Schlagwort-Archive: Handschrift

Inhalt 03/2013

Die Lesezeichen-Ausgabe 03/2013 erschien am 14. Oktober 2013.


In dieser Ausgabe:
Kollegen im Bärenkostüm, die Bildung des Freiburger Typus, Baschar al-Assads Armee, ein Sichentfernen von der eigenen Handschrift, roter Sand, Bier, Schnaps und ein paar Scheiben Toast, ein zur Brücke gewordener Mensch, Oranjes Prinz und einige dieser Bischofskröten, Vilem Flusser und die endlose Einsamkeit, das Amen des Zusammenhangs, Schall und Rauch in der Stadt, Philippe Petit, eine Papercam-Story, schwerelose Dinge, ein Filialleiter mit Glatze, Kira mit Rosen, ein verbellter Tag uvm.

INHALT:

AMUR IM SCHNEE („Wer gezeichnet ist, entkommt nicht.“) Entwurf

Sie lag als eine Schlange im Schneegestöber. Lag so als schönheitsgewundene Linie schimmernd wie ein Geschmeide und wartete. Die neue Haut war ihr erwachsen, Schuppe für Schuppe, und hatte das Muster ausgebildet, von dem sie vor langer Zeit geträumt hatte, die helle Kreuzesform auf dunklem Grund. Wer näher käme, wer sich hinabbeugte, der erst sähe, dass jenes Muster sich wunderbar aus einer Vielfalt und Buntheit ergab, die von weit oben, wo der Kontrast zwischen dunkler Linie und weißem Schnee das Auge täuschte, nicht auszumachen war. Die S., wenn sie sich diesen Blick, wie er sich näherte, vorstellte, erschauderte, denn es war unvermeidlich, es war gewiss, dass einem solchen Blick die Berührung folgen würde, die sie so still und doch so gierig ersehnte. Sie war dieTreppe hinabgeglitten, zwischen den hohen Eichen hindurch, die den hinteren Teil des Gartens im Sommer verschatteten, aber jetzt, unbelaubt, wie in grausiger Anklage ihre düsteren Finger gen Himmel streckten. Sie lag und wartete auf freier Fläche zwischen den Bäumen, in der Nähe des Sees. Der Himmel so hoch und leer über ihr. Von dort würde er kommen:  Entdeckung, Schau, Angriff, Zugriff. Ich habe deine Stimme gehört: Du bist so schön. Lange bevor ich zustoße, spürst du mein Begehren. Ich bin dir unter die Haut gegangen. Ich bringe dich zum Blühen. Sie ringelte sich, so sehr erregte sie die Erinnerung an diesen Traum. War es ein Traum gewesen? Sie hatten nach ihr gesucht. Der Doktor hatte es verraten. Er hatte es nicht zugegeben, aber seine niedergeschlagenen Augen hatten ihn verraten. Amur. Die schwarze Drachin. Pernis, mein scharfschnabliger Räuberherr. Wie sie einander geflohen waren seit damals. Sie war getaucht, sehr tief. Dass ich ein Seeungeheuer bin, hattest du vergessen. Wir müssen aufpassen. Dass uns keiner auf die Spur kommt. Die Spuren, die sie im Schnee hinterlassen hatte, als sie zum See hinunter geschlichen war, wehte der Wind in gehorsamer Eile zu. Wieso hatte sie geglaubt, es beenden zu können. Wer gezeichnet ist, entkommt nicht.
Die Pfleger fanden sie im Morgengrauen, völlig unterkühlt. „Es ist ein Schub.“, sagte Dr. H., als er den Ärmel ihres Nachthemdes nach oben schob. „Wie konnten Sie das übersehen.“ Hanna versuchte sich zu rechtfertigen. Doch er hatte sich schon von ihr weggedreht. Die Patientin wurde auf die innere Station verlegt und sediert. Zu ihrer Sicherheit blieb sie, wenn niemand bei ihr im Raum war, mit Ledergurten ans Bett gefesselt. „Kein Risiko mehr an dieser Stelle.“, wies H. das Personal an. „Es geht hier um mehr als die Gesundheit dieser einen Patientin.“ Dennoch er verbrachte fast den ganzen Tag schweigend im Sessel neben dem Bett der S. Er hätte gern ihre Hand ergriffen oder ihr über die blutig verschorfte Haut am Unterarm, der über die Kante schlaff herabhing, gestrichen. Doch traute er sich nicht und das war gut so.
(Fortsetzung zu der Serie: Fabelwesen)

Verwandte Beiträge (Fabelwesen)
Kein Mann, aber etwas anderes
In der Honigfalle Vorkassa
Das Ende der Handschrift
Der Geruch der Angst Des Kaisers neue Kleider Es rauscht so kalt in meinen Adern Salzwasser ist Poesie Übertragungshäute (Verlorene Fiktionen) Pernis und Armur

Aus: Giacomo Joyce. Die Neuübersetzung (Editions-Vorfassung)

Erste Zeilen der im Herbst bei etkbooks erscheinenden Nachdichtungen

(James Joyce)
Who? A pale face surrounded by heavy odorous furs. Her movements are shy and nervous. She uses quizzing-glasses.
Yes: a brief syllable. A brief laugh. A brief beat of the eyelids.

