„Wir sind nicht allein in der Welt und wissen davon, weil rings um uns die Gesten der anderen auf uns deuten. Dieses Deuten ist eine Tätigkeit und zugleich ein Vorwegnehmen des Getanen. Die Grammatik erschwert die Formulierung des Umstands, dass Bedeutung ´haben´ und Bedeutung ´geben´ synonym sind. Aber die Betrachtung der Geste des Malens umgeht die grammatikalische Hürde. Das zu malende Gemälde ist die Bedeutung, welche die Geste ´gibt´, indem sie es macht, und ´hat´, indem sie es vorwegnimmt. Der Maler verwirklicht sich in der Geste, weil darin sein Leben jene Bedeutung bekommt, welche sie gibt, und sie gibt sie durch Pinselstriche, Fußbewegungen, Augenblinzeln, kurz durch die Bewegung des Deutens. Die Bewegung des Deutens ist nicht selbst ´Arbeit´, sondern der Entwurf der Arbeit. Und doch zielt die Bewegung des Deutens auf ein Verändern der Welt und hat es zur Folge.“ Vilem Flusser: Die Geste des Malens
„Mein Vater handelte schnell und unerbittlich. War er mir in den letzten Monaten immer schwächer und hinfälliger erschienen, so wuchs er jetzt über sich hinaus. Seine Wangen röteten sich, seine Hände griffen beherzt zu, sein Schritt wurde ausladender. Hinter seinen hohen Stirn arbeitete es unablässig, während er an jenem Abend nach dem Zusammenbruch noch dem gemeinsamen Abendessen präsidierte, als sei nichts geschehen. Dorotheas Stuhl indes war leer geblieben. Nachdem er sein Dessert, eine hervorragende bayerische Creme, wie wir sie erst durch die neue deutsche Köchin, die von Dorothea eingestellt worden war, kennengelernt hatten, bis auf den letzten Rest ausgelöffelt hatte, wandte er sich mit fester Stimme an mich: ´In einer Stunde möchte ich dich in meinem Arbeitszimmer sehen. Bis dahin werde ich meine Entscheidung treffen.´
Zu jener Stunde war es mir gleich, was mit Dorothea und dem Kind geschehen würde, das sie unter dem Herzen trug und das ich gezeugt hatte. Ich dachte nur an Sofia und wie ich sie zurück gewinnen könnte. Daher betrat ich das Arbeitszimmer meines Vaters ohne jede Scheu. Ich war mir der Schuld bewusst, die ich auf mich geladen hatte, aber noch immer erschien mein Handeln mir als eine gerechte Rache. ´Die Deutsche verlässt noch zur Stunde mein Haus. Sie geht nach Stettin, wo ich sie fürderhand bei deiner ehemaligen Amme unterbringen kann. Dort wird sie auch das Kind zur Welt bringen. Später…´ Sein Blick traf den meinen und das Unerschütterte meiner Haltung muss ihn erschrocken haben. ´Sollte ich mich täuschen, mein Sohn, und dir Unrecht …“ Ich unterbrach ihn rasch: ´Es ist alles, wie Sie es vermuten, Vater.´ Er schluckte. Dann riss er sich zusammen. ´Ich verlange Stillschweigen, wie du dir denken kannst. Auch du wirst mein Haus verlassen.“ Selbst das schreckte mich nicht, denn meine Gedanken kreisten weiterhin unablässig nur darum, mit welchen Worten, welchen Beteuerungen ich Sofia umzustimmen vermöchte, der ich schon morgen auflauern wollte auf allen ihren Wegen durch die Stadt. „Ich schreibe deinem Onkel in Odessa und bitte ihn darum, dich aufzunehmen.“ Zum ersten Mal horchte ich auf. Ich erkannte Vaters Plan: Sie an die Baltische See und ich ans Schwarze Meer. „Du bist frei, solange du diese deutsche Hure nicht wiedersiehst, die ich in mein Haus geholt habe. Verzeih mir, mein Sohn, dass ich dich der Verführerin aussetzte.“ Er gab mir die Unschuld zurück mit diesen Worten, mein Vater, und ein Exempel der Freiheit. Er ließ mich die Welt sehen, wie er sie sehen wollte.
