Multimediales Sprechstück zum Buch:
Hartmut Abendschein
Schellendiskursli / Schellenexkursli.
Eine poetische Analyse des „Schellenursli“ mit einem Kommentaressay und zahlreichen Illustrationen sowie einem Nachwort von Elisabeth Wandeler-Deck
Multimediales Sprechstück zum Buch:
Hartmut Abendschein
Schellendiskursli / Schellenexkursli.
Eine poetische Analyse des „Schellenursli“ mit einem Kommentaressay und zahlreichen Illustrationen sowie einem Nachwort von Elisabeth Wandeler-Deck
Schellendiskursli, Szene 02
dass welt ein bilderbuch sei voller
bilderbücher hier das setting einer
kleinfamilie knapper stunde null gewisser
religionen schöpfungsakt (breit aufgestellt) von
heiligen familien muttern (rot) und vatern in
dezentem (grünen) blau stolz jakobinisch heisst
dann (logisch) nachwuchs bärchen
ursli das archivgesicht noch aus der
andern zeit ein buch in buch im buch
ein jesus sternbild wunschpunsch aller pärchen
was kann ein haus nicht alles sein als
buch als allegorisch fein gedachter ort erzählter
klein und grossgeschichten keller eingang
tore fenster öffnungen in die zu schauen lohnt
schornstein und vater raucher einer tuts
der andere nicht in diesem nu das
hausgesicht ornamentiert partiell kopf hirn und
heimat weiter namenloser elternschaft fungiert
reproduktion noch grösserer maschinen ich ist
eine werkstatt medien (dort ein vogel) tun dies kund
Zeichnung: Livio (7)
Schellenexkursli
(02) psyche, speicher, medien. mit dem willen zur kreativen interpretation ausgerüstet, werden wir wieder zurückgeworfen auf die gemachtheit dieses ereignisses und ortes als vielschichtigen text. in die buchform, die alle noch so auseinanderstrebenden (be)deutungsmöglichkeiten miteinander verbindet und rundet. ein buch schafft ordnung und zuversicht. sich die welt als buch vorzustellen (aurelius augustinus), gibt ihrer lesbarkeit einen rahmen, der die richtigkeit des passierenden unterstreicht. dass das urslielternhaus ornamente trägt (spiralen, tiere), die hier schon in versatzstücken später erzähltes enthalten, betont die wichtigkeit tiefenstruktureller beobachtung. dass wir geradezu mit einer familienaufstellung (nach hellinger) konfrontiert werden, einer methode der systemischen psychotherapie, ermuntert uns, den text auch psychoanalytisch zu berühren. er bietet dann mutter- und vaterfigur an zur identifikation und zum eintauchen in die struktur der kleinfamilie, und markiert diese als ausgangspunkt eines sich in auflösung befindlichen systems, auf dem weg zu einer neuen westlichen gesellschaftsform: dem losen verbund einer singlegesellschaft. aufsteller ist hier: der erzähler. kann dabei die farbwahl des bildes zufall sein? die mutter trägt die farben blau, weiss, rot – diejenigen der französischen revolution, wir nehmen das als stützenden beleg. historisch-strukturelle diskontinuitäten sollen aber nicht verschwiegen werden. ebenso finden sich auch: die heilige familie mit dem filius jesus, der vater (josef), ein handwerker (zimmermann). das haus ist der ort der heimat, der sohn zum reisen bestimmt. diese religiöse familia steht als literatur und als entwurfsvariante der psychoanalytischen gegenüber. gemeinsam werden diese bilder gespeichert in einem, dem literarischen archiv, und haus und umgebung zu dessen allegorie verdichtet: die menge der öffnungen, räume, auch als speicherfiguren unterschiedlichster situationen und handlungen. (im verhältnis zum kleinräumigen maiensäss, später, dem erweckungsort und ort der entbehrung:) wir nehmen einblick in ein raumgebilde, dessen reduktion eingeleitet werden muss, um (in der ausbreitung, in der narration) neues erzählen zu ermöglichen. das haus (mit seinen funktional unterschiedlichen teilen) fungiert aber auch zugleich als konstruktionsplan oder modell eines gehirns, in dem genau diese auseinandersetzungen und verhandlungen theoretisch stattfinden. das bild (mit haus, eltern etc.) wird zudem nicht perspektivisch abgeschlossen. ein – als randfigur – hinzugefügter vogel observiert diese szene. unsere beobachtung des vogels (als medium) macht uns leser zu beobachtern des beobachters. wir werden also auch als beobachter zweiter instanz verpflichtet. nur eine spielerei? zumindest drängt uns diese konstruktion eine weitere möglichkeit auf: nämlich die einer systemtheoretischen textbetrachtung.
Leseprobe zu:
Schellendiskursli / Schellenexkursli.