Cobweb handwriting, traced long and fine with quiet disdain and resignation: a young person of quality.

***

(Helmut Schulze)
Wer? Ein blasses Gesicht, umgeben von dichten duftigen Pelzen. Ihre Bewegungen scheu und nervös. Sie benutzt ein Lorgnon.
Yes: Eine kurze Silbe. Ein kurzes Auflachen. Ein kurzes Senken der Augenlider.

Ihre Handschrift zieht lange, feine Spinnfäden, ihre abschätzige, ergebene Ruhe dabei: eine junge Frau aus gutem Hause.

***

(Alban Nikolai Herbst)
Wer? Ein blasses Gesicht in duftschweren Pelzen. Ihre Bewegungen scheuend, nervös. Dazu die Lorgnette.
Yes: Eine kurze Silbe. Kurzer Lacher. Ein Lidschlag.

Spinnenfäden-Handschrift, langgezogen und apart in Hochmut und stiller Ergebenheit: eine junge Standsperson.

Kurztitel & Kontexte bis 2013-01-06

VERMISST. Großvaters blaue Kladde (2002)

„Nimm die Kinder, bitte! Geht weiter.“, sage ich. Mir rinnen Tränen die Wangen herab und hinterlassen hässliche braune Wimperntuschespuren unter meinen Augen. Dicht bin ich an die Vitrine herangetreten, damit es niemand sieht. Wenn sich aber einer seitlich hinter mich stellt, spiegelt sich für ihn mein aufgelöstes Gesicht im Glas vor den Kriegsgefangenenausweisen. Meine Mundwinkel zucken beim vergeblichen Versuch kein Geräusch zu machen. Das Schluchzen ist leise, aber B. hat es dennoch gehört. Er stellt sich hinter mich und sieht, was er nicht sehen soll. Ich will jetzt keine Frage danach, was los ist. Ich will, dass er weiter geht, dass er die Kinder nimmt, bevor auch sie etwas bemerken. B. weiß nicht, was er tun soll. Der aggressive Ton verunsichert ihn,  er legt mir die Hand auf den Arm. Doch ich schüttele ihn ab: „Geh.“ Er ruft die Kinder; sie gehen hinüber in den nächsten Raum und ich bin allein vor dieser Vitrine im Haus der Geschichte in Bonn, in der ein grüner US-amerikanischer Kriegsgefangenenausweis ausgestellt ist: Prisoner of War, Camp Ashby, CA. Auf Großvaters grünen Ausweis, erinnere ich, war quer das Wort „Carpenter“ gestempelt.
Neben dem Ausweis liegt in der Vitrine eine dieser roten Postkarten, genau wie die, die  ich in den Händen gehalten habe: Die vorgedruckte Meldung an die Verwandten, dass einer in Kriegsgefangenschaft geraten ist und in ein Lager verbracht worden über den Ozean und einen fremden Kontinent nach Kalifornien. Ich habe Großvater niemals über die Jahre am pazifischen Ozean sprechen hören. In seiner unsicheren Schrift hatte er auf die Rückseite der roten Karte über das Vorgedruckte geschrieben: Dein Albert  Euer Vater. Das hatten sie ihm offenbar durchgehen lassen. Auf dem Ausstellungsexemplar  in der Vitrine sind nur die vorgesehenen Felder ausgefüllt. Ich versuche, die Linsen wieder scharf zu stellen: Ein Hermann, geboren 1907, hat diese hier gen Osten und über den Atlantik geschickt.  Albert, mein Großvater, wurde 1909 geboren, als jüngster Sohn seines Vaters. Wie ihre beiden Vorgängerinnen starb meine Urgroßmutter im Kindbett. An Mutters Stelle trat für ihn seine älteste Schwester Grete. Neunzehn Jahre alt war sie bei seiner Geburt. Im Kindesalter hatte er eine schwere Hirnhautentzündung und konnte fast ein Jahr lang die Schule nicht besuchen. Die Grete hat sich um ihn immer noch ein bisschen mehr gesorgt als um ihre anderen Geschwister. Albert, mein Großvater,  war in der Schule nach der langen Auszeit durch die Krankheit hinter seinen Kameraden zurück geblieben. Mit 14 Jahren ging er bei einem Großonkel in die Schreinerlehre. Meine Knie zittern. Ich suche nach einer Sitzgelegenheit, finde keine. Aber der Weg zur Toilette ist ausgeschildert. Dort kann ich mich einschließen und ausheulen.
