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Litblog von Matthias Politycki verschwunden

via blogbar:

sueddeutsche.de: Es gab doch auch Internetzugang an Bord – Sie haben von dort aus ein tägliches Blog in die Welt geliefert. Wie haben die Mitreisenden auf dem Schiff darauf reagiert?

Politycki: Die Passagiere sind meist in einem Alter, wo man sich nicht mehr so sehr ums Virtuelle kümmert. Und die Mannschaften laden in der Regel nur schnell ihre Mails herunter, Surfen kommt an Bord ja ziemlich teuer. Die Offiziere hingegen haben meine Einträge sehr genau verfolgt, und es gab darunter durchaus welche, denen das alles nicht passte, schon allein die Existenz eines Schriftstellers an Bord. Andererseits: Von Deutschland aus hat man sehr genau verfolgt, was da täglich neu hochgeladen wurde, sozusagen ein bebilderter Fortsetzungsroman, es waren immer an die 1000 User auf meiner Seite.

Auch nach Recherchen der blogbar ist kein nochsokleines Stückchen aufgetaucht. Spurenlosigkeit? Und das bei dieser Reichweite? Wie macht man das?

Unabhängig davon, ob man der Aussage von den 1000 Lesern Glauben schenken will – ich habe mich auf die Suche gemacht, ob dieses Blog irgendwo Spuren hinterlassen hat. Berichte. Links. Andere Blogbeiträge. Ob es sowas wie eine Vernetzung zwischen diesem Blog und anderen Blogs gab.

Ergebnis: Fast nichts. Das Blog selbst finde ich weder auf der Seite, noch bei dem Reeder, der die Reise bezahlt hat. Auf der Website des Autors ist eine Leseprobe des Buches, das ist alles.

Sachdienliche Hinweise bitte hier:

“Voyage au bout de la Nuit” – Amnesie und Rücklektüre

Technorati , , , , , , , , , , ||| BEFREMDLICHE AMNESIE | NOTATE I : DER KRIEG , DIE FRAU , DIE HELDENERZÄHLUNG AN DER HEIMATFRONT | KLANGAPPARAT | HINWEISE

BEFREMDLICHE AMNESIE

ERSTER WELTKRIEG Spendenaufruf

Zweifellos vor 15 Jahren die bislang verstümmelte deutsche Fassung von Louis-Fedinand Célines vielstimmiger Vivisektion verschlungen . 2003 dann die erstmals vollständige deutsche Edition in der Übersetzung Hinrich Schmidt- Henkels ( Rowohlt ) gekauft … und – wie die Anstreichungen und Notate im Buch erweisen – unwiderleglich gelesen .

Sonderbar .

Offenbar sind sämtliche Lektüre- Erinnerungen inzwischen auf fremde Konten geflossen . Als hätten Curzio Malapartes “Kaputt” , die Bücher Henri Michaux‘ oder Conrads “Heart of Darkness” die verschiedenen Motive des Céline’schen Wechselbalges von Roman ( Singular ) aufgesplittet und in ihre jeweiligen Topiken aufgesogen .

Dieser Tage dazu einige Notate . |||

NOTATE I : DER KRIEG , DIE FRAU , DIE HELDENERZÄHLUNG AN DER HEIMATFRONT

1914 , Paris – Bardamu als Kriegsverwundeter auf prekärem Abruf : Staunen über das Treiben an der “Heimatfront”

Wir trafen uns meist in einem Café nebenan. Immer häufiger humpelten Verwundete durch die Strassen, oft abgerissen. Zu ihren Gunsten fanden Sammlungen statt, “Tage” für diese und jene, meist für die Organisatoren der “Tage” selbst. Lügen, ficken, sterben. Was anderes zu tun war seit kurzem verboten. Erbittert wurde gelogen, über alle Begriffe, über Lächerlichkeit und Absurdität hinaus, in den Zeitungen, auf Plakaten, zu Fuss, zu Pferde und im Wagen. Alle machten mit und logen um die Wette. Bald gab es in der Stadt keine Wahrheit mehr.

