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lorde // goethe

7. Dezember 2013

skizze zeichnung sequenz

ich sehe den alten gerne
in den mitternachtsstunden wenn es draußen viel zu staubig zugeht
ist er da
barfuß
er bringt mir das meer
er sagt
dort sind die wellen
die möwen sieh wie sie über die zukunft lachen
ihr lachen ist leicht
leicht wie die stimme einer frau
die das licht vergisst wenn es nacht wird
die aufatmet
wenn niemand im stillen kämmerchen weint

ich sehe den alten gerne
weil er das atmen läßt
weil er nicht will dass ich ihm eines singe
ich singe ihm aber trotzdem eines

wenn es nacht wird tragen die
toten dichter das verlassene ins meer

ich seh den alten gerne
sagt sie
man verliert nichts wenn er geht
aber er hinterlässt immer etwas und es ist schön
wenn das bleibt
lorde: royals

lorde // johann wolfgang von goethe

Circe, poetisch ODER Katharina Die Zauberin Schultens im Ausland, Berlin.

sag das den wispernden gespenstern mein herz
meine arbeiter werden es dir danken
und laß die hosenträger oben
und laß die jacke: an

Katharina Stevens, Samarium

Das beschäftigt mich weiter. Dabei hatte mich Sabine Scho >>>> schon vor zwei Jahren gewarnt und vor zwei Tagen deutlich nachgelegt: „… mir ist nach gürteltierfunktion, einrollen wollen“, schrieb sie mir bei Facebook, „aber trotzdem schön, wenn Sie auch zum Scheitern kommen wollen, die großartige Katharina Schultens liest ja auch!“ Nun ist mir, dem formal Konservativen, gegen neue Lyrik eine gewisse Skepsis eigen, für Romane bin ich leichter zu >>>> entflammen; auch wenn ich neue Gedichte gut finden kann, ihnen folgen und sie verstehen kann, bleibt meine Begeisterung meist kühl: rein intellektuell; ich sehe und höre das Spiel sehr wohl, es ist aber nicht meines, mein poetischer Körper läßt sie nicht rein, sondern draußen, als Objekte, vor der Seelentür stehen, die ich zwar öffne, wenn geklingelt wird, und ich spreche dann mit ihnen, vielleicht biete ich ihnen sogar einen Kaffee an, aber bringe den Becher raus auf den Hausflur. Ich habe Vorbehalte. Genau das zog mir gestern abend >>>> im Ausland den Boden unter den Füßen weg. Wahrscheinlich hatte ich ein Fenster offenstehen lassen in meiner mir vermeintlichen Sicherheit, so, wie es immer offensteht, wenn es draußen nicht allzu sehr stürmt; es stürmte aber, nur hatte ich an ein Gewitter, das aufzog, nicht geglaubt. Es kam auch so leise, erst nur als Erscheinung: schlank, hochgewachsen, filigran, das Stürmenwollen hinter einer viel zu großen Brille versteckt, aber die Knöchel allein der rechten schmalen Hand, die sich ums Mikrophon legte, hätten mir schon vor dem Sirenengesang die Ohren verschließen sollen, nur weg, nur weg, am Steuer festgebunden die Schären umschifft, von denen es durch das Fenster aber hereinklang:
ich hob die arme fuhr mit allen fingern tief ins haar
und aktivierte probehalber diesen einen blick
ihre zungen blitzen nur einen moment
unterhalb der ohrläppchen hervor
denn das genügte
Ja, das genügte. Es ist das Schlimme an den Sirenen, daß, hat man sie einmal gehört, jede Faser des eigenen Körpers auf sie konzentriert wird; man hört nicht mehr nur noch akustisch, sondern hört mit den Zellen der Haut, hört mit dem Haar zu; es hören die Organe:
morgens wenn es dämmerte ging ich gewöhnlich tanzen
es gab einen club der wechselte die treppenhäuser
Der Vortrag, wiewohl dunkel grundiert in der Stimme, hebt sich ins Licht an, das schwirrt und vermittels einer so feinen Grausamkeit perplex macht, daß man sie weiter- und immer weiterspüren möchte, ja zu der Tatze wird, in die sie sich einbohrt:
ich tanzte mit einem kollegen im bärenkostüm
ich trug die stiefel noch aus dem büro

und wenn ich mich drehte bohrte ich den absatz
immer genau zwischen die zehen seiner tatzen
Doch aber nicht nur sie dreht sich, sondern die Aussage auch, so daß man wie wachgeklatscht dasteht:
und wenn die drehung dann vollendet war öffnete
ich meine lider schließlich war ich noch im praktikum
Verdammt, man wurde erwischt! Sie aber, Circe, dreht sich aufs neue, nun aber in ihr Ältestes zurück:
man hatte mir zwei schlangen zugestanden vor dem bereits die erste Strophe des Gedichtes unmißverständlich gewarnt hatte:
die wände waren reine screens
und nichts wurde vergessen
Schuld, Verhängnis, Verfallensein – alles gerät in den Strudel, der den Odysseus hinabsaugen will, ohne daß die Sirenen ihn, den Ozean, umrühren müssen; sie ändern nur unsern Kurs, locken mit sicher Scheinendem, Zahlen, Begriffen, Statistiken, Positivismen, auf die wir uns männlich verlassen:
kaum denkbar rauszugehen. glaubte wir stünden vorm büro
und hingen doch – einsehbar – gespickt auf der anzeige dort.

ich hatte unsere größe vergessen und die relation
unserer größe zu der des geschehens. ich will aus.

raus hörten wir. eine nach dem anderen ging
und wechselte den stamm und dachte

x habe das system verlassen. Allein schon dieses „eine nach dem anderen“! Wie elegant die Geschlechtercorrectness gelöst ist, befolgt und zugleich unterlaufen… Wie berauschend sich jede Komposition aus kalkulierter Verfügung über die Mittel in sensibelste Empfindung verwandelt, wie aus den technischsten Termini Seufzer werden können und Sehnsucht und Klagen einer von vornherein vergeblichen und so auch gewußten Hoffnung, zum Beispiel in „Prism“, was bereits ein Wortspiel ist, weil der Vortrag aus Prismen Gefängnisse macht:
wenn du mich suchst wo suchst du. suchst du mich im feld oder online.
suchst du mich treppab suchst du mich in meiner statusmeldung.
Weißt du
wie mein filter funktioniert. Weißt du welche standardeinstellung ich
wählte.
Doch damit nicht genug, daß sie den Social Networks genau die Seele g i b t, an die deren User so unbegriffen glauben, strömt sie sich wie persönlich, ganz persönlich da hinein und wird geradezu intim, weil gebethaft, Zwiesprach‘ mit dem HErrn:
(-/-/-/.) bitte lenke mein licht. bitte laß mich dich
kennenlernen. dein wille geschehe. dimitte debita nostra
(nobis!) und wenn ich niemand das geringste vergebe