Es hat mir nie jemand erzählt, wie Großvater Emma kennenlernte. Vielleicht hat es auch keiner gewusst von denen, die überlebt haben. Aber alle, die sie noch zusammen gesehen hatten, sagten, es sei eine große Liebe gewesen. Emma war anders als die anderen Frauen aus dem Dorf. Sie kaufte sich in der Stadt Zeitschriften und schneiderte sich die neueste Mode nach. Um den Hals legte sie sich einen Fuchspelz. Ihre schmalen, eleganten Kostüme bedeckten gerade die Knie. Doch ich kenne kein Foto von ihr aus jenen Jahren, als sie noch ledig und kinderlos war. Sie war vier Jahre älter als Albert. Mit der geraden, langen Nase, der hohen Stirn und dem länglichen Gesicht entsprach sie einem Schönheitsideal, wie Henny Porten es geprägt hatte. Bei den Kundinnen waren ihre Kreationen beliebt; sie selbst, hat man mir erzählt, eher nicht. Die Leute fanden sie hochnäsig mit ihrem Pelz und in den figurbetonten Kostümen. Auch als sie schon zwei kleine Mädchen hatte, arbeitete sie von zu Hause aus als Schneiderin weiter. Das war nötig, denn Großvater hatte für sie ein Haus gebaut, das abbezahlt werden musste und die Erlöse aus seiner Schreinerwerkstatt langten dafür nicht. Ihr scheint das nichts ausgemacht zu haben. Auf den Fotos berühren sich die beiden nicht, aber sie stehen ganz eng bei einander und ihr Stolz reicht hin, um seine Scheu, sein sanftes Lächeln um ihre Strenge auszugleichen. Auf dem letzten Foto, das die vier zusammen zeigt, steht meine Mutter, damals vier Jahre alt, neben ihrer Schwester, beide tragen sie weiße, spitzenverzierte Kleidchen, die Emma genäht hat. Albert trägt die Wehrmachtsuniform. Die beiden Erwachsenen sehen bedrückt aus, während die Mädchen in die Kamera lachen. Sie werden nie mehr zu viert vor einer Kamera stehen. Aber es wird nicht er sein, der fehlen wird.
Es ist nicht Trauer, begreife ich, als ich auf dem Klo sitze und die Tür von innen verriegele, weswegen ich weine. Ich kralle die Hände um den Rand des Deckels, auf den ich mich gesetzt habe. Ich möchte zuschlagen, irgendetwas entzwei hauen. Es ist Wut, pure Wut. Ich habe Emma nicht gekannt. 1944 ist sie bei einem Bombenangriff der US-Armee auf die Kreisstadt verschüttet worden. Ich weine nicht um sie. Ich weine wegen ihrer Schwester Minna, die die blaue Kladde verschwinden ließ, den grünen Ausweis, die rote Postkarte und die Briefe von Margret und Röschen an ihren Vater. Nur die zwei oder drei  Fotos von Emma und Albert mit Margret und Röschen gibt es noch. Sie kleben im Fotoalbum meiner Mutter. Aber alles, was Großvater Jahrzehnte lang in der blauen Kladde versteckt hatte, ist weg. Die blaue Kladde war in Großvaters Sekretär in der Werkstadt eingeschlossen, wo die Leitz-Ordner mit den Rechnungen an seine Kunden und alle anderen wichtigen Dokumente, sein Pass, seine Gewerbebescheinigung, seine Handwerkerrolle lagen. Ganz unten fand ich die Kladde, ein mit blauem Stoff eingeschlagenes Buch, dessen linierte Seiten zur Hälfte in seiner schwer leserlichen, spinnenhaft dünnen Handschrift beschrieben waren. Manchmal, selten, stand der Rollsekretär offen. Ich habe nie gesehen, dass  Großvater die Kladde herausnahm, wenn ich bei ihm in der Werkstatt war. Ich fand sie erst, nachdem er gestorben war. Ich durfte mir immer den Schlüssel vom Bord in der Küche nehmen und niemand hat mich gefragt, wozu ich in die Werkstatt gehe, weil alle verstanden haben, dass ich mich an Großvater erinnern will, der für mich eine kleine Hobelbank gebaut hatte, an der Wand neben seiner großen und ein Bord geschnitzt, an dem meine kleinen Werkzeuge hingen und der die Minna überredet hatte, mir eine blaue Schürze zu nähen, gerade wie seine große Schreinerschürze, die er nur zum Essen am Mittag und spät am Abend auszog.
„Sie sin an Kopp un en Arsch.“, haben sie über uns gesagt. Aber er hat mir nie von Emma erzählt. Kein Wort. Meine Mutter hat immer behauptet, dass sie sich an kaum was erinnern kann aus der Zeit, bevor  Emma weg war. So spricht sie darüber. Sie sagt nicht: „Als meine Mutter gestorben ist…“ oder „Nach dem Bombenangriff…“ Sie sagt: „Meine Mutter war dann weg…“ Mein Großvater, erzählen die Leute, ist ein gebrochener Mann gewesen, als er aus Amerika zurückkam. Sie haben die Emma nicht gemocht,  aber keiner hat je einen Zweifel daran gelassen, wie sehr Albert sie geliebt hat und sie ihn auch. Wäre es anders gewesen, wäre sie ja auch nicht gestorben. Jeder hat es ihr gesagt, lassen sich die Leute aus und schüttelten noch dreißig Jahre später den Kopf, dass die Kreisstadt bombardiert wird und