Archiv der Kategorie: Ausgabe 03/2012

Expedition zur Rheinquelle (5)

Der Tomasee hatte bergumstanden-bergespiegelnd etwas religiöses, gar kirchliches, jedoch nicht von einem Ort der Einkehr, sondern eher von einer touristisch stark frequentierten Kathedrale, also außerhalb der Gottesdienst- bzw Zufluchtszeiten. Zwar verteilten sich die Pilger um den kathedralen See herum sehr ordentlich (wurden beim Umrunden hinter Steinen und in den Matten, bis fast hin zum Verschwinden, immer kleiner) und standen sich hauptsächlich beim Einstieg (in voller Größe) auf den Zehen herum, doch waren z.B. die Felsplatten, auf denen sich über den austretenden Fluß bewegen (oder sozusagen mitten in den Rhein setzen) ließ, stets von Neugierigen bevölkert, zumal wir feststellen durften, daß sie zu einem zweiten Aufstieg/Abstieg führten, als Teil eines Wanderwegs, den wir ungelenk ein paar Meter über ein kleines grobkörniges Schneefeld hinabschlidderten, dieweil der Rhein zu unsrer Linken mit lässigem Drang über den Schotter glitt. Der Blick fiel dabei aus dem engen Flußlauf hinab ins besonnte Tal. Da stellte sich ganz unvermittelt ein Gefühl ein von Aufbruch und In-die-Ferne-ziehn. Das Wasser dünkte uns ein gerade mündig gewordener Sohn, der sich nun davonmacht in die weite Welt. Schmerzlichkeit und gute Wünsche. Anteile von Erlösung. Das Wissen um das so unwahrscheinliche wie zwangsläufige Anschwellen dieses frischen Bächleins zu einem wallenden, tödlichen, industrieguttragenden Strom voller Schlamm, Geröll und Öl, seine Auflösung in der Nordsee und schließlich im Wasserkreislauf. Sein Aufblühen und Scheitern. Lebenswege, Energieerhaltungssätze. Dann wieder, mit um 180 Grad gewendetem Blick auf den ruhigen See, ging uns durch den Sinn, daß das Markieren eines Quellpunkts am ehesten wohl dem menschlichen Bedürfnis nach Handfestigkeit und Verläßlichkeit, auch nach Selbsttäuschung entspräche, daß wir stattdessen lieber die zwonhalb Schmelzbäche oberhalb des Tomasees als eigentliche Rheinquellen betrachten sollten und davon ausgehen, daß zu andern Jahreszeiten auch mehr als zwonhalb oder weniger als zwonhalb Schmelzbäche in den Tomasee hinbabfließen dürften, daß also die Quellen des Rheins unfaßbar oder nur efemer greifbar, besser durchgreifbar bleiben (eben so, als wolle man Wasser „für immer“ in der eigenen Faust einfangen), daß sie auftauchen und verschwinden ganz wie es ihnen beliebt, wenngleich dabei zunächst nur vom Vorderrhein die Rede wäre und nicht vom Hinterrhein, den es ja auch noch gibt und ohne den in Betracht zu ziehen ein Rheinquellenempfinden immer unvollständig bleiben wird, eben so, wie es nachher in TV-Dokumentationen manifestiert daherkommt, die stets den Tomasee als Rheinquelle ansteuern/anbieten, wohl weil dort immerhin ein hübscher See zu sehen ist, aus dem ein Bach austritt, ein Flüßchen, dieweil am Hinterrhein das Ansteuern der „Quelle“ vermutlich am Gelände scheitert, in dem der Weg versickert (in Geröll aufgeht), von dem also bis auf weiteres angenommen werden darf, daß auch seine Quelle beweglich sein könnte, in etwa so beweglich wie der Gletscher, der sie behaust. Die Geisterhaftigkeit unsichtbarer Quellen, ihre selbstmythisierende Geistigkeit. Animus, anima, animum. Kernschmelze. Welt aus Welt, Wasser aus Wasser. Strömen, Pulsen, In-sich-Tragen. Das Wasser, aus dem wir bestehen, polte sich an diesem Ort, so schiens uns, ständig um. Daß es vor der Existenz des Rheins einmal keinen Rhein gegeben habe und daß der Rhein erdgeschichtlich betrachtet ein äußerst junger Spund sei, ging uns durch den Sinn und die Erinnerung an die mit fassungslosem Schrecken geäußerten Worte einer gebildet wirkenden Dame im Regionalzug bei Unkel, daß der Rhein „einmal wieder weg sein könnte, stellen Sie sich das nur vor!“

Am Abend ging es nach Sedrun, die Expedition mit Tujetscher Capuns zu beschließen, sowie mit Blutzcher und Marenghin, zwei sursilvanischen Biersorten mit Namen wie aus einem Beckett-Drama. (Neben Blutzcher und Marenghin existiert noch eine dritte sursilvanisch-beckettsche Biersorte: Rensch; die reimarme Landschaft um das Wort Mensch ein wenig zu beleben.) Die Radiosender verkündeten den heißesten Tag des Schweizer Sommers und daß es angesichts dieser Tatsache nicht mehr hip sei, Spritz zu trinken, wie noch im letzten Jahr, sondern ein Getränk namens Gustav oder Oskar oder Pascal, jedenfalls eins mit einem recht beliebigen Namen. Am Nebentisch saß ein Herr, der zu seiner Haxe immer abwechselnd einen Schluck Bier und einen Schluck Rotwein trank, was er sich beides in Literstärke bringen ließ: auch ein originelles Trinkverhalten, das es vielleicht in sieben bis neun Jahren, wenn Hipness unhip geworden ist, zum Radio-Sommertip bringen wird. Hinter den südlichen Bergen, dort wo wir das Tessin vermuteten, grollten Gewitterdonner wie das Geröhre streunender Großkatzen. Es hätte uns nicht gewundert, wäre über den Graten eine schwarze Pantherwolke erschienen. Wir strichen noch ein wenig durchs Dorf, bestaunten die abstrakt wirkenden Aushänge und versorgten uns mit andutgels und Sedruner Käse. In der Sonne, in der Erinnerung und durch das Bierglas gefiel uns die Gegend der vergangenen Stunden so gut, daß wir nach vollbrachter Expedition beschlossen, einen weiteren Tag in der Surselva anzuhängen, um wenigstens noch eines ihrer geheimnisvollen Nebentäler zu erkunden. Zurück im Hotel, das plötzlich einen seiner zahlreichen Ruhetage feierte, aber dennoch von uns bewohnt werden durfte, besichtigten wir die Stube mit ihren sursilvanischen Geweihvorkommen, den wunderbaren Stichen des alten Tujetsch, auf denen Tschamut noch kleiner als heute wirkte (eine ziemlich unvorstellbare, dafür umso besser gestochene Szenerie) und den fatalistischen Gästebucheintrag eines unbekannten Reimfreundes: „Grau, grün & blau die Bergwelt war / auch im zweitausendzehner Jahr“ (Ende)