so laß mich dennoch nicht allein Dazu eine Vortrags-Professionalität, die ganz nebenbei, fast, als wollte sie die Gedichte zurücknehmen, mit der eigenen Referentialität, der des auftretenden Selbstes, spielt: „Dieser Text funktioniert nur auf der großen Bühne, hier geht er schief“ – und trägt ihn gerade deshalb vor, diese Fingerknöchel, diese Fingerknöchel! und ich möchte hinter die Brille dieser Brillenschlange sehn, was sie versteckt, die eine von den beiden, die man der Zaub’rin „zugestanden“, die andre windet sich als Taille um die Taille hinauf und wird zum Hals, zum Zweig, so hat >>>> der alte Kaa all die Affen betört, als die wir in dem Raum sind – Reflexe der Tiere in Architektur, von denen Sabine Scho vorher vorgetragen hatte: bei ihr fast immer Dichtungen von Gefangenheit, bei Schultens aber einer Befreiung nach innen, glühende Transzendenz:
schatten schönster. allerliebster
treuloser idiot. du hast den zustand
unterschätzt. es steht so schlimm du bist
ein manifest inzwischen. schwimmst

nicht oben hast zu wenig masse um
zu schweben und du sinkst weil du
ein stein bist der vergessen hat daß er
ein schwarzes loch spielt in der nacht.
Oh, ich vergaß das Wachs in den Ohren. Jetzt lenk ich das Schiff – und Sie auf ihm – in den Abgrund der Sprache, denn ich hatte das Unglück, G e d i c h t e zu hören – reine Gedichte, die unsauber sind: so irdisch, daß ich ihnen die Brille abnehmen will, die sie schützt:
bitte entlaß mich in methodenlosigkeit
bitte erlaube mir ein ungewaschnes kind
bitte versteh meine bilder miß zu identität
bitte finde mich: bitte finde mich nicht

*******************************
[Die hier besungenen Gedichte entstammen einem noch
unveröffentlichten Buch >>>> dieser Dichterin .
Vorherige Publikation:

>>>> Bestellen.

Rezension: Katarina Botsky “In den Finsternissen” (V) / Die Novelle “Ziehkinder”

Die Novelle beginnt folgendermaßen: „Wenn man durch den bogigen finstern Torweg des Räuberhofs trat, geriet man in ein galoppierendes Meer wildverworrener Töne hinein. Bei einem Schiffsuntergang konnte nicht wüster geschrieen werden, als es die spielenden Kinder auf dem Räuberhof taten. Daher sein Name. Auch waren die geschwärzten schiefen Häuser, die den Hof wie Festungswerke umschlossen, und die nicht minder geschwärzten Proletarier, die diese Häuser bewohnten, an der Benennung schuld. Die Häuser sahen alle aus, als ob sie schon einmal in Flammen gestanden hätten. Doch auf der Steinwüste des Hofs gab es etwas Schönes, etwas ganz Verwunderliches: einen alten anmutigen Springbrunnen, der immer noch ein paar silberne Wassertropfen in sein steinernes Muschelbecken fallen ließ. (…)“

Dieser von Katarina Botsky gewählte Einstieg gleicht fast einem Eintritt in die Hölle, möchte man meinen, ohne daß die Autorin etwa Mitleid anklingen ließe für die Menschen, die in ihr leben müssen. Botsky wählt also zunächst eine distanzierte Haltung, ganz anders als es etwa in der Arbeiterliteratur üblich ist. In dem Schauspiel Bergarbeiter von Lu Märten aus dem Jahr 1909 läßt die Autorin den jungen, schwindsüchtigen Hermann zum Beispiel programmatisch sagen: „Wenn einer von uns nun gar unter die Dichter geht, dann ist es sein Gesetz, daß er die Wahrheit seines Lebens darstellen muß. Und wenn einer von uns die Wahrheit seines Lebens darstellt, ist’s am stärksten … der Schmerz.“ Auf dem Räuberhof kann von solch einem Unterfangen jedenfalls nicht die Rede sein, Botsky wird weder etwas vom Stolz des Arbeiters auf seine Leistung und die Errungenschaften der Industrie anklingen lassen, wie das oft in der zeitgenössischen Arbeiterliteratur vorkommt, noch den Klagen über die Unmenschlichkeit der Arbeit und das Leid des Einzelnen Aufmerksamkeit schenken – sie wahrt eine kalte, wenn auch klar deutende und urteilende Distanz. So ist also allein der Springbrunnen, der dort „wie ein verlaufener Aristokrat“ steht, an und für sich etwas Schönes in der geschlossenen Welt, die der Hof darstellt – der einzige Ausblick, so als könne man von einem unteren Höllenkreis die Welt der Schuldlosen sehen, ist hingegen der Blick auf den auf einem Berg liegenden „Kirchhof der Reichen mit seinem wehenden Laub“. Dazwischen, vom Räuberhof durch einen bemoosten Bretterzaun getrennt, liegt auf gleicher Ebene dann noch der Armenkirchhof, der ungepflegt ist und wo ein seltsames Holzkreuz steht mit der Inschrift „Die Reihe kombt auch an Dir“, die die Räuberhofjungen besonders mögen.

Das also ist die Bühne, auf der Katarina Botsky das immer gleiche Drama von Armut, Roheit, Dummheit, Gewalt und Mißbrauch ablaufen läßt. Neben den Proletarierfamilien mit ihren Kindern und den Schlafburschen gibt es nun auch noch, gleichsam als noch Niedrigere, die sogenannten „Ziehkinder“, Ganz- oder Halbweisen; doch „bei manchen dieser Kinder stimmte nicht alles im Gehirn“, das stellt die Autorin gleich einmal deutlich fest, wie man das bei Ziehkindern öfters beobachten könne. Jedes vierte Kind auf dem Hof ist ein solches Ziehkind, etwa zwanzig insgesamt, deren Unterhalt meist von der Stadt bezahlt wird und die jeweils einer Familie zugewiesen sind. Botsky wählt zwei für ihre Leser aus, die vierjährige, etwas zurückgebliebene Herta, Tochter einer Landstreicherin, und ihre achtjährige Freundin Trude, die ebenfalls kaum begreift, was um sie herum vor sich geht. So werden beide aus Spaß von den Räuberhofjungen auf dem Armenkirchhof in ein Loch gelegt und, gemäß der Inschrift, zugebuddelt, ohne daß die andere eingreift, wenngleich die Jungs mit Herta Mitleid haben, weil sie hübsch ist; erst der greisenhafte Kirchhofwärter zerrt Trude schließlich, etwa so “wie ein alter Affe eine Gliederpuppe ergreifen würde“, an einem Arm aus der Grube heraus.