eine Mutter mit zwei kleinen Kindern nicht dahin fahren darf. Deshalb hat sie es heimlich getan, denn sie hat es nicht mehr ausgehalten. Albert war als vermisst gemeldet worden im Sommer 1944 und sie musste nach Monaten ohne ein Wort wissen, ob es etwas Neues  über ihn gab. Die Mädchen hat sie mit zum Bahnhof genommen und ihnen eingeschärft, dass sie im Häuschen am Gleis warten sollten bis sie zurück käme mit dem Abendzug. „Lasst euch nicht vor den Leuten blicken“, habe sie gesagt, erzählt die Margret. Emma ist niemals  mehr zurückgekommen. Margret und Röschen haben auf den Abendzug gewartet, der nicht kam. Die ganze Nacht haben sie gewartet. Am Morgen hat sie ein Großonkel gefunden und nach Hause gebracht. Der hat auch die Emma an ihrem Ehering identifiziert in der Kreisstadt, wo die Leichen oder das, was von ihnen übrig war, in der Turnhalle aufgebahrt wurden. Meine Mutter hat nie über diese Nacht gesprochen. Sie sagt, sie hat das vergessen. Sie war fünf Jahre alt. Die Margret war zehn.
Albert begann im November 1944 in die Kladde zu schreiben. Da war Emma schon zwei Monate tot. Das wusste er nicht. Er schreibt: „Geliebte Emma, wie es wohl den Kindern und dir gehen mag. Ich denke jeden Tag an euch. Wenn ich in unserem Lager vor die Türe trete, sehe ich das Meer. Das ist der pazifische Ozean. Es ist unendlich weit. Kannst du dir das vorstellen? Ich bin am Atlantik gewesen und nun am Pazifik. Du glaubst nicht, wie schön das Meer ist. Es reißt einem das Herz auf, wie weit der Blick drüber hingeht. Wie ich  es in der Bretagne zum ersten Mal gesehen habe, dieses unendliche Blau mit den weißen Kronen drauf, da dachte ich an dich. Wie anders es gewesen wäre, mit dir dort zu stehen. Du hättest das mit mir gefühlt, denn du willst auch immer mehr als das, was da ist. Aber ich habe den Hass in den Augen der Franzosen gesehen, an denen wir vorüber gefahren sind. Ich hatte nur eine Chance, das Meer zu sehen, nämlich als Söldner von einem Verbrechers andere Länder zu überfallen. Für Leute wie dich und mich ist es nicht bestimmt, ans Meer zu fahren, obwohl es doch Gott geschaffen hat für alle Menschen. Das hat mich bitter gemacht und mein Herz verschlossen, das grade noch so weit geworden war: Der Gedanke, dass du niemals das Meer sehen wirst, liebe Emma. Ich sehne mich so sehr nach dir. Ich wünschte, du könntest herkommen mit Margret und Röschen.“
Fast ein Jahr lang hat er jeden Tag Eintragungen in diese Kladde gemacht. Vokabellisten deutsch – englisch: the door – die Tür, the cabinet – der Schrank, Kirschholz – cherry wood, Kiefer – pine. An anderen Tagen füllt er die Seiten mit seinen Gewissensbissen: „Du sollst nicht schwören, sagt der Herr. So hat uns der Pfarrer gesagt. Ich habe mitgebaut an dem Podest für den Parteitag in der Kreisstadt. Als ich gefragt wurde, haben alle gesagt, das kannst du nicht ablehnen. Du hast meinen Kopf in die Hände genommen und mich beschworen: Wir brauchen das Geld. Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte es ein anderer gemacht. Das ist wahr, aber es ist auch wahr, dass mein Vetter Richard sich lieber ein Beil in den Fuß gehauen hat, als für das Pack zu marschieren. Du hast zwei kleine Kinder, Albert, hast du gesagt. Aber wir beide, Emma, haben gewusst, dass es nicht recht ist und deswegen haben wir wach nebeneinander gelegen und geschwiegen. Am Ende habe ich den Schwur auf den Führer geleistet , als sie mich zum Soldat gemacht haben. Du sollst nicht schwören, sagt der Herr, und dafür werde ich bezahlen müssen. Denn ich habe geschworen und den Schwur gebrochen. Bei der ersten Gelegenheit bin ich getürmt und zu den Amerikanern übergelaufen. So ist das nämlich, Emma. Ich habe nicht kämpfen wollen für diese Verbrecher und meinen Schwur gebrochen. Was ist schlimmer, einen falschen Schwur leisten oder ihn brechen? Die Amerikaner sind gut zu mir gewesen. Sie lassen mich arbeiten und es ist warm und schön hier. Außer das ich nicht raus kann und dir nicht schreiben darf, Emma. Wie sehr ich euch vermisse! Geliebte, dein Haar, wenn du es löst in der Nacht.“