Ich bin die Nacht / Du bist der Ort – Kapitel zwei

Bartholomäus Bartholomej (PDF)

Hier ist die zweite Abteilung der längeren Erzählung Ich bin die Nacht / Du bist der Ort. Die erste Abteilung erschien exklusiv im letzten litblogs lesezeichen. Bartholomäus Bartholomej bleibt nun der Veranda vorbehalten, aber auch hier erscheint das PDF nur, weil ich etwas für das lesezeichen auszusuchen habe und ich nicht wüßte, was dafür geignet sein könnte. In den letzten drei Monaten schien mir dafür nichts besonderes entstanden zu sein. Auf die üblichen Belanglosigkeiten hatte ich keine große Lust, auch nicht auf irgendwelche Experimente, die man ohnehin ohne Vorwissen nicht nachvollziehen kann. Das Buch, die fertige Geschichte – oder wie immer man das heutzutage nennen will, wird noch eine ganze Weile nicht zur Debatte stehen. Ich schreibe, das ist mir wichtiger als irgendetwas fertigzustellen. Etwas fertigstellen, so denke ich, kann jeder – man muß einfach nur aufhören zu schreiben. Aber gerade das liegt mir nicht. Mich interessiert das Unendliche. Wie immer glaube ich, daß auch dieser zweite Teil für einige meiner Stammleser interessant sein könnte, der Rest interessiert mich ohnehin nicht besonders.

Die Blumen des Bösen: Relativiert

Als schwierigste Übung von allen: die Verbindung zu sich selbst nicht verlieren. Wer sich nicht regelmäßig ins Alleinsein begibt, ist gefährdet. Ah, die inneren Welten, ma chere! Wir müssen etwas suchen. Uns selbst. Oder wenigstens Gott. Wer weder das eine noch das andere sucht, wird Opfer von Information. Die ernten wir als Gefühle ab, bis die Speicher überquellen. Auch eine Sucht: Vorräte an Gefühltem anhäufen für entfremdete Zeiten.

[„Man will um seiner selbst willen geliebt werden, aber man wird nicht um seiner selbst willen gefickt“ sagtest Du kürzlich. Ich stand nur dabei. Verzeihung: Ich schreibe dies Wort nicht gerne hin. Doch so hast Du es nun mal gesagt, ma Sanssourir. Ich mag Dich nicht falsch zitieren.]

Überhaupt mag ich nicht falsch sein. Das macht den Blick ins Außen so kompliziert, denn der, zweifellos, ist immer gefärbt, unvollständig, niemals fair. Das Einzige, worüber ich frei verfüge, ohne Anderen Unrecht zu tun, ist mein Subjektives.
Niemand kreidet mir das so an wie ich selbst.
Da sterben Kinder. Da versickern Geldströme. Da wird Raubbau betrieben an Mensch und Moral.
Halt’ die verdammten Augen offen, sage ich mir. Verwende Dich für das Gute. Sei dankbar für F o r m, wo andernorts Chaos ist.

„Stell’ Dich nicht so an.“
Der Satz meiner Kindheit. Demut, Demut. Immer waren es die Umstände, zu denen das Empfinden in Relation gesetzt wurde. Ein eigenes, Umstandsloses, gab es nicht.
Wappne es sich vor Unverhältnismäßigkeiten, das Kind! An Deinem Hecheln wird man Dich erkennen.
Atme durch die Haut.
Sei relativ.

Heute Nacht träumte ich von einer Dame. Sie trug ein Hündchen am Busen. Es war welpig, einfach sehr klein und weich, mit zartesten schwarzen Locken. Und so lebhaft, es quirlte in ihren Armen. Ich versuchte, seine Augen zu erspähen, doch die waren nicht zu seh’n unter dem Fell. Stattdessen entdeckte ich ein nacktes, rosafarbenes Mal an des Hündchens Kehle, ein perfekt vernarbtes, kreisrundes Stück Haut, etwa so groß wie mein Daumennagel. Ich konnte den Blick nicht davon wenden.
„Ist das eine Gemme“, fragte ich die Dame.
„Oh ja“ erwiderte sie. „Es ist das Logo der Modelinie meines Mannes.“
Ich stellte mir vor, wie die Dame es jeden Morgen mit ihren manikürten Fingerspitzen einölte, damit es so glänzte tagsüber. Das Hündchen, ich hätte es gerne zu mir genommen.
Als Erstes hätte ich nachgesehen, ob es Augen hat.

Hackergrüße aus Malaysia

Hacker-Konsole für Passwort-Klau
Hacker-Konsole »Shell.CA.2«, mit der so ziemlich alles im angegriffenen System machbar ist

••• Aus Fehlern lernt man, heißt es. Nun, es müssen nicht unbedingt die eigenen sein. Ich habe Fehler gemacht und lade euch ein, den Erkenntnisgewinn mit mir zu teilen, bevor es euch selbst trifft.

Vor einigen Wochen wurde der Server, auf dem neben dem Turmsegler noch diverse andere Websites befreundeter Künstler beheimatet sind, von islamistischen Hackern aus Malaysia angegriffen. Anlass war den muslimischen »Freunden« der Beginn des Fastenmonats Ramadan. Dass auch mir der Appetit vergangen ist, als ich morgens per SMS die Meldung bekam »Meine Website wurde gehackt!« — kann man sich denken. Noch mehr vergällt war er mir, als ich das Ergebnis sah: Antisemitische Hass-Banner auf den Homepages der betroffenen Sites.

Obwohl ich sofort einschreiten und vom Handy aus den Server vom Netz nehmen konnte, war der Schaden bereits beträchtlich. Es hat eineinhalb Tage gedauert, die Sicherheitslücke zu identifizieren und zu schließen, den Schaden zu beseitigen und das System durchgängig mit neuen Account-Passwörtern zu versehen.

Nun ist es einerseits peinlich, wenn man einräumen muss, den Hackern eine Tür offen gelassen zu haben, durch die sie eintreten konnten, um solchen Schaden anzurichten. Andererseits denke ich mir, nachdem ich nach nun mehr als vier Wochen wieder sicherem Betrieb, den Schrecken überwunden habe, dass es ein lehrreiches Beispiel für andere Site-Betreiber sein kann, wenn ich an dieser Stelle einmal erzähle, wie die Hacker eingedrungen sind, welche Tools sie verwendet haben und was alles sie damit sonst noch hätten anstellen können.

