Netzliteratur ist aktuell, interaktiv, subjektiv und gut vernetzt. Doch wie haltbar ist Netzliteratur? Wie lange bleiben Texte, die auf Webseiten veröffentlicht werden, lesbar? Was passiert mit den alten Ausgaben, wenn eine Literaturzeitschrift “vom Netz geht”? Wie archiviert man einen Blog? Sollen Texte, die bewusst im flüchtigen Medium Internet veröffentlicht werden, überhaupt allesamt für die Nachwelt erhalten werden?
Es mutet ironisch an, dass der vergängliche Charakter des Netzes einem Medium anhaftet, das für Dokumentation und Archivierung eigentlich sehr geeignet zu sein scheint. Und doch bleibt jede Webseite durchschnittlich weniger als 100 Tage im Netz unter ihrer Originaladresse abrufbar. Danach zieht sie um oder wird komplett gelöscht. Dies gilt selbstverständlich auch für Netzliteratur.
Verschiedene Genres drehen den Spieß allerdings um. In diesen Konzeptionen sind die Probleme von Archivierung und Musealisierung überhaupt nicht vorhanden, sondern explizit ausgeschlossen. Das Temporäre und Flüchtige wird zum Thema der Literatur.
In dieser Sonderausgabe der Zeitschrift SPIEL: “Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft” werden neue Verfahren und Gegenstände der Archivierung von Netzliteratur vorgestellt, wobei sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten sind. Es kommen Künstler und Wissenschaftler ebenso zu Wort wie die mit der Archivierung beauftragten Institutionen.
Weitere Informationen finden sich unter: http://archivierung.hartling.org/.
Der Band kann bestellt werden unter: http://bit.ly/ax2GBH.
Florian Hartling / Beat Suter (Hrsg.) Archivierung von digitaler Literatur: Probleme – Tendenzen – Perspektiven / Archiving Electronic Literature and Poetry: Problems, Tendencies, Perspectives Frankfurt am Main et al.: Peter Lang 2010. (= Sonderheft SPIEL: Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft. Jg. 29 (2010). H. 1+2)
Vom Archiv zum lebendigen gemeinschaftlichen archi-vieren: netlit-archi-viren
Wie kann eine lebendige, vielgestaltige und vernetze Medienkunst-Bewegung wie die Netzliteratur archiviert werden, ohne sie vollends zu töten?
Wie kann das Lebendige, Schillernde, Vernetzte der Netzliteratur in einem Archiv gerettet werden?
Es erscheint schon absurd, ein Archiv anlegen zu wollen, von einer so dynamischen und vielfach vernetzen Bewegung wie der Netzliteratur!
Am schönsten wäre es, wenn ein solches Archiv selbst wie ein Netzliteratur- Projekt erscheint: einfach anklickbar, interaktiv, mit vielfachen Zugängen, multimedial, frei zugänglich, kommentier- und erweiterbar durch die Leserin …
Ein lebendiges und offenes Archiv der Netzliteratur orientiert sich an den sozialen Formaten von Web 2.0 Anwendungen. Das beinhaltet:
– einen gemeinschaftlich organisierten Austausch von Dokumenten in unterschiedlichen Medienformaten, wie:
o Bilder (flickr.com)
o Präsentationen, Slides (z.B. slideshare.com)
o Videos (z. B. youtube.com)
o Screencast (z. B. screencast.com)
– eine gemeinschaftlich gepflegte Wissensbasis auf der Basis eines Wikis
– ein Diskussionsforum, in dem die archivierten Projekte angekündigt und diskutiert werden (weblog, z.B. auf der Basis von wordpress)
– ein offenes Netz von social-bookmarks (z.B. delicious.com)
– die Vereinbarung eines Tags, unter dem die Beteiligten ihre jeweiligen Archive anlegen (ich schlage das Wortspiel „netlit-archi-viren“ vor)
Ein verzweigtes und gemeinschaftlich gepflegtes Archiv erfüllt die zentralen utopischen Versprechen der Netzliteratur: die Aufhebung des Unterschieds zwischen dem Akt des Lesens und dem Akt des Schreibens.
Ein offenes und auf Partizipation und Mitwirkung angelegtes Netzliteratur-Archiv bietet gleichzeitig vielfältige Möglichkeiten der Aktualisierung und des Anschlusses von Projekten an unterschiedliche Portale, soziale Plattformen und soziale Netzwerke: Dadurch können neue Vermittlungs- und Verbreitungsformen entstehen, neue Nutzergruppen angesprochen werden – und die Netzliteratur, die schon so oft tot gesagt worden ist, kann durch Verbindungen mit den neuen Formen sozialer Software zu neuem Leben erwachen: Netzliteratur 2.0 …
eine erste kleine Sammlung von Bookmarks findet sich unter:
delicious.com/HeikoIdensen/netlit-archi-viren
oder schlichtweg auf der website:
archiviere.de
Heiko Idensen
aktuelles beispiel: wie gehts weiter ohne delicious …?