Der wenigen Wahrheiten, die es 1914 hier noch gab, schämte man sich mittlerweile. Alles, was man anfasste, war verfälscht, der Zucker, die Flugzeuge, die Sandalen, die Marmelade, die Fotos; alles, was man las, verschlang, aufsaugte, bewunderte, verkündete, bestritt, verteidigte, all das war nicht als Phantome des Hasses, Attrappen, Maskeraden. Selbst die Verräter waren falsch. Der Rausch zu lügen und zu glauben ist ansteckend wie die Krätze. Meine kleine Lola konnte nur ein paar Sätze Französisch, aber das waren patriotische Phrasen: “Wir kriegen sie! ….” “Komm, Madelon! …” Zum Heulen war das.

So beschäftigte sie sich beharrlich, ja schamlos mit unserem Tod, wie übrigens alle Frauen, sobald es in Mode kommt, für andere mutig zu sein.

ERSTER WELTKRIEG Popaganda Karte

Über die Darstellungs- Taktiken , den namenlosen Tod an der Front zu gerne gehörten Heldenepen zu verklären , wird Bardamu u. a. von einer seiner nächsten Geliebten belehrt . Die ehrgeizige Varietégeigerin Musyne ( “Ihre Entschlossenheit, es auf Erden zu etwas zu bringen und nicht erst im Himmel , war erbarmungslos.”) bringt sich und ihre Aufstiegs- Agenden nicht nur per “patriotischem” Einsatz an Fronttheatern voran , sondern speziell durch die aufgeblähte Epik , mit welche sie – nach Paris zurückgekehrt – dort die “besseren Kreise” buchstäblich blendend unterhält .

Sie wurde regelrecht gefeiert. Ganz närrisch war man nach meiner Musyne, der süssen kleinen Kriegsgegnerin! So frisch und lockig, und dann auch noch eine Heldin! ( … ) Die Poesie des Heldentums ergreift besonders unwiderstehlich all diejenigen, die nicht in den Krieg ziehen und am stärksten jene, die sich gerade enorm am Krieg bereichern. So geht das eben. ( … )

Musyne hatte sich aber auch eine allerliebste Blütenlese von Kriegserlebnissen zusammengesponnen, die ihr so hinreissend standen wie ein keckes Hütchen. ( …) Sie hatte die Gabe, ihre Erfindungen in eine gewisse dramatische Ferne zu verlagern, in der alles besonders eindringlich wurde und es auch blieb. Die Heldengeschichten von uns Kriegern selbst, das wurde mir mit einmal klar, waren daneben vergänglich und viel zu präzis. Meine schöne hingegen arbeitete mit der Ewigkeit. Man muss Claude Lorrain eben glauben, der Vordergrund eines Bildes ist immer abstossend, die wahre Kunst liegt darin, was Wesentliche eines Werks in die Ferne zu rücken, ins Ungreifbare, dorthin, wo die Lüge Zuflucht sucht, jener von den Tatsachen abgemalte Traum, die einzige Liebe des Menschen.

Strategien , wie sie beim patriotischen Poésie- Salon in der Comédie Francaise zur absoluten Groteske geraten ( samt Vorspiel des “heldisch” heulenden Chors der Elektroschock- Patienten des schönäugigen Psychiaters Bestombes ) . Letzterer erinnert uns fatal an Georg Kien , den Bruder des bis zur Autodafé um seine Bücher besorgten Gelehrten in Canettis “Blendung” .

“Die Frau und der Krieg” : Karl Kraus gegen die “Kriegsfotografin” Schalek , Bertha von Suttner über die “Scharpie zupfende” ( = Verbandmull statt Stickereien herstellende ) Weiberwelt in den Wiener Salons anno 1866 . |||