Noch in dieser Nacht folgte ich in einer Mietkutsche Dorothea nach Stettin.“
Auto im Regen, und jemand hat Angst
vorm Donner draußen. Man ist verführt,
zurückzublicken, etwas von damals
aufzutischen, ins schöne Gesicht nebenan,
direkt in den schönen Mund. Und hinter dir das Kind,
das zuvor immer wieder in die Höhe sprang,
mit Händen, die den Himmel berühren wollten.
Jetzt siehst du auch den Mann, der bei jedem
seiner Sprünge die Arme ausbreitet und klatscht
2
es ging um Verrat, Demütigung und Macht.
Zwischen die Räder der Eltern kam ein Kind,
das nun ein Mann ist, der sich nicht rechtfertigen will.
Die Schöne mit dem rasierten Kopf balanciert
auf einem Band zwischen zwei Bäumen ohne
zu fallen. Sie geht dir danach gleich zur Hand,
indem sie deine Einladung nicht annimmt.
Auf den Cent genau gibt sie dir ihren Anteil zurück
3
natürlich eine Ehegeschichte, und du warst viel
zu jung, um Widerstand zu leisten. Es gab
ein Haus nur im Kopf, aber ein Kabinett zum Wohnen
für das Paar, immer Zeuge unermüdlicher Elternarbeit,
schon am frühen Morgen. Noch im Halbschlaf trat
Sex so oft heran, auch die Kunst als leichtsinnige
Lebenshochstimmung, die eine Zukunft verstopft hat
4
Vertrauen war eine Falle, ist es noch jetzt. Jeder Mensch,
dem du vertraust, entpuppt sich als einer, der unermüdlich
auf die Rätselhaftigkeit seines Kopfes pocht.
Du hörst dir zu und hörst kein Rätsel.
Du schlägst dich mittels Vernunft durch, auch wenn es
um Verbindlichkeiten geht zwischen den Hirnhälften
5
ein Geburtstag folgt auf den andern. Nie bist du
zufrieden mit jenen, die schon vorbei sind. Es sind
nicht die deinen, die dich so leichtfertig machen,
daß du die Hand drauf halten willst. Du wirst fügsam,
wenn die Mädchen die Haare fliegen lassen. Wenn sie
auf den Handys mit schnellen Fingern Dinge
skizzieren, die dann in der gegenteiligen Welt
erkannt und prompt weitergeschickt werden – Flasche,
Hals, Hirn, Zigarette, Becher, Asthma, Trostbonbons
6
viele Möglichkeiten in den Augenwinkeln – das
ist nicht dein Fall. Du lauerst nicht, bedauerst dich
auch nicht wegen einer Muskel- oder Venenschwäche.
Du nimmst die Gläser wahr, wie sie sind, zugleich
voller Sehnsucht, wie ein Kind auch im vollen
Genuß der Prohibition. Grammatik ist noch nicht
wirksam eingedrungen, feingliedriger Satzbau
eine noch schwierige Kunst. Du siehst dich
an einem Ofen, in dem es hellauf feuert. Die linke
Seite erstaunlich heiß, die rechte kalt und starr
7
wenn das Auto wegfährt, ist das keine Transition.
Das schöne Gesicht schnell vergangen, auch das Kind,
das sich hinterm Buch versteckt hielt. Es war eine Stimme
von hinten, die Erwachsensein reklamierte. Es war
ein Mädchen, das Überschläge perfektionierte, immer
mit einem kleinen atemlosen Aufschrei, als wär sie
auf dem Damentennisfeld. Du wirst den Finger draufhalten,
nichts wird explodieren oder sich ins strömende Out
katapultieren. Hier drinnen bleibt alles sehr lang still
Eine Beschreibung von Hartmut Abendscheins Prezi-Projekt “The Chomskytree-Haiku” ist nahezu unmöglich: Man müsste, wollte man ihm gerecht werden, alles zugleich sagen, mit einem Satz die ganze Vielschichtigkeit aufzeigen und zugleich auf die darin enthaltenen (und gewollten) Widersprüche hinweisen. Hinter, oder besser, in dem “Chomskytree-Haiku” steckt eine gehörige Portion Theorie: Gleich zu Beginn der Präsentation werden die wichtigsten Begriffe eingeführt und sehr kurz erläutert, um die es dem Autor bei seinem Projekt geht: Allegorie, Baumparadigma vs. Rhizom, Raum/Zeit und poesis. Um nichts weniger also geht es, als um Welt, ihre Deutung und ihre poetische Verarbeitung. Dass das nicht gut gehen kann, macht ein Exposé deutlich, das ebenfalls im Projekt zu finden ist: Das “Chomskytree-Haiku” ist, so heisst es da, ein “polyvisuelles, polytextuelles, polystrukturelles und polytheoretisches Image”, ein “Beitrag einer posttheoretischen Theorie”, die sich (so der Untertitel) als “intermediale Allegorie poetischen Arbeitens” versteht. “Der Baum bzw. die Wurzel als Denkfigur und Organisationsprinzip wird mit seinem Theorieantagonisten, dem des Rhizoms (nach Deleuze/Guattari, als Figur der Kontingenz und
Allesmitallemverbundenheit) kontrastiert.” Der Autor weiss, was er dem Leser/Betrachter/Interpret da zumutet.