Bis hierher schildert Katarina Botsky mit aller Deutlichkeit und in klar faßbaren Bildern diese Welt, ohne Mitgefühl für die in ihr agierenden Geschöpfe zu zeigen, denn es geht ihr offensichtlich um eben diese klare Sicht ohne vernebelnde Sentimentalitäten. Als schließlich noch eine uralte, nicht sehr helle Frau auftaucht, die auch einst Ziehkind gewesen war und noch immer sehr schlecht behandelt wird, scheint sich das beschriebene Grauen nur noch weiter zu verdichten, ohne daß auch nur ein Funken Hoffnung zu erkennen ist. Dann aber bleibt die kleine Herta allein, nur die uralte Frau sitzt noch teilnahmslos auf ihrer Bank, auf dem Hof zurück, nachdem ein großer Bengel sie auf den ziemlich hohen Rand des Wasserbeckens gesetzt hat, bevor er reingerufen wurde. Hier scheint sich die Erzählung nun zu wenden, sie bekommt etwas Märchenhaftes durch den Brunnen und auch dadurch, daß die Herta sich den Daumen verletzt hat und blutet; es macht ihr sogar Spaß zu sehen, wie das Blut in das Wasser des Brunnens tropft. Dann jedoch verliert die Kleine plötzlich das Gleichgewicht und fällt hinein. Wird ihr jetzt etwa das Selbe zuteil wie der armen Stieftochter in dem Märchen Frau Holle, die von der Stiefmutter in den Brunnen gezwungen wird, um nach einer Spindel zu tauchen, dadurch aber in eine bessere Welt gerät, wo sie sich bewähren kann und aus der sie als goldene Jungfrau wiederkehrt? „Das steinerne Engelsantlitz am Brunnen“ scheint jedenfalls, als ein Schlafbursche die Kleine herauszieht und so vor dem Ertrinken rettet, traurig zu seufzen, und auch die Autorin seufzt nun gleichsam teilnehmend mit, denn nun stellt sie klar fest: „Sie war dem Schicksal der kleinen Meta nicht entgangen“, was so viel heißt, daß der Tod für das Mädchen besser gewesen wäre. Der Herausgeber des Bandes, Martin A. Völker, erläutert im ausführlichen Anmerkungsteil diese Feststellung, die Bezug nimmt auf das Märchen Die kleine Meta von Friedrich Hofmann, in dem jeder Blutstropfen des Mädchens zu einem blanken doppelten Goldstück wird, die alle von der Stiefmutter genommen werden, bis das Mädchen tot ist. Eine kurz zuvor in die Novelle eingeflochtene Bemerkung zu den Schlafburschen, die „bereits auf die Vorzüge der kleinen Herta aufmerksam zu werden begannen“, weist deutlich darauf hin, welches Schicksal Herta droht, nämlich gleichsam das der Leibeigenschaft und des sexuellen Mißbrauchs, denn ihre „Mama“ gehörte zu „jenen furchtbaren Weibern“, die solch ein Interesse nicht ungern sehen. Die uralte Frau auf der Bank, die auch Trude heißt, war übrigens stumpfsinnnig sitzen geblieben, als Herta ins Wasser fiel.

Die Novelle Ziehkinder ist eine beeindruckende, ungeheuer dicht gestaltete Erzählung, die all das menschengemachte Unglück offenlegt, ohne dabei die Schuld plakativ im Gesellschaftlichen zu suchen. Katarina Botsky spricht deutlich aus, was sie „sieht“ und behält dabei zumeist die notwendige Distanz, die es ihr erlaubt, das Handeln der Menschen, ohne sich zu einer verurteilenden Instanz aufzuschwingen, zu beurteilen, besonders auch und dann auch mit Teilnahme, wenn die Erniedrigten und Ausgebeuteten selbst an jenen zu Tätern werden, die ihnen schutzlos ausgeliefert sind. Dieses Geschehen gestaltet Katarina Botsky mit meisterhafter Sprachkunst zu einem bedrückenden Drama.

Fazit: Der von Martin A. Völker mit Anmerkungen und einem sehr informativen Nachwort herausgegebene Band Katarina Botsky In den Finsternissen (Elsinor Verlag, Coesfeld 2012), der insgesamt zehn Novellen enthält, ist eine durch und durch lohnende Lektüre und mag, so ist zu hoffen, den Beginn der Wiederentdeckung einer Autorin bedeuten, die Literatur nicht aus Lektüre schafft, sondern aus eigenem Erleben und Erleiden und aus dem Beobachten ihrer Zeit, vom späten Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hinein in die faschistische Diktatur. Daß Katarina Botsky das Handwerk des Schreibens so meisterhaft beherrscht und für jeden Stoff, sei dieser schauerlich-komisch oder grauenhaft-abgründig, die richtige Sprache findet, macht die Lektüre insgesamt zu einem außerordentlichen Leseerlebnis!

(Sie finden alle Rezensionen hier!)

Katarina Botsky: In den Finsternissen. Novellen.

Herausgegeben von Martin A. Völker.

Elsinor Verlag 2012. 108 Seiten. ISBN-10: 3942788071

Farah Days Tagebuch, 9

Montag, 28. Januar 2013

Wovon ich schreiben könnte.