Die meisten Websites auf meinem Server verwenden das Content Management System (CMS) WordPress. Es ist auf Millionen Installationen weltweit erprobt, wird regelmäßig aktualisiert und gegen mögliche neue Angriffsvarianten gehärtet. Das schützt den Anwender jedoch nur bedingt. WordPress erfreut sich unter anderen deshalb so großer Beliebtheit, weil es durch Plugins für jeden denkbaren und undenkbaren Einsatzzweck erweitert werden kann. Ich selbst habe Plugins für WordPress geschrieben, MintPopularPostsWP und RearviewMirrorWP beispielsweise für die »Rückspiegel«-Funktion wie hier im Blog. Gelegentlich verwenden die Entwickler solcher Plugins ihrerseits Komponenten von Drittanbietern — bspw. Flash-Komponenten für die Bereitstellung von Upload-Funktionen.

Ein solches WordPress-Plugin, im Einsatz auf zwei der betreuten Websites, war das Einfallstor. Das Plugin nutzte eine vom Entwickler nicht korrekt konfigurierte Flash-Upload-Komponente. Diese ermöglichte es nicht nur — wie vorgesehen — Bilder auf den Server zu laden, sondern auch ausführbaren Skript-Code und das auch noch für beliebige unangemeldete Benutzer. Ein Konfigurationsfehler meinerseits gestattete die Ausführung von Skript-Code aus Verzeichnissen, die das Plugin für Uploads nutzte.

Die Hacker haben einen Automaten verwendet, der stumpfsinnig WordPress-Websites weltweit nach dem fehlkonfigurierten Plugin absuchte. Der Automat sandte einfach an die typische URL einen Upload-Request. Ist das Plugin vorhanden, landet so eine Hacker-Konsole (»Spy.CA.2« und »Spy.Prance.A«) als PHP-Script auf dem Server. War der System-Admin gewissenhaft, ist der Angriff damit zu Ende, denn aus einem Upload-Verzeichnis sollte der Server nie Code ausführen dürfen. Sollte. Der Automat prüft das, indem direkt im Anschluss versucht wird, die Hacker-Konsole aufzurufen. Gelingt das, ist der Server kaum noch zu retten. Ein Mensch übernimmt dann über die Konsole den Server.

In meinem Fall wurden zwei unterschiedliche Hacker-Konsolen verwendet. Die eine (s. folgendes Bild) dient zur Ausführung von beliebigen Shell-Befehlen unter dem OS-User, unter dem der Webserver läuft. (Gelegentlich, habe ich mir sagen lassen, ist das bei manchen Systemen auch mal der User root, der alles darf.) Aber auch, wenn man sich diese fatale Blöße nicht gegeben hat, ist es schlimm genug. Das »Turbopanel« unternimmt diverse Brute-Force-Attacken, um die Passwörter von OS- und Datenbank-Usern zu knacken.

Hacker-Konsole für Passwort-Klau
»Turbopanel«, Hacker-Konsole für Passwort-Klau

Darauf allerdings ist der Hacker, der die Konsole bedient, gar nicht angewiesen. Die »Super!«-Konsole aus dem Bild am Beginn dieses Artikels bietet dem Hacker nämlich Zugriff auf das Dateisystem des Web-Servers, soweit der OS-User, unter dem der Web-Server betrieben wird, dies lesen darf. In diesem Dateisystem finden sich nun auf alle Fälle die Konfigurationsdateien von WordPress, in denen u. a. die Datenbankverbindungen des CMS eingetragen sind. So kommt der Hacker in den Besitz von validen Datenbank-Benutzernamen samt Passwort. Einmal in der Datenbank, liegen dann auch die Accountnamen aller registrierten Benutzer offen, das CMS ohnehin, so dass die Websites im Handumdrehen mit Inhalten gefüllt werden können, die dem Hacker gefallen, dem enteigneten Admin der Website hingegen höchstwahrscheinlich nicht.

Ist man derart entkleidet, hat man einiges an Arbeit vor sich. Zunächst muss man die Sicherheitslücke überhaupt erst einmal finden und sie schließen. Dann ist festzustellen, wann genau der Einbruch erfolgt ist. Reparieren kann man vergessen. Will man sicher sein, keinen Schadcode und keine fremden Inhalte auf den Sites oder in der Datenbank zu haben, muss man ein Backup von Datenbank und Dateisystem einspielen, das vor dem Angriff erstellt worden ist.

Damit ist es aber nicht getan. Immerhin muss man davon ausgehen, dass die Hacker sich nun im Besitz der Account-Informationen von Weblog-Nutzern und Datenbankbenutzern befinden. Also müssen alle Passwörter für diese Accounts geändert werden.

Die meisten CMS ermöglichen es, dass ein einmal angemeldeter Benutzer künftig über einen Cookie erkannt wird und sich so nicht bei jedem Besuch neu anmelden muss. WordPress bietet dieses Feature ebenfalls an. Nach einem Hacker-Einbruch muss es deaktiviert oder aber auf anderem Weg sichergestellt werden, dass alle bisher generierten Cookies ihre Gültigkeit verlieren. Bei WordPress ist dies möglich, indem die Kryptographieschlüssel geändert werden. Andernfalls braucht sich der Hacker während der Attacke nur einmalig gültig angemeldet zu haben, um später bei weiteren »Besuchen« über den Cookie als valide angemeldeter Blog-Benutzer erscheinen zu können. Wirklich sicher ist die Änderung der Schlüssel jedoch nur, wenn man ausschließen kann, dass Benutzer-Passwörter zu den Blog-Accounts entwendet wurden. WordPress speichert alle Passwörter verschlüsselt. So soll es auch sein. Ob diese Verschlüsselung für einen wirklich ambitionierten Hacker ein echtes Problem darstellt, mag ich nicht beurteilen.

Ins Merkheft geschrieben: Was sollte man auf jeden Fall berücksichtigen, wenn man einen Server im Internet betreibt?

  1. Tägliche Backups vom Dateisystem und den Datenbanken müssen vorhanden sein.
  2. Tägliche Backups vom Dateisystem und den Datenbanken müssen vorhanden sein.
  3. Tägliche Backups vom Dateisystem und den Datenbanken müssen vorhanden sein.
  4. Alle Komponenten vom Betriebssystem über die Server-Software bis hin zu Plugins müssen auf aktuellem Stand gehalten werden, so dass Sicherheitslücken, die den Entwicklern bekannt geworden sind und von ihnen geschlossen wurden, auch auf dem eigenen System geschlossen werden.
  5. Server-Software (Web-, Mail-, Datenbank-Server etc.) müssen unter unterschiedlichen minderberechtigten OS-Usern laufen und keinesfalls unter dem User root.
  6. Ermöglichen Komponenten den Upload von Inhalten auf den Server, muss verhindert werden, dass es sich dabei um ausführbaren Code handelt oder bestehende Inhalte gleichen Dateinamens überschrieben werden können.
  7. Der Web-Server muss so konfiguriert werden, dass er in keinem Fall Code aus Verzeichnissen ausführt, die für Uploads freigegeben sind.
  8. Es empfiehlt sich der Einsatz einer Software, die das Dateisystem des Webservers überwacht und den Admin benachrichtigt, wenn sich im Dateisystem bislang unbekannte Inhalte finden, insbesondere Dateien mit ausführbarem Code.