Doch anders als diese einleitenden Worte vermuten lassen, führt das Projekt den Interpreten nicht in eine theoretische Abstraktion bildhafter Vorgänge, sondern umgekehrt in eine visuelle Abstraktion konkreter Theorie, nämlich jener des poetischen Schaffens. Jede Theorie des poetischen Schaffens birgt in sich auch eine entsprechende Theorie der poetischen Interpretation, und ich erlaube mir, da ohnehin vor die Notwendigkeit gestellt, aus den vielen möglichen einen einzelnen Ansatz auszuwählen, um den Versuch einer Deutung überhaupt beginnen zu können, diese zum Ausgang meiner Betrachtung des “Chomskytree-Haikus” zu machen.
Nutzt man gleich zu Beginn des Prezi die Zoomfunktion am rechten Bildrand, um näher an den in der Mitte sich befindenden Kreis heranzufahren, enthüllt sich mit zunehmender Nähe ein Baum, an deren Astgabeln und -spitzen sich Blüten befinden, die sich bei näherem Hinsehen als weitere Bäume oder Vergabelungen entpuppen. Ein Baum der Äste, die sich verzweigen, also, und deren Astgabeln abstrakt dargestellte Orte sind (Punkte auf einer Landkarte), von wo aus sich die Äste dann in die konkrete Welt (Fotos) hineinstrecken, über die sich jedoch dann wieder Bäume legen, die einerseits die Fotos miteinander verbinden, andererseits aber auch die in den einzelnen Fotos selbst dargestellten (und in ihnen ausgelegten) Elemente verknüpfen.
Entfernt man sich mittels Zoomfunktion wieder von diesen Unterbäumen, bemerkt man zwischen den Ästen weitere Elemente, die wie fallendes
Laub zwischen diesen verstreut sind: Haikus, Screenshots, Klebebänder und andere Materialien, die sich auf den oben erwähnten Fotos wiedererkennen lassen. Dass zwischen Bäumen und diesen zusätzlichen Elementen ein intendierter, nicht willkürlicher Zusammenhang besteht, wird deutlich, wenn man sich mittels Play-Taste Schritt für Schritt durch die Präsentation vortastet: Sie stellt das, was ein erster Blick als simultanes Gebilde enthüllt hatte, in eine lineare Abfolge, die nicht nur eine aus den vielen möglichen Lektüren des “Chomskytree-Haikus” vorschlägt, sondern auch ihre Produktionsbedingungen, -materialien und -umstände sichtbar macht. (Auch hier sei die ausgiebige Verwendung der Zoom-Funktion wärmstens empfohlen, um zum Beispiel die in den Screenshots abgebildeten Texte überhaupt lesen zu können, aber auch, um sich immer wieder durch das Herauszoomen sich des Zusammenhangs des gerade Betrachteten gewahr zu werden.)
Wie auch immer man sich Zugang zum “Chomskytree-Haiku” verschafft, ob über die vom Autor empfohlene Autoplay-Version oder über eine eigene, selbstgewählte Kletterroute durch den Baum (oder eher Rhizom?), immer wieder sieht man sich damit konfrontiert, den Zusammenhang zwischen Text und Welt, zwischen Text und Textmaterialien, zwischen Theorie und konkreter Welt, aber auch zwischen konkreter Welt und den in ihr erkannten Strukturen deuten und überdenken zu müssen.
