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No falls, no fun: Iggy Pops Kärtchen vom Rheinfall

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Unsere Einträge zum Rheinfall stoßen insbesondere in der Schweiz immer wieder auf beträchtliche Resonanz. Die Schweizer scheinen gewissermaßen stolz auf “ihr” Rhein-Naturschauspiel. Die Scans der oben zu sehenden Postkarte schickte uns eine junge Dame, die ihren Namen nicht genannt haben möchte. Gefunden hat sie die Karte zwischen alten Familienfotos, die jahrzehntelang vergessen in einem Schuhkarton gilbten. Auf Nachfragen im Familienkreis stellte sich heraus, daß der Großvater unserer Informantin die Karte am Grabstein des mutmaßlichen Stifters von Kloster Allerheiligen zu Schaffhausen, Eberhard III. von Nellenburg(*), gefunden und aufgehoben hatte. Die Signatur “Iggy” habe ihm nichts bedeutet, doch habe er das Motiv für schön befunden und weil seine längst verstorbene Frau, nachdem er ihr seinen Fund gezeigt hatte, dem Großvater erzählt habe, daß Iggy Pop “ein berühmter Schlagersänger” und sehr wahrscheinlich der Verfasser der wenigen Zeilen sei, könne er sich bis heute genau an die Umstände des Fundes erinnern. Für die Geschichte spricht, daß Pop laut unserer Informantin “nachweislich 1976 seinen Freund David Bowie, der damals in der Nähe von Genf wohnte, in der Schweiz besucht hatte”. Gewisse Blätter, habe die verstorbene Großmutter gewußt, seien damals voll von dieser Visite gewesen. Denn die Sänger hätten vor allem Drogen im Übermaß zu sich genommen, was zu gesellschaftlicher Aufregung geführt habe. Ob Bowie und Pop tatsächlich gemeinsam den Rheinfall besucht haben, darüber wisse sie allerdings nichts, “und die beiden Herren ja vielleicht auch selber nicht” wie unsere Informantin anfügt. Auch wie die frankierte, gestempelte und somit offenbar trotz fehlender Empfängeradresse auf den Versandweg gelangte Karte letztlich an ihren Fundort im Kloster kam, dürfte ein Geheimnis der Pop- sowie der Rheinfallgeschichte bleiben.

(*) Nach anderer Quelle gilt Eberhard VI. von Nellenburg als Klostergründer. Besonders verwirrend in diesem Zusammenhang, daß Eberhard IV. von Nellenburg gelegentlich mit Eberhard I. von Nellenburg gleichgesetzt wird, wodurch letztlich die gesamte Zählreihe in Frage zu stellen sein dürfte.

Der 3. Todestag

26.12. 2010

Am Abend vor ihrem Tod hinterliess sie mit brüchiger Stimme eine Nachricht auf der Mailbox. Man spürte die Mühe, die ihr die Worte machten, doch dass sie den Ärzten am nächsten Vormittag unter den Händen wegsterben würde, mit zwei Herzinfarkten kurz hintereinander, das war nicht heraus zu hören.

Die Nachricht war an mich gerichtet, nahm aber einen Umweg über die Gräfin.

„Susanne, sag dem Andreas doch bitte, er möchte an die Tempo-Taschentücher und an das Baldrian extra-stark denken, wenn er mich morgen besuchen kommt..“

Dass sie die Gräfin direkt ansprach, lag an der Aufforderung ..sprechen Sie bitte nach dem Piepton, mit der die Gräfin das Wort an die Anrufer erteilte. Das machte sie sozusagen zur natürlichen Ansprechpartnerin.

Die knappe Nachricht beschloss Mutter wie üblich mit einem leicht belustigten, langgezogenen, die Rutsche runtergerutschten „Ennn..de“, als handelte es sich um ein Spaß-Telegramm alter Schule. Und während sie nun den Hörer umständlich Richtung Telefonapparat bugsierte, zeichnete die Sprachbox das Rascheln der Bettwäsche auf sowie Mutters allerletztes, leise im Abspann abtauchendes „schüss..“ Geradezu ein Klein-U-Boot von einem schüss, ein schüss, das mit dem Periskop noch einmal heimlich die See ablauschte, die an zweiten Weihnachten ruhig dalag, wenig Wellengang, no fish today.