Als erstes natürlich: über Cremediebinnen.
Dann über Berg, der ständig nach Öl riecht, den Gebieter über die – nein, alle – verpassten Augenblicke. Das unschlüssige Gespräch mit der mächtigsten Frau der Stadt. Der schwarze Mann mit dem Totenkopfring fällt als Thema durch (zu vorhersehbar), nicht aber, warum Kunstausstellungen langweilig sind und warum sie das einzige sind, das langweilig ist. Die Frau, die langsam älter wird, die sich immer im Gesicht zwickt. (Warum?) Die schönsten Worte der letzten fünf Jahre. Armut und ihre Auswirkungen. Mutwilligkeit und ihre Auswirkungen. Der Atem, den der langjährige Geschäftsfreund ausstößt, als er zum ersten Mal ihre Hand auf seinem Schwanz spürt. Die unsägliche Energie, die der Tod eines Familienmitglieds freisetzt. Ein paar kleine, grandiose Tricks, um Komplexität auszuhalten. Grundlose Aggressionen gegenüber Leuten, die allzu versiert sind. Über Untermalungen, in jeder Hinsicht. Die private Aufzeichnung: was sie bedeutet, was sie verhindert. Die Sehnsucht danach, nicht zu sprechen, sondern gesprochen zu werden. Der Auftritt im Kultursender der Stadt und warum es unabdingbar ist, eingeführt zu werden. Über Einführungen. Von der Schwierigkeit, sich zu konzentrieren und der Angepisstheit gegenüber jenen, die das besser können. Vom Pop in der Literatur (als Klanginstallation), die Sehnsucht nach Unterwerfung, die Fetische der Saison und warum gerade sie. Alte Freunde bei alltäglichen Verrichtungen beobachten, ihre Bewegungen studieren, Kleider, Gesten, Accessoires. Warum Henry Jagloms ‘New years day’ ein erwähnenswerter Film ist. Exibitionismus: Warum es verboten ist, aus dem Tagebuch vorzulesen. Warum es bei allem und jedem und immer untendrunter um die Vereinnamung (nein, kein h) von Zeit geht und wie unterschiedlich sie bei den einzelnen ist. Die einfache Sprache könnte Rettung sein. Das Ei muß auf: dafür ist die kleine Säge am Schnabel da. Die Schwierigkeit, sich einem möglichen Erfolg zu stellen. Männerfreundschaften: wie zwei aufeinanderfallen. Wie ich mir immer gewünscht habe, jemand würde Arsch, Bauch und Hinterkopf mitfühlen, die unausgesprochenen Ideen, das Ticken der Muschi, das Gewicht der Brüste, die unglaublich unzähligen Formen weiblicher Nervosität: unmittelbar. Eine Situation beschreiben, in der Vertrauen entstand. Eine schöne Frau beschreiben, von der sich erst am Schluß herausstellt, daß man sich selbst damit meint.
Ein Wort beschreiben, als wäre es ein Bild. Die verwahrloste Wohnhöhle eines älteren, fernsehsüchtigen, menschenscheuen Mannes, der trotz ausufernden Pornokonsums ein Gentleman ist. Harten Sex sentimental beschreiben, den ersten Kuss wie einen Verkehrsunfall beschreiben. Ein Plädoyer schreiben für das Warten: Endlich Partei ergreifen für das Warten. Das Handeln hat weißgott schon genügend Staranwälte. Befangenheit: Wahrscheinlich die schlimmste Hemmschwelle von allen. Sätze, die einem gelegentlich unterkommen, die so abgefahren gut sind, daß man sofort mit der Person ins Bett gehen würde, die sie geschrieben hat, ganz gleich wessen Geschlechts. Was man macht, wenn man einer Situation nicht mehr entrinnen kann. Eine Liebeserklärung, an alle überdimensionierten Körper gerichtet. Jedem einen besonderen Namen geben, und jenen, die keinen verdienen, einen geben, der genau das ausdrückt. Die Höflichen mögen ihre eigene Höflichkeit mehr als die Menschen, denen sie sie angedeihen lassen.
Ein Haus erfinden: Ein einziges. Der Körper sollte auch mal über den Geist siegen dürfen, darf er aber nie; umgekehrt wird ein (Hemm)schuh draus.
‘Warum läßt du sie dann nicht endlich fallen’: Sich zu trennen von Menschen, die das Neue in dir nicht sehen. Der Duft des Geschlechtsteils nach einem langen, arbeitsreichen Tag, warum es nicht belanglos ist, wie man seinen eigenen Geruch empfindet. Was macht der Dichter? Er verbindet Wortwurzeln aus 1000 Plateaus, das ist das Zauberhafte, damit kriegt er uns. Das Bild einer Frau, die die Traurigkeit in ihrem innersten Wesen kompetent in Schach hält, wie viele Partien und Eröffnungen sie auswendig gelernt hat, was für einen Beruf sie ausübt. Die Vorstellung, daß Vater und Tochter gleichzeitig einen Roman über die gleiche Familie schreiben. Mosaikromane: mehrere Autoren schreiben innerhalb einer verabredeten Welt, jeder steuert eine oder mehrere Figuren bei, die auch von den anderen benutzt werden dürfen. Wie es sich anfühlen würde, in die Obhut eines reichen Mannes zu geraten: sind die Gelenke schmal genug? Frauen, die ausgehalten werden wollen, brauchen schmale Gelenke. Was den alten Freund zum Henker machte.
Irgenein Pelztier muß auftauchen und reden, so wie Blooms Katze im Ulysses oder die Gamecat bei Jeff Noon in Nymphomation. Sprache darf knacken. Erstmal einen Raum ausstatten, Personen hinzufügen, dann Dialog und im Dialog muß sich die nächste Szene vorankündigen, eine Überleitung, dann nächste Einstellung. Wie einen Film mit Kameraeinstellungen imaginieren – mein visuelles Vermögen ist besser entwickelt als das logische. Jede Figur hat sowohl ein Angebot als auch ein Bedürfnis, die allererste Vorstellung der Figur sollte beides schon mal heimlich implizieren. Nichts ist zu blöd, um es erst einmal hinzuschreiben. Manchmal sprechen mehrere Leute im Hintergrund, während vorne irgendwas passiert; die Stimmen im Hintergrund könnten kollagiert sein. Von Assoziationen allein jedenfalls wird niemand satt.

Arusha. Die Reise- (und Arbeits)journale vom 26. bis 29. März 2013. (Teil I)