Eine poetische Analyse des “Schellenursli”
mit einem Kommentaressay
und zahlreichen Illustrationen
sowie einem Nachwort von Elisabeth Wandeler-Deck
Von Hartmut Abendschein
„Das ist überhaupt kein Telefon, was die Leute da in ihrer Hand halten! Das ist ein Handspiegel! Die Leute kontrollieren unentwegt ihre eigene Fresse! Die gucken, ob sie sexy genug sind für die Welt, die tun nur so, als drückten sie irgendwelche geheimnisvollen Tasten oder riefen sms-Nachrichten ab.“
Derart aggressive Prosa schreibt der Poet 500beine alias Andreas Glumm aus Solingen in seinem stark frequentierten Blog, der ihm drei Buchangebote eingebracht hat – unter anderem vom Airen- und Helene Hegemann-Verlag Ullstein.
„Na, Ullstein hat sich zerschlagen. Im Moment kungle ich mit zwei anderen Verlagen. Da gehe ich mit der Zeit: Ein Buch wird kommen.“
Der 1960 Geborene gibt sich siegesgewiss, „geht mit der Zeit“, was einem gefühlten Hype zuzuschreiben ist: Deutschsprachige Blogs stürmen den Literaturbetrieb. Und wann wird man ein Buch von Andreas Glumm in den Händen halten? Der Zeitpunkt steht in den Sternen, bis dahin bleibt’s noch beim Blog, mit seinen indiskreten Einblicken, auch ins Literaturgeschäft unserer Tage.
„Der Berliner Literaturagent war so begeistert, er schnappte bald über am Telefon. Ich hatte ihm eine Handvoll Stories gemailt, 100 Seiten fast, die Begeisterung aber wurde von etwas anderem ausgelöst. ‚Endlich mal ein Autor‘, jauchzte er, ‚der nicht in Berlin wohnt!‘ Er hatte auch gleich eine Idee parat, wie man aus dem Blog einen Roman strickt. „Ich hatte aber keinen Roman“, denkt Andreas Glumm in diesem Augenblick. „Einen Haufen Stories, ja, aber keinen Roman..“ (Jan Drees im Rolling Stone, Oktober 2010)
Andreas Glumm, Literaturpreis NRW, Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften, im Internet mit über eine Dreiviertel Million Besuchern (Stand: September 2011) Deutschlands meistgeleser Literatur-Blogger.
„Und jetzt gebt Andreas Glumm, wenn er nicht schon längst einen hat, endlich einen verdammt hochvorbeschussten Buchvertrag und kauft die dazugehörigenden Illustrationen seiner Lebenspartnerin Susanne Eggert gleich mit ein, ihr ganzen Buchverlage, die ihr euch dauernd verschätzingd. Ist doch wahr.“ (Johnny Häusler, Spreeblick)
„Wer wirklich lesen will. Wer wirklich eine Stimme hören will, der landet früher oder später beim Glumm. Als die Dinosaurier noch herumwankten, hatte er mal einen Literaturpreis gewonnen. Doch irgendwas kam dazwischen. Zwischen ihn und die große Schriftstellerkarriere. Ein Glück. Vielleicht hätte er dann nie seine beiden Blogs begonnen. So können wir lesen, schmunzeln, uns ertappt fühlen, in schallendes Gelächter ausbrechen und mitleiden. Ach ja, das Thema. Es geht um das Leben an sich – also echte Literatur. Prosa. Einer der Besten!“ (Netzpiloten)
„Fortziehen aus der Heimat war nie ein Thema, aber nachdem ich die Bücher von Brautigan, Fante und Charles Bukowski entdeckt hatte, wünschte ich mir manchmal, ich wäre woanders geboren wurden, in Los Angeles oder in den weiten Wäldern von Montana, dann hätte ich dort bleiben können.“
Litblogs / URL:
Glumm
http://glumm.wordpress.com/
500Beine
http://500beine.myblog.de/
© Moran Haynal – Öl auf Leinwand
••• Da trifft man jemanden seit Jahren beinahe täglich in der Synagoge und weiß nur ganz ungefähr, dass der Andere Künstler ist, aber nicht, was er eigentlich genau treibt. Zeitmangel und tausend brennende Kittel verhindern sogar ein persönliches Gespräch. Eine Schande ist das. Aber heute hat es nun endlich geklappt. Ich habe Moran Haynal in seiner Münchner Wohnung, die auch sein Atelier und gleichzeitig eine Galerie ist, besucht; und ich war überwältigt.
Moran Haynal stammt aus Ungarn, hat 20 Jahre in Israel gelebt, und ist nun – der Liebe wegen – seit etwa zwei Jahren in München zu Hause. In Israel verdiente er sein Geld nicht nur als freier Künstler, sondern auch als Gebrauchsgrafiker (Produktgestaltung) und als Sofer. Sofrim sind jene akribischen Schönschreiber, unter deren geduldigen Händen Torah-Rollen, Mesusot und Megillot (Schriftrollen der Propheten- und Schriftenbücher der Bibel) entstehen. Das vermutet man, wenn man ihn zum ersten Mal trifft, eher nicht, denn sein Äußeres entspricht nicht eben der Vorstellung vom ultrafrommen Torah-Schreiber mit wehenden Pajess und in schwarzer Frommenkluft. Stattdessen steht ein zurückhaltender, sofort sympathisch wirkender Herr in Jeanslatzhose vor einem, ergrauter Bart, Turnschuhe mit Totenkopfprint und eine gehäkelten Kippa auf dem grauen zu einem Zopf geflochtenen Haar. Dazu kommt allerlei Silberschmuck an Handgelenk und Fingern. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie irritiert unser Gemeinderabbiner zunächst auf diesen Zugang aus dem Heiligen Land reagiert haben dürfte.