Frau Wolf, die grundsympathische, in etwa gleichaltrige Bettnachbarin, (in jungen Jahren hatte sie als Hutmacherin in Hamburg gearbeitet), tuschelte noch irgendetwas im Hintergrund, das aber nicht zu verstehen war, nicht mal in Ansätzen, auch nach dem x-ten Abhören nicht.

Dann machte es klack.

27. 12.  2010

Als ich um die Mittagszeit vom Einkaufen heimkehrte, bepackt wie ein Sherpa des Kapitalismus und dementsprechend gelaunt, „Was sollen wir unseren Enkeln eigentlich später mal erzählen?! Wie schön wir früher Einkaufen waren??!“ „Welche Enkel?“, sprang der Hund kläffend an mir hoch. Die Gräfin stand in der Küche, noch dick eingemummelt vom Spaziergang.

„Wir sind auch gerade erst reingekommen.“

Während sie demonstrierte, wie tief der Hund und sie im Schnee eingesunken waren, bei acht Grad unter Null, oben auf den Feldern, klingelte das Telefon. Wir liessen es klingeln. Die Mailbox würde es schon aufzeichnen, und dann konnte man ja zurückrufen. Das war gängige Praxis bei uns, so verfuhren wir grundsätzlich, was das Festnetztelefon betraf.

Der Winter 2010 war der strengste Winter seit langem, die Temperaturen fielen kaum unter den Gefrierpunkt. Die Weide im Garten war so voller Schnee, dass sich der Baum schon dem Küchenfenster entgegenbog und uns das Tagslicht nahm. Und je länger das Winterhoch dauerte, desto näher kam uns die Weide. Auf einem der Zweige hockte ein Dompfaffen-Pärchen und glotzte stoisch in unsere Küche, wie zwei Punktrichter beim Eislaufen.

Wegen des strengen Winters hatten Nachbarn den Garten mit Vogelfutter-Spendern und jodierten Häuschen zugepflastert, mit durchschlagendem Erfolg. Der Garten war zu jeder Tageszeit Treffpunkt aller möglichen Raben, Blaukehlchen und Stare, die die Kästen und Meisenknödel anflogen oder ein Bad nahmen im Tauwasser, das sich gelegentlich unter den Abflussrohren sammelte.

Ich hörte die Mailbox ab. Es war jedes Mal eine umständliche Prozedur, man musste eine Kolonne von Zahlen eingeben, bevor man die aufgezeichneten Nachrichten abrufen konnte.

„Sie haben: ZWEI neue Nachrichten.“

Die erste Nachricht kam vom Städtischen Klinikum. Eine Schwester Monika. Ich möchte bitte umgehend auf der Intensivstation anrufen. Durchwahl. Danke. Da wurde mir schon mulmig, da ich aber Mutters Stimme vom Vorabend noch im Ohr hatte, stellte ich meine Befürchtungen hintenan, obwohl.. Intensivstation..

Ich fragte mich, wieso ich die Nachricht erhalten hatte und nicht eins meiner Geschwister. Stand ich ganz oben in der Hierarchie der Empfänger von schlechten Nachrichten? War ich der Bad News-Mann der Familie? Dann fiel mir ein: Unsinn. Da meine Schwester, in der Rangfolge obenan, in Wintersport war und mein Bruder um diese Uhrzeit arbeitete, war ich als einziger greifbar.

Die zweite Nachricht hörte ich gar nicht mehr ab, da das Telefon genau in dem Moment klingelte, ja aufbrauste, als ich sie abrufen wollte. Vater war dran. Schon im gleichen Moment, als ich seine angsterfüllte laute Stimme hörte, wußte ich, dass ich diesen Klang nie mehr los werden würde, für den Rest meines Lebens nicht.

“Es ist was ganz schlimmes passiert”, rief er, fast bewusstlos,“Mutter ist tot.”

Ich stand in der Küche. Da waren seine Worte, ich hörte ihr Nachglühen. Ich war gerade reingekommen, verschwitzt vom Einkaufen. Mutter ist tot. Es ist was ganz schlimmes passiert. Ich sank auf den Stuhl nieder.

“Was ist los?” rief die Gräfin. Sie war in ihrem Zimmer.

“Meine Mutter ist tot”, sagte ich tonlos, und zu Vater in den Telefonhörer: “Ich komme.. Ist jemand da?”