Punkt 4, 6, 7 und 8 waren auf meinem Server nicht erfüllt. Das besagte Plugin war seit zwei Jahren nicht aktualisiert worden. Die Sicherheitslücke (Verstoß gegen Punkt 6) war dem Hersteller des Plugins bekannt und bereits seit 1 1/2 Jahren durch eine neuere Softwareversion geschlossen. Mein Web-Server erlaubte die Ausführung von Code aus Upload-Verzeichnissen, und ein Monitoring des Dateisystems gab es nicht.

Selbst schuld also. Erkenntnis durch Schmerz.

Es würde mich interessieren, welche Blog-Betreiber unter den Turmsegler-Lesern alle 8 Punkte beruhigt abhaken können. Eine Google-Recherche am Tag des Angriffs zeigte, dass tausende WordPress-Weblogs in aller Welt an diesem Tag auf die gleiche Weise von den gleichen Hackern übernommen worden sind. Google hatte die gefälschten Inhalte bereits indiziert. Und da Hacker auf spezifische Weise eitel sind, haben sie in den Hass-Seiten Fingerabdrücke hinterlassen, um ihren weltweiten »Erfolg« auch belegen zu können.

Jetzt sind hier die Schotten dicht, nun ja, nach aktuellem Kenntnisstand. Besucher aus Malaysia müssen ab sofort übrigens draußen bleiben. Sorry, aber wenn die entsprechenden Provider auf Meldungen über Hacker-Angriffe via IP-Adressen aus ihren Pools nicht einmal reagieren, geschweige denn Maßnahmen ergreifen, dann bleibt einem nichts anderes übrig, als die Rote Karte zu ziehen.

septemberränder: 1

(„inmitten unserer Worte – / ein Loch,“ – Klavki)

als löste sich der vollmond in gesalznem
und streute schwarze schlacken in sein weiß,
dass bunt nicht würden blätter, in verhaltnem
kröch aus sommerschwangren herbst. und leis

wär erster schrei aus solchem jung gebornen
wort, sein schlund noch fruchtverwässert, schweiß,
der tröpfe reifen birnen, den vergornen,
als alkohol in den gebannten kreis.

als sänken sterne, gingen nicht mehr auf.
sie wären chiffren nur und darin sprache,
die nähm in hieroglyphen ihren lauf,

nicht hürden, sondern weg zu überspringen,
den breiten fluss nicht, meer nicht – doch in lache,
in pfützenteichen spiegelnd sich zu finden.

Das Höllental des Paradieses ODER Ein Samois im Libanon

Jamesville (1). Das Reise- und Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 25. Juli, auf den Donnerstag, den 26. Juli 2012.