8.32 Uhr:
[Meru Mbega.

Bach, Cellosuiten (Janos Starker).]
Hier ist noch alles still, nur paar heisere Rufe gehen übers Gelände. Man bereitet sich auf die Regenzeit vor, das ist deutlich zu spüren. Und wirklich soll es ab morgen Regen geben. Was mich nicht stört, ich will arbeiten. Wichtig ist, daß es warm ist; noch gestern nacht waren es an die zwanzig Grad Celsius.
Die Löwin war bereits hier; ich soll die Texte für einen Katalog zur zentralafrikanischen Kunst schreiben, also poetisieren, nach vorformulierter Vorlage, aber auch nach Angesicht; die Bezahlung ist okay, vor allem kosten mich die Reisen nichts, und ich bin mir selbst überlassen, kann meine Zeit einteilen, wenn man von den paar kleinen Terminen absieht, die in Arusha verabredet sind. Arbeiten will ich. Es ist reizvoll, hier, in diesem ganz anderen Klima, an den Hexametern der Erissohnverse zu sitzen, denn so sehr es mich auch lockt, auf eine der Safari-Angebote einzugehen, muß ich doch schnellstens mit der Versarbeit fertig werden um noch im April, parallel zur Arbeit an dem Neapel-Hörstück, auch den Epilog zu schreiben. Ich denke mir, daß die jetzt begonnenen Orts- und Kulturwechsel dem Argo-Endspurt guttun werden; sie nehmen das zentraleuropäische „Perspektivieren“ aus dem Text oder mildern es wenigstens ab: Es ist schon lange meine Überzeugung, daß das „Fremde“ den Blick auf das „Eigene“ nicht nur bereichert, sondern überhaupt erst möglich macht.
Schöner Arbeitsplatz, halb draußen, halb drinnen; selbst wenn es in Strömen schütten sollte, werden die vier kommenden Tage meinem Laptop nicht schaden; bei längeren Aufenthalten mit hoher Luftfeuchtigkeit, allerdings, ich erinnere mich gut, kann ein Computer schon mal korrosionshalber über den Jordan gehen, der aber, dies zu Ihrer Beruhigung, sehr weit nordöstlich von hier fließt. Er könnte sozusagen auch die Spree sein, ob etwas über sie oder ihn, den Jordan, geht, ist von Tansania aus egal. Oh, ich kann die Dichter gut verstehen, die, um ihre Sprache zu schützen, im Ausland schrieben und schreiben: Sebald, >>>> Wolfgang Held, Johnson, >>>> Helmut Schulze.
Es geht vor allem darum, den Kopf zu wenden. Stimmt nicht. Nicht nur. Es ging auch darum, der Berliner Eiseskälte zu entkommen; als ich gestern auf dem Bahnsteig Jungernheide stand, mittags!, lagen die Temperaturen weit unter Null. Scharf schnitt die Winterbrise an mehreren Stellen durch meinen Mantel, so daß ich während des Wartens auf den Anschluß-RE sogar den schweren Rucksack draufließ. Zur wieder- und wiederholten Kreuzigung Jesu werde ich pünktlich zurücksein und an Ostern vielleicht mit den Zwillingskindlein im Mauerpark – rodeln. Eine komische Vorstellung. Ich sitze hier, morgens, mit offenem, frei über die Jeans fallendem kurzärmeligen Hemd; obwohl ich ein wenig abgeschlagen war, wollte das Netz überm Bett doch noch Liebe, „afrikanische“ aber, verwühlte, nicht kühl wie >>>> im Libanon, wo es um Inszenierung des Eros ging, eine, die fortgesetzt wurde und wird. Aber Afrika ist außer der Zeit… (Afrika – welch falscher Begriff! der aus einem Kontinent ein Land macht… Es ist seine Verwendung dasselbe, wie wenn wir von „Amerika“ sprechen, aber nur die USA meinen; man muß sich das immer wieder vor Augen halten; wobei ich mir klar darüber bin, daß dieser „Ort“, hier in Arusha, allein schon deshalb ein reines Produkt literarischer Fantasie ist, weil meine Verbindung zu ihm und der ganzen Region die luxuriöse eines Menschen ist, der nicht dazugehört, nicht einmal zu den Touristen, derer es momentan allerdings gar keine gibt, jedenfalls in Meru Mbega – wegen der bevorstehenden Regenzeit, in der sich Safaris nur befriedigend durchführen lassen, wenn man zu den Hardliners und Rednacks gehört, die gern mal im Schlamm steckenbleiben, bis zwischen den Zähnen den Schlamm. M i c h interessiert hier Argo fast ausschließlich, und Argo ist nicht „Afrika“; ich hab nicht mal vor, über die Serengeti eine Erzählung zu schreiben; ich will nur in ihr schreiben.)

Ah, man trägt das Buffet auf! Ich geh mal Löwinnen wecken. Heute hat sie frei, die Frau, morgen knattern bei ihr die Termine. Guten Morgen.
: 9.01 Uhr.
(Übrigens eigentlich logisch, daß >>>> dort nicht kommentiert wird; die Verse sind zu speziell, um außerhalb ihres Zusammenhanges von allgemeinem Interesse zu sein; ein Poetologe, vielleicht, könnte Anmerkungen haben, philologische, aber „normale“ Leser eher nicht. Es sei denn, sie wären an poetischen Handwerks-Bizarrerien interessiert. Ändern wird sich das erst, und auch nur vielleicht, wenn der ganze Roman vorliegt.

Immerhin habe ich gestern eines der schönsten Gedichte meines Lebens gelesen, wieder in >>>> Alycone. Das fast nicht Faßbare ist, daß >>>> Dreyer das Deutsche in dem Italienischen völlig ebenbürtiger Schönheit zu gestalten vermochte, Nachdichtung als Dichtung-selbst. Achten Sie bitte darauf, mit welcher Perfektion er, Dreyer, hierin den Reim setzt: Zwischen zwei Arnos

Die Insel der Prokne sieh,
wo du dem Schrei
lächelst
der thrakischen Schwalbe, die
am lockeren Hang
alten Klagegesang
hechelt
wider den untreuen Gatten
und ohne Ermatten,
sowie es tagt,
hin- und wiederjagt,
wachsam wirkend
am Nest,
das ihr nicht Rast läßt
noch Schweigen,
eh nicht die Schatten
steigen
über dem Fluß, umzirkend
die Insel von Kalmen,
die dem Auleten
Flöten-Röhricht
beschert, der Wandrerin Halme
und, wenn du lächelst, der töricht-
tollen Liebe üppige Pfühle!
Sieh die Insel, die kühle!
Sieh die Insel, die kühle,
zwischen zwei Arnos!
Wiege von Sängen,
wo den Sommer preisen
in der Winde
wechselnden Weisen
die grünenden Rohre!
Hört es dein Ohr?
Wie knoten- und
marklos,
wie geblasen
von kundigem Mund
und
von kundigen Fingern berührt,
wie mit Kunst gekürt
und geschnürt
zur Zampogne
nach dem Vorbild des Gottes
mit gedrehtem Flachs
und mit Wachs,
honigwürzig,
je zu sieben
zur vollkommenen
Harmonie.
Die Insel der Prokne sieh!


(>>>> Bestellen.)

Intra du‘ Arni

Ecco l’isola di Progne
ove sorridi
ai gridi
della rondine trace
che per le molli crete
ripete
le antiche rampogne
al re fallace,
e senza pace,
appena aggiorna,
va e torna
vigile all’opra
nidace,
nè si posa nè si tace
se non si copra
d’ombra la riviera
a sera
circa l’isola leggiera
di canne e di crete,
che all’aulete
dà flauti,
alla migrante nidi
e, se sorridi, lauti
giacigli all’amor folle.
Ecco l’isola molle.
Ecco l’isola molle
intra dù Arni,
cuna di carmi,
ove cantano l’Estate
le canne virenti
ai vènti
in varii modi,
non odi?,
quasi di nodi
prive e di midolle,
quasi inspirate
da volubili bocche
e tocche
da dita sapienti,
quasi con arte elette
e giunte insieme
a schiera,
su l’esempio divino,
con lino
attorto e con cera
sapida di miele,
a sette a sette,
quasi perfette
sampogne.
Ecco l’isola di Progne.

