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Kurztitel & Kontexte bis 2013-02-02

Kurztitel & Kontexte bis 2011-06-26

Argumente aus Ägypten

Am vergangenen Samstag gab es in Olgas und meiner WG ein Frauenfrühstück. Gegen elf Uhr ging‘s los. Wir haben kichernd und gackernd bis nachmittags um vier zusammen gesessen. Ich wusste nicht, dass zu so einem Frühstück Sekt dazu gehört. Ich hätte bei Olga angenommen, dass sie eine Flasche Vodka mitbringt. Aber auch die Flasche Sekt, aus der dann auf eine mir nicht erklärbare Weise zwei geworden sind, hat zu unserer guten Laune beigetragen.

Zuerst ging‘s natürlich um Männer. Ich glaube, das war das eigentliche Ziel des Frauenfrühstücks, das auf Olgas Vorschlag zurückging. Wenn schon keine Männer anwesend sind, muss man/frau zumindest über sie reden. Aber das Thema hat nicht so richtig eingeschlagen, ich habe derzeit nichts beizutragen, Dalia hat einen Freund und war an Männern im Allgemeinen nicht interessiert und Martina und Leyla sind ein Paar. Dann haben wir das Thema gewechselt und sind auf die deutsche Kultur zu sprechen gekommen, dann ging‘s um unsere eigenen Kulturen im Verhältnis zur fremden (deutschen), um kulturelle Identität, und vor allem um das Thema, dass die Sprache dem Menschen noch lange nicht ermöglicht, in dem jeweiligen Land zu navigieren. Es sind sehr viele Verhaltensweisen und Verständnisweisen, die nicht sprachlich vermittelt sind, und die Olga kongenial zusammengefasst hat – wie gesagt, das war kein wissenschaftliches Symposion, das war ein Frauenfrühstück mit zwei Flaschen Sekt – als sie sagte: „Ich? Nix verstehn!“

Olga spricht seit drei Jahren Deutsch und sie hat‘s nach eigenen Angaben ausgetauscht gegen ihr Spanisch. Angeblich an einem einzigen Tag: sie hat die eine Sprache vergessen und die andere erlernt. Leyla spricht seit zehn Jahren Deutsch, lebt aber nur das halbe Jahr in Berlin und das andere halbe in Teheran und muss sich zweimal im Jahr umstellen. Martina stammt aus Italien und ist hier und in Rom aufgewachsen, hat einen leichten Akzent, spricht aber annähernd das Niveau einer Muttersprachlerin. Dalias Eltern kommen aus Ägypten und auch wenn zu Hause arabisch gesprochen wird, spricht sie das absolut akzentfreie Deutsch einer Akademikerin. Sie ist Muttersprachlerin, sie ist hier geboren und sie hat einen deutschen Pass. Aber sie sieht nicht aus wie eine Deutsche. Sie hat bronzefarbene Haut und Korkenzieherlocken, die in alle Richtungen abstehen. Wenn ich sie sehe, und wir sehen uns derzeit nahezu jeden Tag in der Bibliothek, dann spüre ich ein kaum zu unterdrückendes Verlangen, ihr an den Haaren zu ziehen. Ich muss das ganz stark unterdrücken, links und rechts diese Locken anzufassen und vom Kopf weg auseinanderzuziehen. Ich will ihr damit zeigen, dass ich sie gern habe. Aber vielleicht versteht sie das falsch. Weiß der Himmel, was diese Ägypterinnen denken, wenn man ihnen an den Haaren zieht!