Lounge der Zedern, Beirut-Rafic Hariri Int Airport

7.26 Uhr:
[Maison Cattechnian, 3.]
Ich kann Ihnen keine Bilder einstellen, werde gleich erzählen, weshalb. Denn selbstverständlich habe ich welche gemacht, doch werde, wahrscheinlich bis zu meiner Rückkehr nach Berlin, nicht darauf zugreifen können. Das Bild hierüber, die berühmte Zedernlounge, fand ich im Netz. Auf das ich, unter Aufsicht aber, Zugriff habe. Auch dieser Text hier wird durch die Hand eines Zensors gehen, unter dessen oder der Aufsicht eines seiner Adjutanten ich ihn später einstellen darf. So wurde mir bedeutet.
Man spricht hier nur Arabisch und ein Französisch, das ich aber meist nicht verstehe. Nur der Mann, der mich in der Zedernlounge empfing, konnte Englisch. Der Gräfin ließ sich nicht sehen, es gibt auch keine weitere Botschaft von ihm. Eine letzte, wenn man so will, erreichte mich in einem der für ihn typischen kleinen Billet-Umschläge direkt am Counter von Tegel, wo es erst eine gelinge Unsicherheit gab, weil man meine Buchung nicht fand. Das System liest das abgekürzte „von“ mit dem Punkt nicht, so daß ich immer als Vribbentrop eingespeichert werde; das klärte sich dann schnell, weil ich diesen Umstand schon gewohnt bin, aber mich weigere, den Prädikatszusatz auszuschreiben. Sowas tut nur, und muß es, der Kaufadel. Ich meine, w e n n man mich schon unter meinem Herkunftsnamen einbucht und nicht dem, unter dem ich für gewöhnlich lebe und arbeite. Doch vielleicht, vermute ich, will Le Duchesse auf diese Weise wenigstens abstammungstechnisch Verbundenheit herstellen; irgend einen Narren scheint er an mir ja gefressen zu haben.
Na gut, nebensächlich.
Ich war überpünktlich am Flughafen, schon um acht, obwohl ich diesmal nicht viel Gepäck dabeihab; der Rucksack ist leicht. Sind ja nur fünf Tage, und meine Surfs hatten ergeben, daß es im Libanon, wie auch zu erwarten, warm sein würde. Gegen 14 Uhr stand ich dann auch in den Gängen des Rafic Hariri Airports, dessen wenn auch nicht ganz so riesige Anlage sich durchaus mit Frankfurtmains vergleichen läßt; was ich so ebenfalls erwartet hatte. Es galt nur noch, die Zedernlounge zu finden. Ich mußte meinen Reisepaß vorzeigen, um eingelassen zu werden, dann aber war das problemlos. Etwa eine halbe Stunde saß ich herum, knipste, was das Zeug hielt, notierte banale Auffälligkeiten.
Dann wurde ich angesprochen.
Ein sehr arabisch gefärbtes Englisch von einem Araber, Libanesen wahrscheinlich, im Business-Anzug, ein weltlicher, nach Geld wirkender, durchaus hochgewachsener Mann, glattrasiert, Brille, das kurzgehaltene dunkle Haar wich schon von der Stirn zurück. Immerhin sprach er mich als „Mister Herbst“ an, nannte mich zwischendurch aber immer mal wieder „Monsieur“. Er bitte dafür um Entschuldigung, daß er sich verspätet habe, „all the traffic“, „tra:fik“ sprach er das aus, ich möge ihm bitte folgen. Ich bemerkte sie sehr wohl, die beiden Gorilla, die uns – also, zu seinem Schutz, wohl ihm – folgten. Sie verstellten sich auch nicht sehr. Mein Eindruck ist, daß hier vieles ganz offen gehandhabt wird, aus dem man in Deutschland Gewese machte. Die Gegenwart von Gewalt, Bereitschaft zu Gewalt, und nicht nur aus jüngsthistorischen Gründen, ist direkt unter der Haut spürbar; im arabischen Raum begegnet mir das immer wieder. Ich bin darauf gefaßt. Nicht gefaßt war ich darauf, mitten im Libanon in ein Stück vergangenen Europas zurückgebracht zu werden. Das hat für mein Empfinden einiges von einer Zeitreise.
Man erklärt mir nichts, wenn ich frage, wird geschwiegen, doch immerhin gelächelt.
Draußen wartete eine Limousine; ich kenn mich mit Fahrzeugtypen nicht aus, aber es war ein BMW, in dessen Fonds ich gebeten wurde. Ich stieg ein, der Fahrer fuhr los, neben ihm Mr. Jamila, doch ich bekam von der Fahrt überhaupt keinen Eindruck, weil die Scheiben so abgedunkelt waren, hatte allerdings, als ich einstieg, im Augenwinkel den Eindruck, daß die beiden Gorillas in einen Wagen hinter uns stiegen, der uns wahrscheinlich folgte. Zu fotografieren wäre jedenfalls sinnlos gewesen. Auf völlig unspektakuläre Weise ließ man mich im Wortsinn im Dunklen darüber, wohin es eigentlich ging. Allerdings, wir hatten die Stadt längst verlassen, ja waren meinem Gefühl nach gar nicht erst in sie eingefahren, sondern auf einer, wahrscheinlich, Umgehungsautobahn um sie herum, – indessen, nach ziemlich genau anderthalb Stunden, machten wir eine Kaffee-, bzw, Teepause an einem Komplex aus Tankstelle und Rasthaus. Die Gorillas waren durch die offenen Scheiben des durchaus gut besuchten Restaurants nicht mehr zu sehen, aber es standen einige Wagen auf dem Parkplatz herum, in einem von denen sie gut und unauffällig hätten sitzen können. Jedenfalls bat mich Mr. Jamila, weiters in seinem arabisch prononzierten Englisch, um mein Ifönchen. Ich möchte bitte Verständnis haben… der Chip… Man werde mir das Gerät bei meiner Rückreise unangetastet zurückgeben.
Mehr erklärte er nicht. Ich hatte sofort das Bild aus Ramallah wieder vor Augen, als wir, eine Gruppe von Journalisten, Kulturanthropologen, Soziologen und ich, bei unserem Besuch Arafats ebenfalls die Handies abgeben mußten… da lagen sie dann, alle ausgeschaltet, in einem abgesperrten Vorraum in Reihe, zehn oder zwölf. So protestierte ich nicht, sondern reichte ihm das Telefonchen. Er steckte es, wobei er Dankesehr sagte, in die rechte Tasche seines dunkelanthrazitnen Jacketts.
Dann ging es weiter, ungefähr noch einmal anderthalb Stunden.
So daß ich am späten Nachmittag im Paradies war.
Ich stelle mir das so vor: Der Libanon war bis 1941 französisches Mandatsgebiet, das Französische hat nach wie vor, las ich, großen Einfluß, Beirut galt einmal als Paris des Ostens – warum sollte nicht in diesem – gemessen an den nur rund vier Millionen Einwohnern (Berlin allein hat dreieinhalb!) – riesigen Terrain, zumal hier in den Bergen, ein französischer Privatbesitz geblieben sein, eine Art persönliche Miniaturkolonie des Gräfins mit, wie ich fantasiere, ganz eigener Gesetzgebung, die feudale, nämlich monotheistische Grundzüge trägt, vielleicht nicht nur Gundzüge… – oh ja, wenn er das liest – und er wird es lesen, bevor ich es einstellen darf -, wird ihn das vergnügen! Aber man läßt mich auch wirklich mit meinen Spekulationen allein. Zu deren Eigenschaft gehört, daß ich nicht einmal sagen kann, wo genau dieses Besitztum liegt. (Zum Beispiel darf ich nicht googlen… ich solle es gar nicht erst versuchen, bedeutete mir Monsieur Jamil; Google maps, zum Beispiel, wär mir äußerst hilfreich. Nein, es solle, so Jamil, die geographische Lage Jamesvilles nicht bekannt werden, Monsieur Le Duchesse lege äußersten Wert darauf. Doch wenn ich mich an die Spielregeln hielte, wäre das ganz gewiß nicht von Nachteil für mich. Wobei er süffisant lächelte.)
Beschreiben darf ich die Liegenschaft aber.
Das Areal besteht aus viel Fels, die fünfsechs, deutlich europäisch wirkenden Gebäude, darunter eine Art Hazienda, liegen im Tal, das offenbar künstlich bewässert wird, denn es gibt einen höchstgepflegten Golfplatz. Es gibt sogar ein Wäldchen – sind das die berühmten Libanonzedern? Ich werde fragen. Eine agrarische Sektion, also eine Art Hof mit kleinen Traktoren, Stallungen vielleicht (Pferde? aber ich sah noch keines), doch nur wenige Menschen waren bisher zu sehen; hin und wieder ging ein Araber den Weg entlang, das sah aber nicht wirklich so aus, als hätte er etwas arbeiten wollen oder gar müssen. Den rechten Hang hinan noch ein paar flache Würfelhäuser, eines hat ein niedriges Minarett – rechts, das ist, dem Sonnenstand nach zu schätzen, Westen. Gesindeewohnungen also?
Doch stimmt nicht, was ich eben schrieb. Ich sah andere Menschen, einige, aber eben erst abends, hier. Denn – es gibt das Frauenhaus. Nur will ich nichts vorwegnehmen, sondern in der Chronologie meiner Wahrnehmung bleiben, der meiner Reise und Ankunft.