Diese multiplen Zusammenhänge zwischen den vielen Ebenen des Textes und den vielen Ebenen der Welt lassen sich vielleicht auch so darstellen:
Am 8. Dezember 1980 befand ich mich in Teresina, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Piauí, wo ich die Sommerferien bei einem Schulfreund verbrachte. Ich hatte bereits geduscht und durfte mir noch die Abendnachrichten anschauen, bevor es ab ins Bett ginge. Es war ein Schwarzweissfernseher, der mir die Bilder aus New York zeigte: ein Passfoto des Mörders, die Blumen vor dem Gebäude, in dem John Lennon eben erschossen worden war. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nie etwas von dem Toten gehört, zumindest nichts bewusst von ihm wahrgenommen, “Imagine” sollte erst Jahre später den Soundtrack zu meiner Glaubenskrise abgeben. Die Umstände, unter denen ich von Lennons Tod erfuhr, vergass ich trotzdem nie.
Jahre später, es war eine laue Sommernacht, sass ich mit einigen Freunden in einem Gartenrestaurant im schweizerischen Winterthur und hörte das erste Mal von der polnischen Musikerin reden, die ihre Kollegen “Radio Warschau” nannten. Der Name elektrisierte mich, es war, als setzte er die Atmosphäre unter eine ungeheure Spannung, kurz darauf ging ein heftiges Sommergewitter nieder.
Oder, anders ausgedrückt: Hätte ich Italo Calvinos “Der Baron auf den Bäumen” das erste Mal nicht in einer heruntergekommenen Studentenbude im zweiten Stockwerk eines alten Hauses am Stadtrand gelesen, sondern erst jetzt, hier in Rio, im Erdgeschoss eines Hauses, das sich im Tal zwischen zwei dicht bewaldeten Hügeln befindet – hätte das Buch denselben unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht?
Denke ich an das Buch, denke ich an die Nächte weit geöffneter Fenster. Erinnere ich mich an “Radio Warschau”, kommen mir Bilder in den Sinn, die mir vormachen, die Liebe sei in Winterthur eine komplizierte Sache. Höre ich John Lennons “Imagine”, sehe ich mich als Buben nackt unter der Dusche stehen, der noch keine Ahnung hat davon, wie nah die Erde dem Himmel ist.
Verstehe ich Abendscheins Ansatz richtig und beziehe ich in meine Überlegungen auch die Grundidee der Generativen Grammatik, deren wichtigster Vertreter Noam Chomsky ist, so ist die Spannung, die zwischen all diesen Elementen besteht, die wesentliche Treibkraft des poetischen Schaffens (und Interpretierens), das als Produkt ein Destillat hervorbringt, das nicht im luftleeren Raum hängt, sondern umgeben ist von Schwebeteilchen, die wiederum den Raum strukturieren.
The Chomskytree-Haiku (Rhizome(Rhizome))
TCT-H (R(R))
von Hartmut Abendschein
Eine intermediale Allegorie poetischen Arbeitens
edition taberna kritika, Bern, 2011
Kostenloser Download: http://tcthr.etkbooks.com
Jarkko Tontti, Tampere 2010 – Foto: Jürgen Jakob Becker
Sillä jokainen tarvitsee avaran tilan
Sillä jokainen tarvitsee avaran tilan, seinät
tuekseen, niistä
koko pullonkohoavan kodin.
Siellä on Jacasserkin valtias,
kaupunkilainen, tarjoaa
lasillisen ystävälle avoimin sylin,
petosta pelkäämättä,
koko pullon jos niikseen tulee
koko pullonja tulee se.
Aamuyöllä ystävä
roikkuu seinään naulattuna
Jacasser havahtuu ja muistaa,
jurtta olisi kotina kevyempi,
vain erämaassa on oikeita ystäviä,
jokainen talo vankila,
kivitalo kuoleman peitenimi.
Pelkkään arotuuleen esi-isät nojasivat,
koko pullonavaruuden tyhjään.