KLANGAPPARAT

Wir weigern uns , nur weil vom Krieg geschrieben wird , auf Musik zu verzichten . Cui bono ? – Damit wären wir wieder mitten in der Lüge der “Pietät” , welche zu “bewahren” es angelegentlich von Todesdingen die czz hörempfehlungBigotterie anrät . Trotzdem und deshalb gibt es da eine nicht zufällig mit PNEUMA benannte EP vorzustellen : Als “Atem” dem Leib , im Griechischen allerdings auch der Seele liiert , umfasst der Titel kurz und bündig das Spektrum dieser körperlich pulsierenden , gleichzeitig schwebenden Klänge . Und dies fern von jedweder Eso . Komponiert hat dieses im besten Sinne unspektakuläre Werk der in der Île de France lebende Alexandre Lehmann . Unter dem Pseudonym Zzzzra haben wir ihn bereits vor einigen Monaten schon einmal vorgestellt . Damals war das Netlabel [ schall ] der Gastgeber , heute ist es deepindub . CLICK TRACKS TO LISTEN : 01. Avalanche ( 6:07 ) | 02. Sumo ( 5:12 ) | 03. Pneuma ( 8:28 ) | 04. Grotesque ( 5:52 ) |||

HINWEISE


aber ich bin’s nicht, bin’s nie gewesen

kannst du einen hut schneidern? einen mit sonnenlöchern drin für die langen tage,
die bis in die nacht reichen, und für die langen nächte bis in den tag?

unter deinem spiegelglas ist ein finger gebrochen, treibt er umher, treibst du? – obskur, sagt er,
sag’ ich: fisch ihn raus, näh ihn an, richt ihn ein, hol die angel, scheißkerl du.

nein, gibt es nicht, so sitzend im kahn, dem romantischen, brauchst du ihn nicht, sagt er,
denn der mond brennt eh keine löcher in den kopf. nur ins gemüt, sag’ ich. er lacht. du lachst.

näh’ mir einen kopffetzen für die langen wassernächte, sag’ ich zu ihm und du:
hier ist ein knöchelchen, ich hab’s geborgen letzte nacht, als mir so romantisch war

innendrin.

fast zum sterben war mir vor lauter mond. aber leider hab‘ ich dir alle finger gebrochen
und dem wasser unter die haut geschoben. für später, wenn du weg sein wirst und er wird.

du spinnst, sagst du. ich spinne, sag’ ich. ich weiß, sag’ ich.
mit dem knöchelchen näh‘ ich mir ein segeltuch gegen den mond. du fädelst mich ein.

in der letzten nacht hat’s mir das herz versengt, sag’ ich, jetzt schlägt es.
er fährt mir unter die haut. klar doch: deine finger, immer deine finger.

wenn der wind in mein mondsegel weht, wehe ich mit. das sag’ ich zu dir: gib acht!
unpassend, sagst du, weil dich das knacken stört. aber ich bin’s nicht, bin’s nie gewesen.

Sudabeh Mohafez

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Als Tochter iranisch-deutscher Eltern 1963 in Teheran geboren. Stationen: Teheran – Berlin – Lissabon – Stuttgart. Langjährige Tätigkeit im Bereich der Krisenintervention und Gewaltprävention. Erste literarische Veröffentlichungen ab 1999. 2004 und 2005 erscheinen „Wüstenhimmel Sternenland“ (Erzählungen) und „Gespräch in Meeresnähe“ (Roman) im Arche Verlag. 2006 Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis, 2007 Poetikdozentur an der FH Wiesbaden. Zahlreiche Literaturstipendien.

Auswahlbibliographie:
2004 Wüstenhimmel Sternenland – Erzählungen / Arche Verlag
2005 Gespräch in Meeresnähe – Roman / Arche Verlag
2010 brennt – Roman / DuMont Verlag
2010 das zehn-zeilen-buch / edition AZUR

vierhundertfünfzig ist eine nicht ganz willkürliche zahl, die eine art visitenkarte ergibt, der man entnehmen kann, was eine person, die texte schreibt, so tut, wenn man ihr sagt, sie solle eine art visitenkartentext schreiben, zum vorstellen, nicht, wie sonst üblich, zum kontakthalten, und solle dafür so um die vierhundertfünfzig zeichen (mit leeren) einkalkulieren. ja. so ist das. und das hier sind vierhundertachtundvierzig (mit leeren).