Die Nachricht vom Tod eines Menschen zu erhalten, der dir nahe steht, das ist, als würdest du bei voller Fahrt den Kopf aus dem Zugfenster stecken und gegen einen Mast knallen. Dabei wolltest du nur Luft schnappen.

Die Gräfin kam angelaufen, nahm mich in den Arm. „Verdammt“, flüsterte sie. Sie hatte Tränen in den Augen. „Verdammt, verdammt, verdammt..“

Ich konnte nicht weinen. Da war nur große graue Leere. Ein großes Unverständnis. Wie kann ein Junge ohne seine Mutter..? Sei nicht albern. Du bist fünfzig geworden, deine Mutter 83.

„Was ist denn passiert?“ fragte die Gräfin.

„Herzinfarkt“, sagte ich.

Aus dem Wasserhahn über der Spüle liess ich Leitungswasser laufen, es plätscherte ins Edelstahlbecken, dann erst hielt ich ein Glas drunter. Wieso trinkst du jetzt Wasser? dachte ich. Deine Mutter ist tot. Gerade gestorben, gerade eben. Wie kannst du etwas so profanes tun wie Leitungswasser trinken. Soeben hat der Mensch, der dir das Leben schenkte, das Leben verlassen, und du säufst Wasser wie ein Pferd. Planeten müssten vom Himmel stürzen, die Zeit müsste stillstehen, die Menschheit müsste im Boden versinken vor Scham.

Ein Glas Wasser.

..

Die ganze Geschichte erscheint demnächst

unter dem Titel „Raunacht

Dass Frauen älter werden, davon hatte ich gehört. Dass Frauen an meiner Seite älter werden, davon war nie die Rede. Und dann kehrte sie eines Tages vom Termin bei der Frauenärztin heim, mit einer Schachtel Hormonpflaster. Sie las mir aus dem Beipackzettel vor. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, und liess es mir übersetzen.

“Hormone sind.. Popcorn für die Gebärmutter”, erklärte sie aufgekratzt.

Nicht, dass ich fortan Bescheid gewusst hätte, doch jetzt hörte es sich wenigstens sexy an, nach großer Oster-Kirmes. Nach Blue Hawaii und Autoscooter, nach rieselnden Kokusnussbrunnen.

(aus: Popcorn & Hundehalsband auf Glumm.)

Farah Days Tagebuch, 9

Montag, 28. Januar 2013

Wovon ich schreiben könnte.