••• Besonders reizvoll an der Reise nach Finnland war für mich auch das Zusammentreffen mit den finnischen Autoren. Sie hatten immerhin den Vorteil, Auszüge aus unseren Arbeiten in finnischer Übersetzung zu kennen. Wir hingegen waren ahnungslos, wen wir vor uns hatten. Die Bescheidenheit dieser Autorinnen und Autoren, die unsere Texte vor dem finnischen Publikum lasen, brachte es mit sich, dass wir auch nur ganz nach und nach erfuhren, was und wie viel sie selbst in Finnland bereits veröffentlicht hatten.
Jarkko Tontti beispielsweise, der dem finnischen Wechsler seine Stimme lieh, ist als studierter Jurist nicht nur Autor juristischer und philosophischer Fachliteratur, von Kritiken und Essays. Darüber hinaus hat er mehrere Gedichtbände und einen Roman vorgelegt und ist als Vizepräsident des finnischen PEN auch politisch für die Freiheit des Wortes engagiert. Ich habe sehr bedauert, dass ich der Sprachbarriere wegen keinen Eindruck bekommen konnte von seiner Dichtung. Dabei aber, haben wir beschlossen, sollte es nicht bleiben. Eine Reihe von Tonttis Gedichten sind ins Englische, Russische, Japanische und Portugiesische übersetzt worden. Ich habe ihn gebeten, mir doch immerhin einige der englischen Übersetzungen zuzusenden.
Nun ist es (sehen wir einmal von Masaoka Shiki ab) bald 15 Jahre her, dass ich mich – damals war es e. e. cummings – an Übertragungen aus dem Englischen gewagt habe. Aber die Gedichte aus Tonttis letztem, 2009 in Finnland erschienenen Band »Jacasser« haben es mir angetan, und so war ich bereits mittendrin im Nachdichten, bevor ich noch eine echte Entscheidung hätte fällen können, es tatsächlich versuchen zu wollen.
In diesem Band führt Jarko Tontti seinen Phantasiehelden Jacasser durch die Zeiten – ja Zeitalter – und Weltregionen. Er ist alterslos, heimatlos Halt suchend, eine kaum greifbare, mytisch anmutende Gestalt eines Wanderers. In einem anderen Gedicht des Zyklus charakterisiert Tontti ihn so:
When Jacasser was old he cast his skin and renewed it like a viper, wrapped himself up as a delicate parchment, a white sheet embroidered with lace. Under his new skin Jacasser was strong and alone. In the evenings he recalled restless African states he didn’t have the courage to visit, houses whose doorbells he’d avoided in fear of an electric shock. Now he’d have time for it all, he’d and he’d. Old and in his skin Jacasser often returned to the water’s edge, sorrowed over the disappearance of the water plants and clear lake water. In the old days it would have been unheard of, the turbidity of an algae lake is the farmer’s gift to future generations. Jacasser also thought about the bottom, the new skin would keep the moisture out, all through that journey.
Der Name geht auf das französische Verb »jacasser« (quasseln) zurück, und auch der Anklang an das englische »jackass« ist nicht ungewollt. Tontti lässt diesen »Einfaltspinsel« »quasseln« und dabei manches gewichtige Thema schultern.
Denn jeder braucht einen weiten Ort
Denn jeder braucht einen weiten Ort, Wände
als Halt, aus denen
koko pullonein Heim wächst.
Dort ist sogar Jacasser ein Herr,
reicht höflich dem Freund
mit offenen Armen ein Glas,
ohne Furcht vor Verrat,
auch die Flasche, wenn es sein soll,
koko pullonund es soll.
Im Frühlicht hängt der Freund
an der Wand, an Nägeln,
Jacasser erwacht und erinnert sich:
Eine Jurte wäre ein lichteres Heim,
und wahre Freunde kennt nur die Wildnis,
jedes Haus ein Gefängnis,
ein Steinhaus: Todesrune.
Nur die Steppenwinde waren den Vorvätern Halt,
koko pullondie Leere des Raums.
Die Verse haben es in sich, und ich bin mir trotz Rücksprache mit Jarkko nicht sicher, ob ich in dieser Nachdichtung nicht vielleicht die Grenzen der Legalität des Übersetzens überschritten habe.
Zum Vergleich hier die englische Nachdichtung von Lola Rogers:
Because everyone needs a roomy place
Because everyone needs a roomy place, walls
for support, a home
koko pullonrising from them.
Even Jacasser is the master there,
urbane, offering
a glass to a friend with open arms,
unafraid of treachery,
a whole bottle if it comes to that
koko pullonand it does.