In einem zweistöckigen Haus bin ich untergebracht, das man eine Villa nennen könnte, wäre es nicht aus grauen, fast groben Steinen errichtet und machte ebenfalls einen bäurischen, aber europäischen, nordeuropäischen Eindruck. Das aber nur außen. Die Innenausstattung ist geradezu liebevoll und sehr durchdacht, zugleich auf bestem technologischen, will sagen: auch hygienischen Stand, wobei die untere Etage aus einem einzigen Raum besteht, einer Wohnlandschaft, würde Schöner Wohnen das nennen; Küche integriert (nur woher nimmt man die Ingredenzien, um zu kochen? sieht alles komplett unbenutzt aus), die sogar zwei Herde hat: einer wird mit Elektrizität, der andere mit Gas betrieben; acht (!) Flammenstellen insgesamt. Der Wohnbereich selbst tatsächlich pseudokolonial: dunkel gebeizter Bambus: Tische, Stühle, sogar die Schränke. Teppiche auf den Böden: ich mag gar nicht mehr anders, als barfuß zu gehen… seit ich‘s gestern abend zum ersten Mal tat. Man macht sich keine Vorstellung von dieser Weichheit unter den Sohlen. Man könnte auf diesen Teppichen schlafen. Vielleicht werde ich das in einer der kommenden Nächte auch tun: mir einen Teppich auf die Terrasse ziehen, dort mich legen unter das Sternenzelt. – Es war eine spektakuläre Nacht, gestern, als ich hinauf ins All geschaut habe und „Schöpfung“ denken mußte –

Doch, wie geschrieben, der Reihe nach –

Das Abendessen war, ohne daß ich jemanden sah außer Jamil, in der Hazienda aufgetragen worden, es stand alles schon bereit, und ich blieb, nachdem Jamil wieder gegangen war, ganz für mich allein. Aß, trank, sann erneut darüber nach, was mit der Prüfung gemeint sein könne, der ich mich zu unterziehen hätte – darüber hob sich der Vorhang aber erst spät, fast schon zu Mitternacht, nachdem ich noch einen kleinen Gang über das Gelände unternommen hatte, dessen teils Kies-, teils Sandwege von Laternen erleuchtet sind, sowie die Dämmerung einsetzt. Es war da fast völlig Stille, von Schreien von, wahrscheinlich, Tieren abgesehen, die aus der Ferne kamen, in der Ferne auch blieben, aber sich im Echo der Berge verstärkten.
So kehrte ich denn in meine Bleibe zurück. Die Häuser sind nicht verschlossen, die Türen haben gar keine, auch nicht der Hazienda, Schlösser. Insgesamt ist das Gelände ungesichert, sofern es nicht, was ich vermute, bewaffnete Wachen gibt, in Unterständen. Aber, sozusagen, „nach außen“ wirkt es vollendet friedlich.
Ich setzte mich an den großen Bambustisch, hatte schon, als ich mich einquartierte, die mitgenommenen Argo-Seiten herausgelegt, dazu den Bleistiftstummel, Radierer, Highliner, Lineal, und weil es hier absolut keine Unterhaltungsgerätschaft gibt, weder ein Radio noch einen Fernseher, wirklich gar nichts, auch keinen CD-Player, keine Boxen – ich habe auch nirgendwo, auch nicht in der Hazienda, eine Zeitung gesehen, – weil dem so war, dachte ich, vielleicht noch eine Seite durchzukorrigieren, konnte mich aber nicht konzentrieren und ging ins obere Stockwerk, um mich zu duschen und dann schlafenzulegen.
Als es klopfte.
„Ja bitte?“
In der Tür stand eine höchstens sechzehnjährige Frau mit einem so anrührenden Lächeln, daß ich sie wie eine Erscheinung ansah, und bat mich mit ihrer hohen, aber in keiner Weise flachen Stimme, ihr zu folgen – zumal in völlig akzentfreiem Deutsch.
„Jetzt?“
„Jetzt.“ Das war sehr entschieden.

(Oh, ich soll unterbrechen. – Jamil.
Netzzeit sei nur von von halb elf bis elf. – Ich melde mich später wieder. Libanonzeit ist der unseren eine Stunde voraus. Hatte ich ganz vergessen.)

>>>> Jamesville/Dschanna 2
Der A n l a ß <<<<

„art moves“ 5th international festival of art on billboards (fotos)

„so sorry billboard“ © anatol knotek

 

„so sorry billboard“ (aufbau 1) © anatol knotek

 

„so sorry billboard“ (aufbau 2) © anatol knotek

 

 

von links nach rechts: egor kraftanatol knotek

 
heute erhielt ich einige fotos vom „art moves“ festival, bei welchem ich zur zeit mit einer arbeit teilnehme. mehr fotos und informationen über das festival gibt es hier: http://artmovesfestival.org/ und auf dieser facebook seite: http://www.facebook.com/pages/Art-Moves-Festival/222833667733103
 
ein kurzer tv-bericht (auf polnisch) kann hier betrachtet werden: 

Wann ist dein Buch denn fertig?

“Und wann ist dein Buch fertig?” fragte Vater.

Kurz zuvor hatte er gefragt, wie ich meinen Nachmittag verbringen würde, worauf ich “am Schreibtisch” geantwortet hatte, und jetzt antwortete ich zögernd “Mein Buch..? Fertig? Nächstes Frühjahr..”, zögernd und wie aus der Luft gegriffen, es gab nämlich keinen Zeitpunkt, keinen Masterplan. Ich hätte auch “nächste Woche” antworten können, das wäre nicht weniger richtig oder falsch oder wahrscheinlich gewesen.

Zwar gab es immer wieder mal Anstöße für ein Buch, ob von aussen oder innen, doch alle Welt forderte einen Roman, auch ich forderte diesen Roman von mir, doch da war kein Roman. In mir.

“Was wird das denn für ein Buch?” liess Vater nicht locker. “Ein Familienroman?”

Ich blickte ihn an. Wir standen im Flur der Wohnung, in der ich aufgewachsen war, es war Mittag und ich bereit zum Aufbruch. Der Hund an meiner Seite junkerte schon nervös, weil er endlich losmachen wollte, und in mir regte sich Dankbarkeit.

“Ja.. eine Familengeschichte”, sagte ich froh.

*

Da fällt mir beim Durchblättern eines alten Fotoalbums meiner Eltern Post in die Hände, die ich selbst verfasst habe, Post an meine ältere Schwester. Der Brief stammt aus dem Sommer 1971, als an der Mosel vor meinen Augen ein Mensch ertrunken war. Ein Taucher.

Daniel Gerards Butterfly war 1971 der Sommerhit. Sommmerhits sind lästig, wie Stubenfliegen. Bleiben überall haften mit ihren widerlichen kleinen Pfötchen, und wenn man sie verjagt, sind sie keine halbe Minute später zurück und kleben nur um so fester am Kofferradio, im Gehirn, an der schmierigen Butterdose.

Im Sommer zuvor war In the Summertime von Mungo Jerry der Sommerhit an der Butterdose gewesen. In the Summertime hatte ich sogar als Single gekauft, eine brettharte Pressung, in Holland, wo wir in Urlaub waren. Meist fuhren wir in den großen Sommerferien an die holländische Küste oder zum Gardasee, doch alle paar Jahre war Mutter dran mit einem Urlaubswunsch, und sie wollte lieber in die Berge.