Olga findet, sie selbst sähe wie eine Russin aus. Aber sie findet nicht, dass Leyla wie einer Iranerin aussieht. Dalia findet das schon. Leyla hingegen hätte Dalia niemals als Araberin eingeschätzt. Martina sieht aus wie eine Italienerin und sie fühlt sich auch wie eine, sagt aber auch, dass das eine Art Trotzreaktion ist. Ich weiß nicht wie ich mich fühle, gemischt wahrscheinlich, spreche ebenfalls akzentfrei Deutsch und sehe nach allgemeiner Auffassung aus wie eine Irin, wegen der hennafarbenen Haare. Auf meine Frage, wonach ich mit meinen ungefärbt braunen Haaren aussehen, sagt Olga: nach nichts.

Etwa eine Sekunde später und einen Zentimeter neben ihrem Kopf schlug die erste Bombe an die Wand, leider bloß eine Weintraube. Aber Olga hat geguckt, als würde sie vom Zug überfahren. Über den weiteren Verlauf dieser kleinen frugalen Auseinandersetzung breiten wir hier gnädiges Schweigen. Die Obstvorräte waren danach jedenfalls deutlich dezimiert und wir fünf aufs Äußerste erheitert und befleckt. Geht also alles auch ohne Männer.

Dann ist Olga in ihrem Zimmer verschwunden, Leyla und Martina mussten weg. Also blieben nur noch Dalia und ich: zum Spülen und Aufräumen. Dalia schreibt gerade ihre Bachelorarbeit in Politikwissenschaft. Sie hat eine Umfrage gemacht und ist sogar nach Ägypten dafür gefahren. Sie hat sich die Ergebnisse ihrer Arbeit von sehr weit hergeholt. Während wir spülen und über die Uni reden und darüber, was Dalia im Anschluss studieren könnte, kommen uns allerlei wilde Ideen und es dauert nicht lange und wir entdecken eine neue Wissenschaft.

Die Welt ist inzwischen einigermaßen globalisiert, Multi-Kulti an allen Ecken, mit unserem internationalen Frauenfrühstück haben wir da ein deutliches Zeichen gesetzt. Nur die Wissenschaft ist noch nicht soweit: Amerikanistik, Germanistik, Islamistik, etc etc. Unser neues Fach – wir beide werden natürlich Professorinnen und unterrichten das auch, wir werden Dekanin und Fachbereichsleiterin – schafft da Abhilfe. Wir haben noch keinen Namen und wir brauchen natürlich auch noch ein schönes Institutsgebäude. Das Curriculum und die Inhalte sind noch nicht zur Gänze ausgearbeitet. Die derzeit einzige Bedingung ist, dass, was immer unterrichtet wird, welche Inhalte vermittelt werden, ob es feministische Ansätze gibt, etc etc, es gibt derzeit nur eine einzige Bedingung in diesem globalisierten Fach: es muss alles möglichst weit hergeholt sein!

Früher sind die Gewürze aus Indien gekommen, die Düfte und Wohlgerüche aus Arabien und der Kaviar aus Beluga, die Orangen aus Spanien und die Ananas aus Caracas. Heute kommen die Strukturen aus Russland, die Intellektuellen aus Frankreich, die Professorinnen aus Rumänien und, darauf legt Dalia großen Wert, die Argumente aus Ägypten.

Wir glauben nicht mehr an eine rein deutsche Kultur. Oder an eine rein französische. Wir glauben nicht an die Nationalhymne und wir glauben vor allem nicht an Fußballnationalmannschaften. Wir sind Kinder einer globalisierten Welt und wir wollen eine entsprechende Wissenschaft. Eine Wissenschaft, die diese Welt in der wir leben, adäquat begreift und beschreibt. Und ihre einzige Bedingung lautet: es muss alles möglichst weit hergeholt sein!

Wir lagen auf dem Boden vor Lachen und ich habe Dalia bei dieser Gelegenheit endlich an den Haaren gezogen. Das hat einen Heidenspaß gemacht! Darum beneide ich ihren Freund, das würde ich jeden Morgen im Bett bei ihr machen.

Wenn auch nicht jede Zeile gleich erhellt:
geschehn aus unablässigem Bestreben.
Aléa hat’s hierher gestellt,
und zwar soeben.