In the small hours the friend
hangs nailed to the wall
Jacasser awakes and remembers,
a yurt would make a lighter home,
the only real friends are in the wilderness,
every house a prison,
a stone house code for death.
The winds of the steppes were all his forefathers had to lean on,
koko pullonthe empty of space.
Ich weiß, dass einige Turmsegler-Leser Literatur übersetzen, und deswegen möchte ich einige meiner (vielleicht fragwürdigen) Entscheidungen hier beleuchten. Feedback, sei es auch vernichtend, wäre mir sehr willkommen.
a roomy place
Ich habe mich für »einen weiten Ort« entschieden. Das bedeutet nicht nur »roomy«, sondern auch »entfernt«, und das scheint mir genau das zu sein, woran Jacasser hier leidet.
Even Jacasser is the master there
Das Finnische unterscheidet grammatikalisch nicht zwischen feminin und maskulin. Strenggenommen wissen wir also nicht, ob Jacasser ein Mann oder eine Frau ist. Ich sah bei diesem Vers die fernöstliche Szene des Familienoberhaupts, das dem Gast Wasser reicht (oder Kamelmilch-Kwass, was immer). Und ich sah einen Mann vor mir: »Sogar Jacasser ist dort ein Herr«. Gäbe es vielleicht eine Variante der Übersetzung, die das Geschlecht offen ließe?
In the small hours the friend
hangs nailed to the wall
Ganz kompliziert! Die »small hours«, ließ Jarkko mich wissen, sei die kurze Spanne besonderen Lichts beim Anbruch eines neuen Tages. Ich habe mich gefragt, ob tatsächlich der Körper des Freundes an die Wand genagelt sein soll, oder ob es sich nicht vielmehr um ein Bild handelt, das an einem Nagel an der Wand hängt und den Freund zeigt, der eben in Wirklichkeit ebenso entfernt ist wie das vorgestellte Heim in der vorgestellten Jurte. »Genagelt« hat nun im Deutschen auch noch eine hier ganz ungewollte Nebenbedeutung… Also bin ich aufs Visuelle ausgegangen, eben das »Frühlicht« (das so nun freilich nicht im Original steht, wenn es auch gemeint war). Vielleicht wäre »Dämmerlicht« näher dran gewesen.
Im Frühlicht hängt der Freund
an der Wand, an Nägeln
So bleibt die Möglichkeit des tatsächlich hingerichteten Freundes oder eben die Vorstellung seiner an Nägeln aufgehängten Fotografie. Beim Licht der Szene wollte ich den ganzen Vers über bleiben und so wurde aus
a yurt would make a lighter home
das nicht ganz gleichgewichtige
Eine Jurte wäre ein lichteres Heim
Darin, so bilde ich mir ein, steckt das »Leichtere« wie das »Hellere« – wie es das englische Wort »light« eben auch in sich trägt.
every house a prison,
a stone house code for death
Auch hier gehe ich vielleicht zu weit, wenn ich schreibe:
jedes Haus ein Gefängnis,
ein Steinhaus: Todesrune.
Das Steinhaus, so Tontti, sei Symbol des Todes. Also vielleicht »Todeszeichen«. Ich wollte es stärker und habe zur »Rune« gegriffen.
The winds of the steppes were all his forefathers had to lean on
Hier hätte ich mich beinahe ganz vom Original gelöst, weil mich die Assoziation des »lean on« beim Lesen sofort zur Formulierung führte: sich mit der Stirn in den Wind zu lehnen. Aber das steht ja nun weder im Original noch in der englischen Übertragung…
Last but not least: Wie soll ich es beim Einlesen mit der Ausprache des Namens halten? Französisch? Englisch? Ich mache den Namen kurzerhand deutsch. Schließlich ist es ein Phantasiename, da kann man ihn auch sprachlich adaptieren.
Was uns jetzt noch fehlt, wäre eine Aufnahme des Originals, gelesen von Jarkko. Mal sehen, ob ich ihn überreden kann.
Jarkko Tontti: »Denn jeder braucht einen weiten Ort«,
gelesen von Benjamin Stein
PS: Hier ist immerhin schon mal ein YouTube-Fund. Jarkko Tontti rezitiert ein anderes seiner Gedichte.