Manche Seiten sind halb leer. Da hat er versucht zu dichten, der Mann, der mein Großvater wurde und den ich nie ein Buch lesen sah, außer der Bibel und auch aus der nur die Psalmen, die er gern hörte, wenn ich sie ihm vorlas. Schlicht und zuweilen ungelenk sind seine Reime.
„Ich seh dich über die Felder laufen Den Kirchberg herab in meine Arme Die Welt möchte ich für dich kaufen Ach, daß sich Gott meiner erbarme, Daß ich dich bald wieder an mich drücke Und sich füllt in meinem Herzen die Lücke.“
Ich habe geweint, jedes Mal, wenn ich in der Kladde gelesen habe. Diesen Mann habe ich gekannt, der das geschrieben hat. Das ist der Mann gewesen, mit dem ich in der Werkstatt gewesen bin, der Mann, der mit mir im Wald auf die Rehe gelauscht hat und mir vom Duft der Maiglöckchen geschwärmt hat. Das war der Mann, auf dessen Schoß ich gesessen bin und der mir Märchen erzählt hat. Wenn dieser Mann die blaue Schürze abgebunden und an den Nagel gehängt hat und hinüber gegangen ist von der Werkstatt über den Hof ins Haus, dann ist er zu einem anderen Mann geworden, einem dicken, verschlossenen Mann, dem kaum mehr zu entlocken war als „Ja.Ja. Nein.Nein.“ Das ist der Mann gewesen, den die Minna gehabt hat. Der Albert, mit dem die Minna verheiratet war, war ein Mann, der das Fett vom Braten gesäbelt hat, um sich eine Wampe wie einen Panzer anzufressen.
Meine Mutter erzählt oft, wie schlimm es für sie gewesen sei, nach der Rückkehr ihres Vaters plötzlich Mutter zu der Frau sagen zu müssen, die immer die „Gote“, die Tante gewesen war. „Die ganze Trepp´ bin ich e nunner gerannt, damit ich se net rufe muss.“ Es muss grimmig gewesen sein in der ersten Zeit in dieser neuen Hausgemeinschaft aus einem Mann, dessen Herz gebrochen war und einer Frau, die wusste, dass er sie nicht wollte, und zwei Mädchen, die ihre Tante Mutter nennen sollten.  Albert kam erst 1949 zurück aus Kalifornien. Für meine Mutter brach die Welt noch einmal zusammen, erzählt sie, als der so lang herbei geträumte Vater endlich im Hof stand, ein hagerer Glatzkopf in Lumpen. Sie erkannte in ihm nicht den Vater, den sie ersehnt hatte. Auch der Schwester war sie entfremdet, denn die war während dieser Jahre in Felbach beim Emmas Familie gewesen. Der Albert bestand drauf, dass die Mädchen bei ihm aufwachsen sollten. Die beiden Familien setzten sich zusammen und fanden eine vernünftige Losung. Die unverheiratete Schwester der Emma sollte ins Haus ziehen, um die Mädchen zu versorgen. Und damit alles „eine Ordnung“ hatte, heiratete der Witwer sie.
Von dem Mann, den ich gekannt habe und der Emma geliebt hat, gibt es keine Spuren mehr, außer jenen zwei oder drei Fotos im Fotoalbum meiner Mutter, die gestellt sind und auf denen sie einander nicht berühren. Deshalb sind mir die Tränen gekommen. Ich vermisse den Mann, der nie das Haus betrat, in das Emma 1944 nicht zurückgekehrt war. In der Werkstatt habe ich ihn kennengelernt und in seinem Sekretär hatte er mir etwas hinterlassen. Das bilde ich mir ein. Ich muss mir alles einbilden. Denn die Kladde, die abbricht an jenem Tag, an dem Albert die Todesanzeige von Emma erhält mitsamt den Briefen, die die Mädchen endlich an ihn schicken dürfen im Herbst 1945, ist verschwunden. Eines Tages, als ich sie wieder aus dem Rollsekretär nehmen wollte, war sie weg. Die Kladde und all die Briefe und der Kriegsgefangenenausweis und die Postkarte aus dem Lager. Jedes Wort, das ich hier geschrieben habe, ist erfunden. Es hat diesen Mann nie gegeben. Als ich die Minna nach der Kladde gefragt habe, hat sie behauptet, sie habe nie eine gesehen. Meiner Mutter habe ich versucht zu erzählen, was Albert geschrieben hatte. „Das glaube ich nicht.“, hat sie gesagt.“ Das bildest du dir ein. Mein Vater hat nie mehr als ein paar Sätze geschrieben und auch die nur geschäftlich.“ Alle haben immer so getan, als hätte ich mir das Buch in der Werkstatt nur ausgedacht, um mich interessant zu machen oder weil ich den Großvater so sehr vermisse.
Ich war zehn Jahre alt, als Albert gestorben ist. Ich war elf, als die Kladde verschwand. In all den Jahren habe ich selbst manchmal gedacht, dass ich mir nur eingebildet habe, in Großvaters Sekretär habe ganz unten dieses blaue Buch gesteckt. Und dann lag er vor mir in der Vitrine in Bonn, der Ausweis, den ich wiedererkannte: Prisoner of War, Camp Ashby, CA. Großvater war in Kalifornien, von wo er eine vorgedruckte rote Karte nach Hause schickte an Emma, Margret und Röschen. So war es doch. Ich sehe die Minna in ihrem geblümten Kittel in der Tür zur Werkstatt stehen und mich zum Essen rufen. Schnell stecke ich die Kladde ins unterste Fach des Sekretärs zurück. Die Minna zieht die Schultern immer zusammen; sie muss sich anscheinend dauernd zusammenreißen. Nur einmal habe ich erlebt, dass sie sich gehen lässt. „Das ist mein Mann“, hat sie geschrieen, ganz zum Schluss, als der Albert gestorben ist. Aber er hat nicht mehr nach ihr gefragt. Von jedem Enkelkind hat er einzeln Abschied genommen, von seinen Töchtern auch. Nur nach ihr hat er nicht verlangt.
Ich pudere mir das Gesicht vor dem Spiegel in der Museumstoilette und ziehe den Lidstrich sorgfältig nach. Minna ist jetzt seit zwei Jahren im Altersheim und seit einem Jahr nicht mehr ansprechbar. Ihre Wohnung habe ich zusammen mit meiner Mutter ausgeräumt, Ich habe alle ihre Schränke durchsucht. Da war keine Kladde. Vor der Tür der Toilette wartet B. mit den Kindern. Sein Blick sucht den meinen. Ich nicke ihm zu. Am Abend nach der Rückkehr aus Bonn rufe ich meine Mutter an und lenke das Gespräch auf Großvaters Cousin Richard. Sein linker Fuß ist verkrüppelt, solange ich ihn kenne. Ich frage meine Mutter, wie das passiert sei. „Ein Unfall“, sagt sie, „das weißt du doch, beim Holzhacken.“ Das haben alle immer gesagt. „Wann war das?“ „Weiß ich nicht mehr genau. Da war ich selbst doch noch ein Kind. Das muss gewesen sein, bevor meine Mutter weg war.“ Wochen später bei einer Geburtstagsfeier setze ich mich neben Richard. „Hast du Schmerzen in dem Fuß?“, frage ich. „Immer noch. Immer wieder.“ „Das war unglaublich mutig von dir.“ Er schaut mich überrascht an. „Was?“ „Dir in den Fuß zu hacken, damit du nicht für die Nazis kämpfen musst.“ Richard packt mich am Arm. „Das hat nur der Albert gewusst, wie es wirklich war. Hat er dir das erzählt?“ Da kommen mir noch mal die Tränen und ich muss wieder aufs Klo flüchten, bevor jemand was merkt.