Nun liegt Zell an der Mosel nicht wirklich in den Bergen, aber immerhin gibt es dort Weinberge, wohin man auch blickt. Zell a. d. Mosel war eine Art Friedensangebot meines Vaters, für den es nichts schöneres gab als den Wellen der See zu lauschen, wenn er spätabends im Zelt lag und an Bournemouth zurückdachte, dem englischen Seebad, wo er die aufregendste Zeit seines Lebens verbrachte, zwischen 1945 und 1947 in englischer Kriegsgefangenschaft. Bei den Tommies, wie er sie stets respektvoll nannte, wenn er von ihnen erzählte. Bei den Tommies mit dem fussig roten Haar.

Die deutschen Kriegsgefangenen arbeiteten in einer Kolonne. Zehn Burschen vielleicht, alle um die 17, im letzten Moment noch in den Krieg geschickt und glücklicherweise in Gefangenschaft geraten. Ihre Aufgabe bestand darin, Strandbefestigungen abzubauen. Ein englischer Soldat war ihnen zur Seite gestellt, Johnny, Anfang zwanzig, immer auf der Suche nach einem guten Geschäft.

Eines Tages schlugen ihm die Deutschen vor, aus den vielen am Strand angespülten Jutesäcken Sommerschuhe anzufertigen und sie den britischen Urlaubern zu verkaufen. Britische Urlauber 1944? fragte ich. Ja, antwortete Vater. Die gab es.

Um Schuhe herzustellen, musste man die Säcke zunächst aufschneiden, dann im Meer den Sand rauswaschen und in der Sonne trocknen lassen. Die Sackleinen aufriffeln und neu flechten bis daraus eine Schuhform entstand inclusive der Leisten. Englische Rentner saßen an der Promenade und guckten den Prisoner of War (POW) bei der Arbeit zu.

Johnny wurde prozentual am Gewinn beteiligt. Die provisorischen Sommerschuhe verkauften sich blendend. Sie hielten zwar nicht länger als eine Saison, aber dann waren die POW’s sowieso über alle Berge. Nun meinte Johnny, er könne schlecht mit dem geschulterten Karabiner durch den Sand laufen und Schuhe verhökern, das sähe verdächtig aus, also machten die POW’S den Vorschlag, das Gewehr solange im Bauwagen zu lassen, der den Deutschen als Aufenthaltsraum zur Verfügung stand.

Währenddessen zog Johnny mit einer ausladend großen Sporttasche voller Sommersandalen über den Strand und verkaufte sie an Einheimische. Auch am Bauwagen hing in englischer Sprache eine Tafel mit dem Tagesangebot aus:

Clarks!

*

Aber ich wollte ja vom Tod des Tauchers erzählen und von dem Brief, den ich an meine Schwester geschrieben hatte. Der Campingplatz in Zell lag direkt an der Mosel. Wie immer dauerte der Aufbau des Hauszelts seine Zeit, weil Vater jede Zeltstange durchmarkiert hatte und nur er das System durchschaute, welche Stange in welcher Farbe nun zu welch anderen Stange in welcher Farbe gehörte.

Für mich war der Zeltaufbau zu Beginn jedes Campingurlaubs nichs als Anhalter- und Steckerei: Halt mal die Stange fest, nein, die andere Stange, steck die mal da rein. Nein, nicht die. Die andere. Da rein.

NICHT DA!

Nur eine Viertelstunde entfernt ist ein Strandbad, schrieb ich an meine große Schwester. Bisher haben wir es aber nur auf Bildern gesehen. Darauf sah es ganz toll aus. Morgen werden wir, wenn wieder schönes Wetter ist, dahin fahren.

Natürlich konnte man auch in der Mosel baden, aber ich war skeptisch, was das Baden in Flüssen betraf. Daheim wäre doch auch kein Mensch auf die Idee gekommen, freiwillig in die stinkige Wupper zu steigen. Immerhin roch die Mosel besser als unsere Wupper. Sie sah auch besser aus. Flussiger.

Ich maß die Entfernung zwischen unserem Stellplatz und dem Flußufer ab. Exakt acht Meter.

Neben uns stehen jede Menge Belgier und Dänen, und alle sprechen Deutsch. Aber wir? Was können wir Deutsche? Wir können keine Sprache. Nur unsere eigene.

Endlich hatte Vater die Schlafkabinen eingehangen und Mutter die letzten Campingutensilien ins Zelt eingeräumt. Es war ein stickig heisser Nachmittag, Kinder planschten im Wasser. Ich hatte diesen Mann mit Taucherbrille und Schnorchel schon beobachtet,  wie er langsam die Mosel abtauchte. Der Fluß war an dieser Stelle nicht tief, hüfthoch vielleicht, man konnte überall stehen. Plötzlich war der Schnorchel weg. Ich sah ihn nicht mehr. Es war ja auffällig gewesen, dieses ruhige Gleiten des Schnorchels, der aus dem Wasser gelugt hatte wie das Periskop eines U-Boots.

Immer mehr Camper kamen zum Ufer gelaufen, es standen plötzlich überall Leute und riefen wild durcheinander. Ein richtiger Tumult. Ein paar tatkräftige Männer stiegen im Wasser. Irgendwo lief Radio. Ich hätte es besser gefunden, jemand hätte es leiser gedreht oder das Radio ganz ausgemacht. Als der Platzwart auftauchte, schrie er die hilflos herumstehenden Leute an: “Hat einer was gesehen??!” Als keiner antwortete, drehte er durch. “Warum sagt keiner was, um Himmels Willen??! SAGT DOCH WAS!” Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen.

Als die Polizei endlich mit einem Rettungsschwimmer kam, er hatte eine Gasflasche auf dem Rücken, war der Taucher schon längst tot. Schnell hatte der Rettungsschwimmer den Mann gefunden. Wahrscheinlich hat er einen Schlag bekommen, meinte Papa. Denn das Wasser ist ja nicht tief, man kann überall stehen. Er hat sich bestimmt nicht abgekühlt.

Genau vor unserem Zelt, auf der Wiese, wurden Versuche unternommen, den Mann wieder zum (Atem) atmen zu bringen. Das dauerte bestimmt eine Stunde.. genau vor unserem Zelt! Allerdings durften wir Kinder das nicht sehen. Auch Mutti und Papa waren sich am gruseln.