© Moran Haynal – Öl auf Leinwand
Ich hingegen finde sein Outfit gerade passend für den Spagat zwischen Religiosität und genussvoller Lebensbejahung, ein Spagat wohl, der sich auch in Moran Haynals Bildern ausdrückt. Die nämlich sind alles andere als fromm im herkömmlichen Sinne. Man werfe nur einmal einen Blick auf die präsentierten vier Beispiele aus einer aktuellen Serie des Malers: Frauenporträts mit Jugenstil und Pop-Art-Elementen – eingebettet aber in Schriftzeichen, die dem Eingeweihten schnell als kabbalistische Ausdeutungen auffallen. Es sind Amulette, Buchstaben- und Zahlenmuster, aber auch Zitate aus dem Talmud, und man kann schwer entscheiden, ob sich die unfromm oder gar nicht bekleideten Porträt-Modelle in der Umgebung der mystischen Zeichen befinden, ob sie aus ihnen aufsteigen, durch sie leben und fliegen – oder aber ob der Künstler die mystische Dimension in der sinnenfrohen Weiblichkeit ausmacht. Dann nämlich wäre die Kombination von Mystik und weiblicher Schönheit eine Ode an den Ewigen, ein Dank an die Schönheit der Schöpfung gewissermaßen. Das mögen manche Religiöse als Affront empfinden. Ich finde es ausgesprochen erfrischend.
© Moran Haynal – Öl auf Leinwand
Die Fotos können leider das ungeheure farbliche Leuchten der Bilder kaum einfangen. Faszinierend ist die Textur des Farbauftrags. Obgleich in Öl gemalt, wirken weite Flächen der Bilder wie aquarelliert und durch den hauchdünnen Farbauftrag gelegentlich wie transparent, so dass verschiedene Schichten – der Bilder wie auch der Bedeutungen – ineinander übergehen, durcheinander hindurchschimmern.
Das letzte Bild in diesem Beitrag ist eine kalligraphische Perle. Auf einer Papierrolle hat Moran Haynal das Hohelied Salomos in der klassischen Megilla-Schrift gestaltet. Jedoch fließt der Text aus dem Frauenporträt heraus, die einzelnen Kapitel des Gesanges wie Wellen von Haar…
Über viele Jahre hinweg hat Moran Haynal auch eine vollständige Pessach-Haggadah gestaltet, kalligrafisch und mit Illustrationen. Ich konnte mich gar nicht daran sattsehen.
© Moran Haynal – Öl auf Leinwand
Jetzt muss ich unbedingt Anna-Patricia Kahn von der Galerie °CLAIR aufmerksam machen. Ich kann nicht fassen, dass Morans Bilder in Deutschland noch nicht ausgestellt wurden.
© Moran Haynal – Das Hohelied Salomos als Kalligraphie-Megilla
Eine eigene Website hat Moran Haynal derzeit (noch?) nicht, aber Profile bei grafiker.de, Saatchi und ning.com. Interessenten können ihn über Facebook oder das Turmsegler-Kontaktformular kontaktieren. Ich leite Anfragen gern weiter.
1960 Simplon CH
rittiner & gomez – Bildermacher / Logbuchschreiber
Stationen – Brig / Sion / Volare / Vevey / Bern / Hondrich Spiez
Arbeiten – Malerei / Sequenzielle Kunst / Comic / Zeichnungen / Malerei
Zusammenarbeit – Martin Loosli / Markus A. Hediger /
Mitglieder – Litblogs.net / Visarte
Publikationen
2008 – Spa_tien Nr. 5 Literarische Weblogs
2007 – Spa_tien Nr. 3 Illustrationen
2000 – Comic „Polenta“ (Volante Verlag)
1998 – Zuggeschichten, Text: Christine A. Jossen (Rotten Verlag)
Als Kind hatte ich über eine längere Zeit echt Verdauungsprobleme und Essstörungen. Die Sache war und ist die, dass auf unser wunderschönen Insel aus allem, was wir täglich unter mehr oder weniger grossen Anstrengungen aus unsern Körpern ins Klo befördern, Biogas entsteht, das dann in der Küche als Gas unser Essen und Trinken kocht, gart, brät, dämpft, schmort und so weiter … eine grässliche Vorstellung. Noch heute, wenn ich daran denke, wird mir fast übel. Nach langen Magen- und Darmkrämpfen und einer verzweifelten Nulldiät musste ich mich daran gewöhnen, dass alles, was meinen Körper passiert, wieder in unsern Küchen landet.
Litblog / URL:
logbuch isla volante
http://www.isla-volante.ch/