Bamberger Elegien. Anmerkung zur „Fünften Fassung“.

Bamberger Elegien (112). Anmerkung zu den neuen Fassungen ab September 2009 („Fünfte Fassung“).

[Scelsi, Maknongan.]

Auf die Idee brachte mich Αναδυομένη, >>>> als ich ihr vorlas (15.05 Uhr im Link). „Das ist wie Prosa“, sagte sie, „aber es ist auch n i c h t wie Prosa, etwas irgendwie dazwischen ist es.“ In dem Moment wurde mir klar, daß ich die Zeilenbrüche wegnehmen und die Elegien wie Prosastücke durcharbeiten muß. Dann geschieht nämlich das, was ich mir eigentlich oft auch so vorgestellt hatte: der Hexameter bleibt als durchlaufender Grundbaß erhalten, aber drängt sich nicht mehr so vor, wie wenn man die Elegien in Zeilenbrüche setzt. Vielmehr schwingt der „Prosa“text hexametrisch. Ich merke zugleich, daß mich das Verfahren sehr sensibilisiert; wo ich vorher geneigt oder gezwungen war, der Regel halber Füllwörter einzufügen, nehme ich sie jetzt weg und mache die entstehenden Brüche vermittels anderer Einfügungen und Streichungen geschmeidig; aber nicht nur formal, auch expressiv und in der Wort- und Bildwahl werde ich heikler; heikel genug war ich zwar eh, aber indem ich es nun nicht mehr mit einem Korsett aus Fischgräten, sondern aus feinsten, sagen wir, Fiberglasstäben zu tun habe, kann ich „freier“ modulieren. Was das dann schließlich werden wird, formal, ist mir unklar, irgend etwas in Richtung Novalis, Hymnen an die Nacht, in Richtung Rimbeau, Un saison en enfer, in Richtung ich weiß nicht.
Ein Stichwort ist „Schlichtheit“; der Zeilenbruch erhöht die Verse, die Prosafassung nimmt die Erhöhung in ein scheinbar Sachliches zurück, das das Pathos viel besser trägt, spüre ich. Dennoch stelle ich mir jetzt vor, daß ich die Elegien, sollten sie unwahrscheinlicherweise doch einmal als Buch erscheinen („kein Mensch druckt dir das“, denke ich ständig), schmaler setzen lassen will als eine narrative Prosa, mit breitem linken Rand; so etwas steuert die Leseerwartung. Auch will ich nicht mehr „die erste Elegie“, „die zweite Elegie“ usw. über die einzelnen Texte schreiben, sondern sie einfach durchnummerieren, vielleicht sogar ohne neue Seitenumbrüche zum je nächsten Gedicht, sondern wie Romankapitel. Das wird das Buch schmaler machen, bzw. ein Format erlauben, daß man es sich in die Jackentasche stecken kann – so, wie >>>> Cellini sich das in der noch frühen Entwicklungsphasen dieser Gedichte vorgestellt und gewünscht hat, was wiederum beim langzeiligen Hexameter buchtechnisch nicht darstellbar gewesen wäre.
Seltsam übrigens. Als ich die Elegien begann, waren sie als Fingerübung für den noch zu schreibenden Epilog von >>>> Anderswelt III gedacht, der im Hexameter stehen soll, aber ohne daß man das am Zeilenbruch sieht, also als Prosa. Jetzt komme ich mit den Elegien genau dort an, wo ich mit Anderswelt „landen“ wollte. Die Lösung hab ich also alle Zeit schon in mir rumgeschleppt und den ganzen Wald vor Bäumen nicht gesehen. Das ist nicht ohne Komik, vor allem, wenn man bedenkt, daß so gut wie alle meine Gedichte seit Juli 2006 von den Elegien ihren Ausgang nahmen und dann offenbar rückwirkend die Elegien beeinflußten.

>>>> BE 113
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