Es war brütend heiss im Zelt, und mein kleiner Bruder, der nie still sitzen konnte, fing an Ärger zu machen. Er war wie ein junger Hund. Das war nicht schlecht, denn so war ich aus der Schusslinie und konnte einen heimlichen Blick nach draussen werfen. Einmal fuhr eine kleine Windbö ins Zelt und bauschte den Vorhang auf, den meine Mutter extra heruntergelassen hatte, damit wir nicht sehen konnten, wie der Tod sich was zum Fressen holte, doch dann sah ich es für einen kurzen Moment: wie dieser Masseur in weissen Hosen den Brustkorb des Tauchers bearbeitete und nicht aufhörte. So einfach geht das? dachte ich. So einfach geht Wiederbelebung? Aber es ging nicht so einfach.

Dann dauerte es nochmal eine Stunde, bis der Leichenwagen kam und den Toten abholte. Er war ganz blau angelaufen und hatte einen aufgeblähten fetten Bauch. Jetzt ist er ein Wassergespenst, sagte Mutter. Mehr will ich darüber nicht schreiben. Hier auf dem Campingplatz gibt es zum Glück auch einen Kiosk. Na, Kiosk kann man es nicht nennen, nämlich es ist ein paar Mal so groß wie die Bude von Frau Drexelius. Und wie geht es euch? Gut?

Viele Grüße.

Mississippi River Road 17 | In den Hinterzimmern des Staates Mississippi : Reise, Tag 11b

CLARKSDALE , MS | EXKURS : JOHN DEERE | REKURS : ZIELEINLAUF GREENVILLE | RELATED | ROUTE : GEOLOC

| on the road |

clarksdale map

Davon , dass das Städtchen Clarksdale ( MS ) Anfang des 20. Jahrhunderts den “Golden Buckle in the Cotton Belt ” ( etwa : die goldene Schnalle des Baumwollgürtels ) darstellte , ist längst nichts mehr zu sehen . Alles dreht sich hier um die Highways 49 und 61 , wie es auch etliche Exponate im Delta Blues Museum nahelegen . Wie bereits bei den Sun- Studios ( Memphis ) oder den Exponaten des kultigen Stax- Labels ( ebda ) erweist sich Musik und deren Hintergrund als schwer ausstellbar , dafür nimmt eine unifomierte Schülergruppe Aufstellung nach Orgelpfeifen und treppauf : Choreographie eines Erinnerungsfotos .

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No cheeez please !

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Grobstofflichere Versorgung im General Store von Miss Del (-ta ) : Feed , Seed , and all the stuff you need .

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Leerstand an der Rotfront –

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Grüne Zone : Unsicherheiten bei der genauen Identifizierung von Baumwolle vs Soja  . Wir rufen zwar kräftig in die Felder hinein – allein : es will keine Antwort zurück schallen –

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Mit Stühlchen und Sesselchen im Alu- Schlagschatten : 1 Äusserst gemütliches Arrangement im Gegensatz zum längst verdorrten Kino | Club “New Roxy” .

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Bitte die rechter Hand platzierte mit Noten in der Lehne adornierte Gusseisen- Bank beachten . We are clearly out of here .

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EXKURS : JOHN DEERE

Seien es Landmaschienen , Erntehelfer oder Schaufelbagger : die durch ihre gelb- grüne Lackierung mühelos erkennbare Bärenmarke unter den Traktoren lassen wir ( mit nachträglichem Bedauern ) aus “Zeitgründen” beiseite . Zwar fahren wir am World Headquarter ( Moline , IL ) sowie am Visitor Center ( Dubuque , IA ) ungerührt vorbei . Jetzt aber , am Highwy 61 und kurz nach der Abzweigung in Richtung des Ortes Alligator ( aber was bedeutet dies , wenn alles Lokale entweder “Delta” oder “Alligator” heisst ? ) können die routentechnischen Verfehlungen zwar nicht rückgängig gemacht werden , so bleibt doch der John Deere- Bagger in Elvis’ Graceland und die hier in Mississippi ausgestelllte kleine Flotte , welche gleich Rieseninsekten auf ihren Einsatz warten .

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Dass die Deere – Kultur langsam auch in Europa Fuss fasst , erweist das Szenario , welches zur Möblierung | Landschaftgestaltung von Märklin- Wohnzimmr- Eisenbahnen in ausgesuchtem Fachhandel erworben werden kann .

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John Deere im Matchbox- Format : Click pic to XL

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REKURS : ZIELEINLAUF GREENVILLE

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Der Grand River , trügerisch blau –

Auf mittleren bis grösseren Strässchen via Rosedale langt in|ad|ae|qu|at um 7 pm im Uferstädtchen Greenville an . Zugegeben sind wir einigermassen weich gekocht ( bei 100°+ F bzw. 38° Celsius ) , umso flotter rekognosziert der Spähtrupp zunächst den ungewohnt blau leuchtenden Mississippi . Merks : Es sind ( siehe Stoddard , Wisconsin ) die gnädig schräg einfallenden Sonnenstrahlen , welche am Tagesanfang wie an dessen Ende von dem schlammbraunen Aggregat ablenkt und mit Spiegelungen des Himmelzeltes auffüllt .

Wie jeden Abend ( egal ob in Gdansk oder in einem jener Heartbreak- Hotels , welche die Route 66 säumen ) wird das – zuvor online gebuchte –Best Value– Motelzimmer mit routnierten Handgriffen initialisiert : Air Condition aus , Kühlschrank an , Eis holen fürs köchelnde Bier . Inzwischen die dampfend- schwitzenden Koffer öffnen , Fotos in den Laptop überspielen und insgesamt fünf Akku- Geräte ( den passenden Verteiler haben wir wohlgedacht mitgebracht ) aufladen .

In Sachen “groceries” fahnden wir – wie es zunächst scheint – vergeblich nach einem dieser fensterlosen und an Forts erinnernden Monstershops . Immerhin braucht es drei Mc Domald’s , zwei KFC [ Kentucky Fried Chicken ] , zwei Subway- Outlets plus zweimal Taco Bell , bis wir den bunkerartigen Walmart entdecken . Wer bisher glaubte , hier kaufe man billig , muss schon angesichts des massiven tagesfrischen Angebots ( etwa von Grünzeug und Fleisch . Oder die schier endlosen Phalangen von cereals ) mit gewaltigen Abschreibungen rechnen : Gleichwohl ist das Aufgebot von insgesamt 37 verschiedenen peanut- butter– Marken ziemlich imposant .

Allerdings sollte man hier nicht unbedingt abhängen , da allseits kräftig gegegn -”loitering” agitiert wird . Was bedeutet , dass eine Jede , ein Jeder eigentlich jederzeit von überall weggewiesen werden kann .

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ROUTE : GEOLOC

Route : Tunica ( MS ) – Helena ( AR ) – Clarksdale ( MS ) – Rosedale ( MS ) – Greenville ( MS )*

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* Hier finden Sie ein Register der US- Staaten samt deren Buchstaben- Codes .

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