Kurztitel & Kontexte bis 2012-08-12

  • andreas louis seyerlein : particles » schimpansen http://t.co/lndEuRb1 Aug 12, 2012
  • Verbotene Zone » No title http://t.co/WRHVNwO8 Aug 11, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » balcony http://t.co/EFsVBsJq Aug 11, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » ABDN-116-APCA http://t.co/Dt39ebZD Aug 11, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Mississippi River Road 08 | Nah am Wasser : Reise , Tag 4 http://t.co/Wl2bqWgx Aug 11, 2012
  • Gleisbauarbeiten » FAMILIENGESCHICHTE (oder: Eine Frau von vierzig Jahren) http://t.co/8jucDZXx Aug 11, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Ist das Teufelchen geduldiger als ich? http://t.co/JOIQjlJM Aug 11, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » @etkbooks twitterweek (20120811) http://t.co/NNj3jVvh Aug 11, 2012
  • der goldene fisch » Gerald Koll : Zazen-Sesshin (32) http://t.co/eLel5F8d Aug 11, 2012
  • isla volante » angst http://t.co/GihFxXfS Aug 11, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das vorletzte Irseer Arbeitsjourna… http://t.co/rQHlOrib Aug 11, 2012
  • der goldene fisch » Mirko Bonné : Olympiade http://t.co/hfKzKcSj Aug 10, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » nachtfalter http://t.co/2nT2w8KC Aug 10, 2012
  • Gleisbauarbeiten » DIE HEROISCHE GESTE (Rasieren) http://t.co/7Ke1z5dC Aug 10, 2012
  • Turmsegler » Warum protestiert ihr nicht? http://t.co/OufuFe8e Aug 10, 2012
  • e.a.richter » F-24 DAS MESSER IM KOPF MEINES VATERS http://t.co/0OPNNf0b Aug 10, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Kutschulumutschulu http://t.co/YjhTzbz1 Aug 10, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Mississippi River Road 07 | Regen , Radio , River : Reise , Tag 3 http://t.co/jkt0SK9p Aug 10, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » “Labial-Angle-Jack”! Immer schön optimistisch bleiben! http://t.co/3JQ3dStv Aug 10, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » Hangman http://t.co/2MopHWuj Aug 10, 2012
  • isla volante » kobboi http://t.co/nd13LPT6 Aug 10, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das Irseer Arbeitsjournal (7). Fre… http://t.co/HjooDpS0 Aug 10, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Twitter Week vom 2012-08-09 http://t.co/Ndi3zmM0 Aug 09, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » MELDUNG : kirsche No 618 http://t.co/V4OS49d0 Aug 09, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » ABDM-115-APCA http://t.co/ah9F5CaL Aug 09, 2012
  • The Glumm » Durch die Gegend rennen, die Leute alarmieren http://t.co/r1Hg2LQu Aug 09, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Eine Tänzerin. http://t.co/XZRjLpOu Aug 09, 2012
  • Gleisbauarbeiten » PRANAYAMA: Yoga und Erkenntnis http://t.co/X7u7k0u1 Aug 09, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Tagediebin http://t.co/v21euKme Aug 09, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Tot für immer http://t.co/dg58wzIT Aug 09, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Mississippi River Road 06 | Ausflug flussaufwärts : Reise , Tag 2 http://t.co/l1O2cHa6 Aug 09, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das Irseer Arbeitsjournal (6). Don… http://t.co/wgviU8RD Aug 09, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » “UEBERICH I” @ Urgent Paradise in der Waschküche http://t.co/xVruiMOu Aug 09, 2012
  • isla volante » meer http://t.co/Gnrbcc27 Aug 09, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das Irseer Arbeitsjournal (6). Don… http://t.co/u6HOcSR7 Aug 09, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » ABDL-114-APCA http://t.co/sZU9iVVn Aug 08, 2012
  • Gleisbauarbeiten » PUNK PYGMALION (Schluss): DREI SIND EINE ZUVIEL http://t.co/pg7mvF9y Aug 08, 2012
  • e.a.richter » F-23 DAS AUGE DES ENTDECKERS http://t.co/aqj7FbyH Aug 08, 2012