Man müßte das auswendig können!
: 9.21 Uhr.

Arusha. Die Reise- (und Arbeits)journale vom 26. bis 29. März 2013.

Kurztitel & Kontexte bis 2012-12-23

Kurztitel & Kontexte bis 2012-11-04

  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » S k y f a l l. Von Neal Purvis, Ro… http://t.co/kJI7zF34 Nov 04, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Salon Littéraire | Leopold Federmair : Tokyo Fragmente 4 http://t.co/bOn5A56p Nov 04, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das DTs des 3.11.2012. http://t.co/R0wQoe9C Nov 04, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Arbeitsjournal. 4.11.2012. http://t.co/adk3HoYJ Nov 04, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » luftholen http://t.co/BX7tbwFH Nov 04, 2012
  • Verbotene Zone » No title http://t.co/gZGNJOL9 Nov 04, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Sterne, bar aus Tod http://t.co/FXnznNMT Nov 04, 2012
  • Gleisbauarbeiten » DUNKEL (Die Anti-Aufklärerin) http://t.co/6tmpHnRa Nov 03, 2012
  • Guido Rohms gestammelte Notizen » Windspiel http://t.co/bCBMUPQ9 Nov 03, 2012
  • Die Veranda » Samstag, 3. Novilla 2012, Die Straße in den Schlund http://t.co/GD1HT2Rd Nov 03, 2012
  • e.a.richter » DB-016 6 (Von seinem ersten Gang) http://t.co/5P12YQO6 Nov 03, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Farah Days Tagebuch, 4 http://t.co/ISMZvRXK Nov 03, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » mitSprache 2012 Dokumentation | Margit Schreiner: Was fehlt? – 11 Strategien einer satten Welt http://t.co/0P01ozEZ Nov 03, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das DTs des 2.11.2012. http://t.co/u0xi9ahN Nov 03, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » MORGEN ZUM LETZTEN MAL Stop DIE DR… http://t.co/cw9XpA6L Nov 03, 2012
  • Guido Rohms gestammelte Notizen » Alles fließt http://t.co/6LQoO3Lf Nov 03, 2012
  • rheinsein » Dieter Höss: Ein Limerickdichter auf Rheintour http://t.co/15Mc4zuI Nov 03, 2012
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„Dichten heißt, sich ermorden“

Sentimentalitäten muß man sich nicht nur leisten können, sondern sie sich auch gestatten dürfen. Mir machen sie keine Freude, also verkneife ich sie mir gemeinhin, allerdings vor allem deshalb, weil sie mir geradezu körperliche Schmerzen verursachen. Meist geht, erinnere ich mich intensiv oder auch in unwillkürlichen Tagträumen an Vergangenes, ein scharfer Riß von unten nach oben durch mich hindurch. Friedrich Hebbel schreibt: “Unser Leben ist der aufzuckende Schmerz einer Wunde” (Tagebücher. Nr. 2294) und meint unter Umständen eben dies. Dabei sind es ja keineswegs schlimme Erinnerungen an das Frühere, sondern oft solche, die eher angenehm sein könnten. Hebbel war, wie ich bereits gestern schrieb, da von anderer Art, denn er führte ausführlich Tagebuch, um sich zukünftig erbauen zu können. (Der zweite Grund war, seinem künftigen Biographen einen Gefallen zu tun.) Natürlich werde ich mich anhand meiner kleinen Glossen in den Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! später mal an Zurückliegendes erinnern können, und wer weiß, vielleicht dienen sie dann wirklich meiner Erbauung. Hebbel schreibt an einer Stelle aber auch “Dichten heißt, sich ermorden”, und sicher meinte er damit, die Gegenwart unwiderruflich zur Vergangenheit zu machen, sie im Wort abzulegen und damit zu verallgemeinern, loszulassen, sie der Nachwelt zu offenbaren. Der Dichter selbst stirbt somit jedes Mal ein klein wenig, aber er lebt dadurch auch fort, denke ich, denn er erringt sich ein unvorstellbar winziges Stück Unsterblichkeit, was aber eben zu Lebzeiten ordentlich weh tun kann und sich anfühlen mag wie ein schleichender Selbstmord. Samuel Beckett betreibt eben dies in seinem Stück Das letzte Band. Da ringt einer mit seinem vergangenen Ich, daß die Schwarte kracht. Keine schönen Aussichten.

Das literarische Weblog als Nachlaß zu Lebzeiten!

Ja, es gibt sie noch, die guten alten Leser und Leserinnen. Sie alle lesen, das ist nicht weiter überraschend, Texte – was sonst. Klar, man kann sich auch an der Weinlese beteiligen, doch das ist etwas ganz anderes. Texte also. Es gab vor einer Weile die pejorative Äußerung einer hochgehandelten Schriftstellerin über diejenigen Leser, die nicht den auf Papier gedruckten Text bevorzugen, sondern den, na ja, nicht gedruckten. Ich lese im Moment mit dem größten Vergnügen “Nachlaß zu Lebzeiten” von Robert Musil und habe dabei gerne ein Buch in der Hand. Natürlich, so richtig gedruckt ist das auch nicht mehr, das Digitale zeigt sich ein wenig in der glatten Oberfläche des Papiers, das sich eben genau so anfühlt, als sei es ohne Text. Doch gleichviel, Text bleibt Text, da beißt die Maus kein’ Faden ab.

Robert Musil schreibt in seiner Vorbemerkung übrigens: “Warum Nachlaß? Warum zu Lebzeiten? Es gibt dichterische Hinterlassenschaften, die große Geschenke sind; aber in der Regel haben Nachlässe eine verdächtige Ähnlichkeit mit Ausverkäufen wegen Auflösung des Geschäfts und mit Billigergeben. (…): ich habe jedenfalls beschlossen, die Herausgabe des meinen zu verhindern, ehe es soweit kommt, daß ich das nicht mehr tun kann. Und das verläßlichste Mittel dazu ist, daß man ihn selbst bei Lebzeiten herausgibt; mag das nun jedem einleuchten oder nicht.”