Litblogs / URL:
zehn zeilen
http://eukapi.twoday.net/
wandzeitung
http://wandzeitung.twoday.net/

Benjamin Stein

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Foto: Chris Janik (2011)

Geboren 1970 in Berlin (ehem. DDR), Studium der Judaistik und Hebraistik in Berlin, zunächst freier Autor, Journalist, später Redakteur bei und Korrespondent für diverse Computerzeitschriften in Deutschland und USA,heute selbständig als Berater im Bereich Data Mining und Qualitätsmanagement in Data Warehouses, verheiratet, zwei Kinder, lebt in München.

Veröffentlichungen von Lyrik und Kurzprosa seit 1982 in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien, „Der Libellenflügel“ (Roman, in Auszügen, 1989), „Yatir“ (Theaterstück, 1990), „Das Alphabet des Juda Liva“ (Roman, 1995 Ammann Verlag, 1998 dtv), „Die Leinwand“ (C.H. Beck 2010, übersetzt in bislang 8 Sprachen), „Replay“ (C.H. Beck 2012), div. Preise für Lyrik und Prosa (mehr). Mitherausgeber der Literaturzeitschrift „spa_tien“.

die früheren frauen

in die blutkammer
neben die mutter gehängt
sind die früheren frauen nicht tot
ihr schweigen durchdringt
die wände des hauses
und sie klopfen noch immer
mit kühlen händen
in den rhythmus der tage hinein
manche stunde
gerät ins wanken
wenn das licht
günstig steht in einem
ihrer ab-
wesenden augen

Litblog / URL:
Turmsegler
http://turmsegler.net

Michael Perkampus

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Geboren 1969 im Fichtelgebirge. Sprachakteur.

Bibliographie (Auswahl): 1991 Equipe Propheta (Vermischte Schriften) Gideon-Verlag. 2007 Seelen am Ufer des Acheron (Roman) Edition Neue Moderne. 2007 Evolution der Unnahbarkeit (Die Gedichte 1986 – 2007) Edition Neue Moderne. 2008 Die Geschichte des Uhrenträgers (Erzählung) Edition Neue Moderne.
Sprechtheater: 2005 Ouroboros Stratum (Wortskulpturen). 2006 Timber (lyrisches Märchen). 2007 Die Gilde der peschwarzen Liebe. 2011 Guckkasten (Hörstücke) edition taberna kritika.

Das Wichtigste aber sind die ‚traumhaften Begebenheiten‘, die dem Dichter erscheinen. Eben: er denkt sie sich nicht aus. Sie sind ein jenseitiges Gespinst seiner Wahrnehmung.
Jedes Dichten ist erinnern, also: finden (auffinden, wiederfinden). Wie wenig ist das wert, wenn man keine Spache hat! Diese Sprache muß sich von jedem Vorwurf der Sprachkonvention freimachen, die ja nur zum beschreiben anhält. Nicht beschreiben sondern verdichten. In der eigenen Sprache sprechen, die wir nur in unseren Träumen lernen.

Litblog / URL:
Die Veranda
http://veranda.michaelperkampus.net/
GrammaTau
http://grammatau.blogspot.de/

Hartmut Abendschein

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„Hartmut Abendschein (*1969): Aufgewachsen in der Nähe von Stuttgart, dort auch Buchhändler, Studium der Germanistik und Anglistik in Konstanz und Glasgow, wiss. Dokumentar in Köln, lebt und arbeitet in Bern. Zuletzt erschienen: Dranmor (2012). Schellendiskursli / Schellenexkursli (2013). Recycling Le Tour de France (2014). Flarf Disco. Popgedichte (2015). nicht begonnenes fortsetzen. Text, Kontur, Schatten (2017). Arbeitsfelder: Prosa, Konzeptuelle und Experimentelle Literatur, Korpuspoetische Verfahren, Literarische Weblogs, Hybrid Publishing.“

krokodile geister hardware
farben der lenkung
verstehe ich nicht
und auch nicht
das blasen im wind

Litblog / URL:
taberna kritika – kleine formen
http://www.abendschein.ch/taberna-kritika/