  • der goldene fisch » Gerald Koll : Zazen-Sesshin (31) http://t.co/aMECavIP Aug 08, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Allgemeine Spezialisierung http://t.co/sLsy9kMk Aug 08, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Mississippi River Road 05 | In Schlaufen Schreiben : Reise, Tag 1 http://t.co/0aYftEWd Aug 08, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » 017 http://t.co/38FdFuVa Aug 08, 2012
  • isla volante » ganz nahe http://t.co/4sXn2u6A Aug 08, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das Irseer Arbeitsjournal (5). Mit… http://t.co/QMBofh4i Aug 08, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » engelware http://t.co/wQ6ov0md Aug 08, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » ABDK-113-APCA http://t.co/xOI7ucfw Aug 07, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Schöngeistchen. http://t.co/g7I3tDlP Aug 07, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Matschepatsche http://t.co/pDkkxdWg Aug 07, 2012
  • e.a.richter » F-22 EHEGESCHICHTE http://t.co/yFzSE1GA Aug 07, 2012
  • The Glumm » Alles, und der Geruch von Regen http://t.co/NBYH3d9W Aug 07, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Sibylle Berg: Vielen Dank für das … http://t.co/BlkiTiPY Aug 07, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Gründung eines Max-Planck-Institut… http://t.co/u6nZvR6T Aug 07, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Lautsplitter – Opern- und Konzertb… http://t.co/zRCIluQ5 Aug 07, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » Lieferbar: sondern (Li Mollet) http://t.co/ZZmy6fG6 Aug 07, 2012
  • Gleisbauarbeiten » VOLL FETT: Jeder Fehler zählt! http://t.co/6xCjBXC0 Aug 07, 2012
  • isla volante » erinnerung http://t.co/0SDNNBbK Aug 07, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das Irseer Arbeitsjournal (4). Die… http://t.co/f84knaFv Aug 07, 2012
  • pödgyr » mondweg http://t.co/ZlyxnCCA Aug 07, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » zeit http://t.co/YZL9v5ll Aug 06, 2012
  • der goldene fisch » Markus Stegmann : Matt http://t.co/UGr7r8Wh Aug 06, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » ABDJ-112-APCA http://t.co/3CjB95Gf Aug 06, 2012
  • Gleisbauarbeiten » LAKONIE (Das Ende der Handschrift) Entwurf http://t.co/iM2rTntc Aug 06, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Marslandung und Pfefferminze http://t.co/8UgmGRhx Aug 06, 2012
  • http://t.co/4AWzmiTK weekly wurde gerade veröffentlicht! http://t.co/2goRQnEQ Aug 06, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Dicke rezensieren Fettberg http://t.co/ep4zNF7T Aug 06, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » 02 (from spain with love) http://t.co/cvWaQBOj Aug 06, 2012
  • isla volante » insel http://t.co/u6KplCIT Aug 06, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das Irseer Arbeitsjournal (3). Mon… http://t.co/MxIIxGFa Aug 06, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » stimmen zu st. georg http://t.co/yf5XZSCL Aug 05, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » mensch in gefahr / amnesty international : urgent action – MEXICO http://t.co/Xy5hEXJp Aug 05, 2012
  • Turmsegler » Sight http://t.co/xlfNSaEn Aug 05, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » ABDI-111-APCA http://t.co/WPPSL6ob Aug 05, 2012
  • Gleisbauarbeiten » GESPENSTERSTUNDE. Carte Blanche für Dominik Graf im Filmmuseum Frankfurt http://t.co/3623K04g Aug 05, 2012
  • e.a.richter » F-22 DER ANFANG IST ZUEND http://t.co/Gf5UbK83 Aug 05, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Winterreise http://t.co/yU2lbRmo Aug 05, 2012
  • roughblog » Vorletzte Gedanken Bruno Steigers wundersamer Prosaband «Der Trick mit dem Sprung aus dem Stuhl» http://t.co/VY6UIIjL Aug 05, 2012
  • roughblog » Hut ab: Michael Braun bespricht die erste “Mütze” im Tagesspiegel http://t.co/8mJtuIc0 Aug 05, 2012