Die Texte dieses Büchleins sind übrigens oft wunderbare kleine Arbeiten, die im ersten Drittel des 20. Jahrhundert verstreut erschienen und dann gebündelt worden sind zwischen zwei Buchdeckeln, weil der Autor selbst sie in trüben Zeiten retten wollte, verfügbar machen wollte, weil sie es ihm wert waren. Heutzutage würde Robert Musil vielleicht ein literarisches Weblog führen, die Texte also gleichsam digital retten, bevor sie dann – vielleicht – doch noch gedruckt würden. Oder eben auch umgekehrt, er würde vergriffene Texte auf seiner Seite einstellen. Das mit dem musilschen Weblog ist naturgemäß nur Spekulation, doch was der ein oder andere führende Literat dazu sagen würde, das kann man sich trotzdem denken.

Ich lese jedenfalls in literarischen Weblogs, die ja zum Glück hier und da gebündelt und gesammelt werden und die tatsächlich etwas haben von einem Nachlaß zu Lebzeiten in dem Sinne, wie es Robert Musil beschrieb; man denke an Die Dschungel oder an Gleisbauarbeiten, die sich trotz der Namensgebung keineswegs gegenseitig bekämpfen, und noch viele, viele weitere. Diese Art der Herausgabe von Literatur mag nun jedem einleuchten oder nicht, doch auch ich denke da ganz pragmatisch, denn warum warten, bis man tot ist.

Katastrophenwarnungen

••• Manchmal bekommt man Anfragen, die einen vor ein echtes Problem stellen. Da wurde ich gebeten, einen Beitrag für eine Festschrift zu schreiben. Eine literarische Geschichte, zehn Seiten, und sie sollte natürlich etwas mit dem Jubilar zu tun haben. So weit, so gut. Erschwerend komme aber hinzu, dass die Geschichte so geschrieben sein müsse, dass ich sie in einer 10-Minuten-Fassung auf der literarisch-musikalischen Geburtstagsfeier vortragen könne.

Ich hätte gern abgelehnt. Der Jubilar aber ist Hans Dieter Beck, jahrzehntelanger Chef des juristischen Zweigs des Beck-Verlages, Bruder meines Verlegers Wolfgang Beck und »Obertukan«, Präsident des Tukan-Kreises, von dem ich 2010 für »Die Leinwand« den Tukan-Preis verliehen bekommen habe. Hans Dieter Beck wird runde 80, was man keine Sekunde glaubt, wenn man ihn live erlebt.

Da konnte ich nun unmöglich absagen. Mir war auch gleich klar, wovon meine Geschichte für die Festschrift handeln müsste: von Katastrophenwarnungen. Hier ist die Kurzfassung.

Tukan-Kreis im Hause Beck anlässlich des 80. Geburtstags von »Obertukan« Hans Dieter Beck
Tukan-Kreis im Hause Beck anlässlich des 80. Geburtstags von Hans Dieter Beck. Gesprochen haben übrigens Oberbürgermeister Christian Ude und die Autoren Asta Scheib, Georg M. Oswald, Albert von Schirnding sowie meine Wenigkeit.

Lieber Hans Dieter Beck, liebe Tukane und Tukan-Freunde,

ich möchte Ihnen heute etwas über Katastrophenwarnungen erzählen.

Die meisten Katastrophen, die uns im Leben ereilen, brechen ja ohne Vorwarnung über uns herein. Mein eigenes Leben, grad halb so lang wie das unseres Gastgebers Hans Dieter Beck, ist da keine Ausnahme. Nachdrücklich vor einer Katastrophe gewarnt worden bin ich aber auch schon, mindestens dreimal in meinem Leben, und alle drei Male hatte es etwas mit der Literatur und mit »den Süddeutschen« zu tun, einmal sogar mit beidem zugleich. Von diesen drei Warnungen will ich Ihnen erzählen, und als hinterhältiger Erzähler enthülle ich natürlich nicht vorab, wie alles ausgegangen ist und ob und welche Rolle Hans Dieter Beck in diesen Geschichten gespielt haben könnte.

Die erste nachdrückliche Warnung vor einer Katastrophe, die ich zu hören bekommen habe, geht auf das Konto meiner Mutter. Und weil meine Mutter sich gern blumig ausdrückt, hat sie nicht einfach nur gesagt: Sieh dich vor! Nein, sie bemühte einen Vers von Bert Brecht, und das hörte sich dann so an: »Meine Herren, meine Mutter, die prägte / auf mich einst ein schlimmes Wort. / Ich würde mal enden im Schauhaus / oder an einem noch schlimmeren Ort.«

Ich war damals zwölf. Eines der unzähligen Gedichte, die ich tagtäglich schrieb, war in einer Zeitung veröffentlicht worden. Darüber war ich natürlich so stolz, wie man nur sein kann. Und ich wähnte mich am Ziel. Ich hatte nämlich schon länger den Plan gefasst, Dichter zu werden. Diese erste Veröffentlichung gab mir nun das Gefühl, es könne nichts mehr schiefgehen.

In dem Gedicht ging es übrigens um Ikarus. Dass er abgestürzt war, stand nur zwischen den Zeilen. Diese Verse hatten sehr viel mit mir selbst und dem Anlass meines Schreibens überhaupt zu tun. Die Sonnen, denen ich mich gern genähert hätte, trugen Namen wie Anja und Claudia. Mir fehlte aber der Mut, sie anzusprechen. Die meisten empfindsameren Mädchen, hatte ich gehört, mögen Gedichte und Geschichten. Verraten Sie es niemandem: Das ist der Grund, weswegen ich angefangen habe zu schreiben. Und deswegen kam kein anderer »Beruf« für mich in Frage als der des Dichters und Geschichtenerzählers. Ich wollte die Frauen beeindrucken, damit sie mich mit Bewunderung ansehen und mit Zuneigung belohnen, was für mein damaliges Empfinden irgendwie zusammenhängen musste. Dass die weitaus meisten Katastrophen, in die ich später ohne Vorwarnung geschlittert bin, etwas mit Frauen zu tun hatten, wird nach diesem Geständnis niemanden wundern.

Meine Mutter kümmerte das alles nicht. Sie platzte in diesen hochgestimmten Moment mit dem Wort »Schauhaus« und versuchte so, mir klarzumachen, dass Geschichten zu erzählen und Verse zu machen, nun wirklich kein Beruf sei. Ich fand das damals sehr unzärtlich, um nicht zu sagen herzlos.

Das war die erste Katastrophenwarnung in meinem Leben, an die ich mich deutlich erinnere.

