sie den Raum verließ.

Ida googlte am Nachmittag auf Marians Laptop nach „Pharmazie“. Das stimmte also, was Frau Wagenhaupt gesagt hatte. Das war die Richtung. Ida rechnete: Ich bin in der 3. Klasse. Das heißt, ich muss noch 9 Jahre zur Schule gehen, mindestens, und dann studieren. Noch mal 6 Jahre. Aber vielleicht kann ich ja schon nach 3 oder 4 Jahren genug, um Samet zu vergiften. Es wird trotzdem schwer, dachte Ida. Denn ich muss Samet ja die ganze Zeit im Auge behalten, damit ich weiß, wo er ist, wenn ich ihn dann vergiften kann. Ida kniff die Augen zusammen. Das würde sie schon schaffen. Wie sagte Mama immer: „Ida hat Durchhaltevermögen.“ Marian nannte das „starsinnig“. Das war Ida. Sie war schüchtern und ängstlich, sie traute sich nicht Samet oder irgendwem was ins Gesicht zu sagen, und das war auch vernünftig, denn Ida war selbst für ihr Alter klein und schmächtig. Aber Ida war auch geduldig und nachtragend und starsinnig. Wie Marian sagte. Ida würde das durchziehen. Lernen und fleißig sein, Samet im Auge behalten, und aufs Gymnasium gehen, dabei Samet im Auge behalten und studieren, immer Samet im Auge behalten, bis sie ihn vergiften konnte.

Und Ida schaffte das, wie sich zeigen sollte, auch wenn dann alles ganz anders kam und Samet nicht der erste wurde, den sie vergiftete.

… / manchmal ist es ja …

an der wand
der schatten
der glühbirne
links daneben
spinnwebenreste
wie risse
im mauerwerk

und im gehör
das aufheulen
des kankerwagens

o videsne
daß schatt’ nur
stäupt was
licht nicht weißt?

tramontana
wehte kalt ins haus
ligna super foco

leg nach
schenk ein

 

manchmal ist es ja …

manchmal ist es ja
auch der wind
der gegen die tür tritt
niemand sonst

sie wutentbrannt
zu öffnen wäre
eine enttäuschung
nichts zeigte sich

und wie immer
mariechen mariechen
in ihrer kemenate

singt ein kommt ein
vöglein geflogen

und läßt auch noch
die anderen türen

von ihren tritten
widerhallen

Wurst

 

Die Bürger und Bürgerinnen von Linz werden derzeit über Plakate gefragt, ob sie die Wurst immer noch wie gewöhnliche Bürgerinnen mit dem Messer schnitten. Alle Linzer und Linzerinnen, die den Aufruf gelesen haben,  haben diese Frage bereits heimlich mit ja beantwortet. Denn sie sind hingelaufen und haben sich die neue Wurstguillotine gekauft, um sich, wie vom Plakat versprochen, wie Könige und Königinnen zu fühlen.

11/18 – … try to be an island …

 

Behind the eyes hills / are painting / Snow blows wind / in the years / over the roofs / from the sea / he weighs / white dust / in the rooms / we dream / the world / ourselves / and unfold times / while in front of the window / the wind returns the snow / from the roofs / through the valley / to an angle / and create landscape / a reality / in another language / into another / timelessness / he calls the far / in their distance / loses his memory / the lostness / and his place.

Hinter den Augen Hügel / sind Bilder / Schnee weht der Wind / in die Jahre / über die Dächer / vom Meer her / wiegt er / weissen Staub / in die Innenräume / träumen wir uns / in die Welt / räumen wir uns / entfalten Stunden / während vor dem Fenster / der Wind den Schnee / von den Dächern / durch das Tal treibt / er alle Flocken / zur einen Stelle / schaft Land / eine Wirklichkeit / eine andere Sprache / in eine andere Zeit / ruft er die Ferne / in ihre Distanz / verliert die Erinnerung / die Verlorenheit / und seinen Ort.