Ich bin da.

Ich pass’ auf Dein Zimmer auf. Und auf sie.
Du hast gespürt, dass ich Deine bin. Und nie was verlangt. Leider. Ich könnte, zum Beispiel, die drei Pullover stopfen, an denen die Motten waren. Ich meine, massiv: mehr Loch als Pulli. Sagt sie. Sie will sie nicht mehr im Haus haben. Wegen der Larven.
Doch ich hab’ Dinge: die von Hand beschrifteten. Ein Kaviargefäß, beklebt mit einem Kreppstreifen.

„Glaubersalz“

In der coolen Handschrift, die Du hattest.
Ich hab’ exakt die gleichen Hände wie Du.
Manchmal denke ich, ob ich mich wohl endlich erinnere, wenn ich alt bin: daran, wie jung Du mal warst. Nicht wie jetzt. Hier stehen Fotos, auf denen Dein Übermut schon nach innen geklappt ist, ein gefaltetes Tempelchen. Mit Blattgold. In Deinem Blick, meine ich! Es ist alles in den Augen, das Kämpfen, das Abfinden. Kapitulation: das ist, wenn die Spitze gekappt wird.
Ich möchte Deinen Körper. Schlafe in Deinem Bett. Ich stehe in Deinem Zimmer und überlege, was ich noch mitnehmen könnte, ein Messer, eine Uhr, doch es ist der Duft in den Schreibtischschubladen, den ich will. Den kann ich nicht mitnehmen. Vielleicht ist er auch im Stuhl.
Vielleicht kann ich den Stuhl mitnehmen.
Den Klang Deiner Schritte vom Zimmer bis zum Bad.

Er trägt Deinen Bademantel, übrigens.
Du bist nicht weg, bist in meinen Händen, allen vieren. Diese kräftigen Hände mit prallen Adern. Vor einiger Zeit sagte jemand: „Sie sehen alt aus und gleichzeitig jung. Du hast existenzielle Hände. Ich möchte sie malen.“
Und ich dachte, dass sie doppelte Masse haben.

Ich will Deinen ganzen, Deinen Bisonkörper. Ich will meinen mächtigen Kopf ins Wasser kippen und hochkommen, ihn nach hinten werfen, das Prasseln der Wassertropfen auf meinem breiten Rücken spüren, als wärst Du es. Mein Doppel-Tier. Mein Zwilling.
Wie wonniglich ich Dich immer überschätzt habe. Liebe reicht, wusste ich. Selbst, als sie anfing zu trösten, mich offen auszulegen, als sei ich Nahrung. Kein anderer Mensch hat das wieder geschafft.
Wollte auch niemand.

Ich lache Dein Lachen, das, dem Du hinterherweintest, als es sich entfernt hatte. Ich bin so lüstern, wie Du es warst. Du Nimmersatt. Die Menschen wollen uns, hm?
Es braucht keinerlei Anstrengung, meinen Kopf in Deinen Brustkorb zu schieben, hinter die Rippen, und dort einzuschlafen.
Dann, wenn ich aufwache, kann ich immer weit hinaus sehen.

Kurztitel & Kontexte bis 2010-11-28

Kurztitel & Kontexte bis 2010-11-07