Als erstes natürlich: über Cremediebinnen.
Dann über Berg, der ständig nach Öl riecht, den Gebieter über die – nein, alle – verpassten Augenblicke. Das unschlüssige Gespräch mit der mächtigsten Frau der Stadt. Der schwarze Mann mit dem Totenkopfring fällt als Thema durch (zu vorhersehbar), nicht aber, warum Kunstausstellungen langweilig sind und warum sie das einzige sind, das langweilig ist. Die Frau, die langsam älter wird, die sich immer im Gesicht zwickt. (Warum?) Die schönsten Worte der letzten fünf Jahre. Armut und ihre Auswirkungen. Mutwilligkeit und ihre Auswirkungen. Der Atem, den der langjährige Geschäftsfreund ausstößt, als er zum ersten Mal ihre Hand auf seinem Schwanz spürt. Die unsägliche Energie, die der Tod eines Familienmitglieds freisetzt. Ein paar kleine, grandiose Tricks, um Komplexität auszuhalten. Grundlose Aggressionen gegenüber Leuten, die allzu versiert sind. Über Untermalungen, in jeder Hinsicht. Die private Aufzeichnung: was sie bedeutet, was sie verhindert. Die Sehnsucht danach, nicht zu sprechen, sondern gesprochen zu werden. Der Auftritt im Kultursender der Stadt und warum es unabdingbar ist, eingeführt zu werden. Über Einführungen. Von der Schwierigkeit, sich zu konzentrieren und der Angepisstheit gegenüber jenen, die das besser können. Vom Pop in der Literatur (als Klanginstallation), die Sehnsucht nach Unterwerfung, die Fetische der Saison und warum gerade sie. Alte Freunde bei alltäglichen Verrichtungen beobachten, ihre Bewegungen studieren, Kleider, Gesten, Accessoires. Warum Henry Jagloms ‘New years day’ ein erwähnenswerter Film ist. Exibitionismus: Warum es verboten ist, aus dem Tagebuch vorzulesen. Warum es bei allem und jedem und immer untendrunter um die Vereinnamung (nein, kein h) von Zeit geht und wie unterschiedlich sie bei den einzelnen ist. Die einfache Sprache könnte Rettung sein. Das Ei muß auf: dafür ist die kleine Säge am Schnabel da. Die Schwierigkeit, sich einem möglichen Erfolg zu stellen. Männerfreundschaften: wie zwei aufeinanderfallen. Wie ich mir immer gewünscht habe, jemand würde Arsch, Bauch und Hinterkopf mitfühlen, die unausgesprochenen Ideen, das Ticken der Muschi, das Gewicht der Brüste, die unglaublich unzähligen Formen weiblicher Nervosität: unmittelbar. Eine Situation beschreiben, in der Vertrauen entstand. Eine schöne Frau beschreiben, von der sich erst am Schluß herausstellt, daß man sich selbst damit meint.
Ein Wort beschreiben, als wäre es ein Bild. Die verwahrloste Wohnhöhle eines älteren, fernsehsüchtigen, menschenscheuen Mannes, der trotz ausufernden Pornokonsums ein Gentleman ist. Harten Sex sentimental beschreiben, den ersten Kuss wie einen Verkehrsunfall beschreiben. Ein Plädoyer schreiben für das Warten: Endlich Partei ergreifen für das Warten. Das Handeln hat weißgott schon genügend Staranwälte. Befangenheit: Wahrscheinlich die schlimmste Hemmschwelle von allen. Sätze, die einem gelegentlich unterkommen, die so abgefahren gut sind, daß man sofort mit der Person ins Bett gehen würde, die sie geschrieben hat, ganz gleich wessen Geschlechts. Was man macht, wenn man einer Situation nicht mehr entrinnen kann. Eine Liebeserklärung, an alle überdimensionierten Körper gerichtet. Jedem einen besonderen Namen geben, und jenen, die keinen verdienen, einen geben, der genau das ausdrückt. Die Höflichen mögen ihre eigene Höflichkeit mehr als die Menschen, denen sie sie angedeihen lassen.
Ein Haus erfinden: Ein einziges. Der Körper sollte auch mal über den Geist siegen dürfen, darf er aber nie; umgekehrt wird ein (Hemm)schuh draus.
‘Warum läßt du sie dann nicht endlich fallen’: Sich zu trennen von Menschen, die das Neue in dir nicht sehen. Der Duft des Geschlechtsteils nach einem langen, arbeitsreichen Tag, warum es nicht belanglos ist, wie man seinen eigenen Geruch empfindet. Was macht der Dichter? Er verbindet Wortwurzeln aus 1000 Plateaus, das ist das Zauberhafte, damit kriegt er uns. Das Bild einer Frau, die die Traurigkeit in ihrem innersten Wesen kompetent in Schach hält, wie viele Partien und Eröffnungen sie auswendig gelernt hat, was für einen Beruf sie ausübt. Die Vorstellung, daß Vater und Tochter gleichzeitig einen Roman über die gleiche Familie schreiben. Mosaikromane: mehrere Autoren schreiben innerhalb einer verabredeten Welt, jeder steuert eine oder mehrere Figuren bei, die auch von den anderen benutzt werden dürfen. Wie es sich anfühlen würde, in die Obhut eines reichen Mannes zu geraten: sind die Gelenke schmal genug? Frauen, die ausgehalten werden wollen, brauchen schmale Gelenke. Was den alten Freund zum Henker machte.
Irgenein Pelztier muß auftauchen und reden, so wie Blooms Katze im Ulysses oder die Gamecat bei Jeff Noon in Nymphomation. Sprache darf knacken. Erstmal einen Raum ausstatten, Personen hinzufügen, dann Dialog und im Dialog muß sich die nächste Szene vorankündigen, eine Überleitung, dann nächste Einstellung. Wie einen Film mit Kameraeinstellungen imaginieren – mein visuelles Vermögen ist besser entwickelt als das logische. Jede Figur hat sowohl ein Angebot als auch ein Bedürfnis, die allererste Vorstellung der Figur sollte beides schon mal heimlich implizieren. Nichts ist zu blöd, um es erst einmal hinzuschreiben. Manchmal sprechen mehrere Leute im Hintergrund, während vorne irgendwas passiert; die Stimmen im Hintergrund könnten kollagiert sein. Von Assoziationen allein jedenfalls wird niemand satt.

Kurztitel & Kontexte bis 2013-03-17

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