Die zweite Warnung vor einer Katastrophe richtete ein Freund an mich. Das war 13 Jahre später, 1995, in Berlin. Ich hatte natürlich nichts auf die Warnung meiner Mutter gegeben. Dass ich mit zwölf keineswegs bereits ein gemachter Mann gewesen war, hatte ich zwischenzeitlich begriffen. Im Schauhaus bin ich zwar nicht gelandet, aber die Wohnung, die ich mir gerade so leisten konnte, hatte in etwa das Flair eines Schauhauses: einrichtungslos, eng, kalt und ungemütlich und eigentlich nur tot zu ertragen. Immerhin sollte bald mein erster Roman erscheinen; und das, hoffte ich, würde das Blatt wenden.

Vorerst aber war das Geld aus, und ich meine, es war vollständig aus. Also hatte ich mich dazu überwunden, journalistisch zu schreiben. Das war zwar ein Verrat an der Dichtung, aber es brachte Geld. Allerdings bedeutete es auch, dass ich nach München umziehen musste, unter den »Weißwurschtäquator«, wie man in Berlin sagt. Das gefiel mir gar nicht. Ich dachte aber: Auch das geht vorbei.

Besagter warnender Freund stammte aus Stuttgart. Er hatte da ein Bekleidungsgeschäft besessen und war schnelle Autos gefahren, bis er nach kurzer Zeit als Geschäftsmann die Hand heben musste. Schuld, sagte er, seien »die Süddeutschen« gewesen, ein ganz übler und hinterhältiger Menschenschlag, kaltherzig und knallhart. Da solle ich mich mal schön vorsehen, dass es mir nicht schlimm erginge und sie mich auch zur Strecke brächten.

Also ganz ehrlich: Ich dachte, der spinnt, ich habe ihm kein Wort geglaubt und bin nach München gezogen.

Es gab dann schon Katastrophen. In denen spielte aber ein schmerzlich schönes tschechisches Mädchen die Hauptrolle, und man konnte nun wirklich nicht »die Süddeutschen« dafür verantwortlich machen, dass ich den Begleiterscheinungen ihres Temperamentes nicht gewachsen war.

An der Warnung des Stuttgarter Freundes war nichts dran. Hier im Süden ist für mich doch alles noch irgendwie gut geworden. Das fand sogar meine Mutter. Ich hatte schon einige Zeit nichts Literarisches mehr geschrieben, stattdessen aber einen Beruf, der mich ernährte. Ich merkte eines Tages, dass geschehen war, was ich immer gehofft hatte: Ich wurde von einer sehr bemerkenswerten Frau sehr geliebt; und da gab ich das Dichten auf, habe geheiratet und zwei wunderbare Kinder gezeugt.

Ende der Geschichte? Warten Sie ab! Es war noch nicht von Hans Dieter Beck die Rede.

Im Jahr 2006 habe ich doch wieder begonnen zu schreiben, erst ein literarisches Weblog, dann einige wenige Gedichte, und schließlich begann ich mit der Arbeit an einem Roman. Dieser Roman, »Die Leinwand« nämlich, wurde wohlwollend aufgenommen. Er hat sich sogar ganz ordentlich verkauft, und schließlich bekam ich die Nachricht, dass ich einen Preis dafür erhalten sollte, den Tukan-Preis der Stadt München.

Da spätestens war es dann an der Zeit für die dritte Katastrophenwarnung. Dieser Tukan-Preis, berichtete mir eine zuverlässige Quelle, sei der einzige Preis, bei dem man als Ausgezeichneter nicht sicher sein könne, bei der Verleihung nicht eher gezauselt als gelobt zu werden. Die Begrüßungsrede nämlich würde vom »Obertukan« gehalten: Hans Dieter Beck. Man gab mir dann noch das eine oder andere illustrierende Beispiel. Ich dachte: Oh, das ist jetzt die dritte Katastrophenwarnung, die Du bekommst; es geht um Literatur, und dieser Beck (den ich noch nicht kannte) ist ein Süddeutscher!

Mit einem Mal hatte ich Angst, und wenige Tage später hatte ich zur Angst dazu auch noch eine Einladung zu Kaffee und Torte bei Hans Dieter Beck. Er wolle mich mal kennenlernen, weil er doch der »Obertukan« sei und diese lästige Rede halten müsse. Als ich dann schließlich mit ordentlich Fracksausen beim ihm im Verlagshause Beck vor der Torte saß, hat er genau das wiederholt, aber mit dem Zusatz, und ich darf da zitieren: »Sie sind ja schon eine ziemlich eigenartige Figur. Sie müssen mir da mal ein paar Fragen beantworten.« Das mit dieser Wenderei bei dem Roman, das sei doch schon ein Schnickschnack, oder? Dann gab er ohne jede Hemmung zu, dass er das Buch noch nicht ganz gelesen habe. Es sei so viel zu tun in einem so großen Verlag, und er habe es auch gar nicht so mit der Literatur! Und so ging das noch ein wenig weiter.

Ich war aber schlagartig absolut entspannt, denn mir war klar: Die Katastrophe kann nicht nur eventuell eintreten; sie ist schon da. Ich bin samt Buch längst beerdigt. Da ist nichts mehr zu machen.

Entspannend an dieser Nahtoderfahrung war der Umstand, dass ich auch keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte. Ich konnte seine Fragen kess parieren, ja sogar Scherze machen und neckende Gegenfragen stellen. Und – was soll ich sagen: Wir unterhielten uns mit einem Mal blendend. Ich entdeckte ein Lächeln. Ich wurde Zeuge des Charmes, der da unter einer etwas rauhen Schale nur darauf wartete, sich zeigen zu dürfen. Es wurde auch sehr schnell klar, dass dieser Mann durchaus einen Sackvoll Ahnung von Büchern hat, sogar wenn es welche »vom Rande« sind, also: belletristische.

Es war eine sehr erfrischende und inspirierende Stunde, die wir da plaudernd verbracht haben. Ich trank den Kaffee, er aß die Torte; und die Rede, die Hans Dieter Beck dann schließlich bei der Preisverleihung gehalten hat, kam mir geschmeidig und süß vor wie Tortencréme. Viel Lärm um nichts also! Sie können drauf wetten, dass ich auf Katastrophenwarnungen ab jetzt nichts mehr gebe.

Lieber Hans Dieter Beck, dass und wie sehr ich es schätze, Sie kennengelernt zu haben, werden Sie nun wissen. Unter Juden sagt man sich zum Geburtstag »Mazal tov« und »Bis 120«. Einige wandeln das ab und sagen stattdessen: »Bis 100 wie 20«. Wie auch immer man es dreht: Sie haben noch ein Drittel Ihres Weges vor sich. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Sie weiter wie heute mit der Kraft eines Zwanzigjährigen am Ball bleiben werden.

Herzlichen Glückwunsch!