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#textetrouvé (03/09) – cadavre exquis

||| MAXIMUM SPEED 140 | ZIFFER ALS PRINZIP | CADAVRE EXQUIS MÄRZ 2009

litblogs plus twitter 400px

MAXIMUM SPEED 140

Nun gut, da haben wir nun einmal mit http://twitter.com/litblogs_net begonnen. Aber WAS TUN mit einem Format, das gerade mal 140 Zeichen zur möglichen (literarischen) Äusserung gewährt ?

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ZIFFER ALS PRINZIP

Wir wollen die Not in eine Tugend umwandeln und nehmen daher die Ziffer “140″ au pied de la lettre:
Unter dem Hashtag#textetrouvé ” werden Bücher aus den multiplen Beständen der litblogs.net- Mitglieder je auf Seite 140 aufgeschlagen und:
140 Anschläge lang zitiert . Inklusive Quellenangabe, versteht sich.

Von Absicht bis Z ufall ist da alles an manifesten Texten möglich , besitzt freilich keinen Manifest- Charakter pro oder contra eine bestimmte Literatur.
Auftrag: Allenfalls Aleatorik. Ziel: Ein monatlicher Cadavre Exquis.

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CADAVRE EXQUIS MÄRZ 2009

Der Ostblock brach zusammen, Rocko Schamoni sang „Berlin Girl, deine Haare sind wie Mauern… “ – http://tinyurl.com/52-Wochen

… und in die zweite Folie die Eiswürfel mitsamt dem eingepackten Finger gelegt . – http://tinyurl.com/zum-film

Das Dörflein heisst Gschaid, und der Schneeberg, der auf seine Häuser herabschaut, heisst Gars – http://tinyurl.com/turmalin

Berlin: Will man Musikergräber kennenlernen, muß man e. Großteil d. Stadt …. durchqueren. – http://tinyurl.com/musikergrab

Das schlimmste ist, dass wir durch das Leiden die Kraft verlieren, uns dessen zu bedienen. – http://tinyurl.com/pavese

During the intermissions, Daisy’s irritation with the production had grown increasingly vehement. – http://tinyurl.com/oulipo

Meine Schüler reagieren jedes Mal mit fanatischem Lerneifer auf die Behandlung des Klenkens – http://tinyurl.com/shildknecht

da jedes Gehen, jeder Verweilen, jedes Kommen von einem Verweilen und einem Kommen .. abhing – http://tinyurl.com/watt-beckett

Der Historiker Schiller war ein Vielschreiber … , ein naturellmässig schwungvoll junger Mann – http://tinyurl.com/blog-klage

Your body is a massively complex system, using an intricate network of feedback mechanisms – http://twurl.nl/5nke83

Metaphorisch gesagt, ist d. literar. Text e. Stereographie: Er ist weder melodisch noch harmonisch – http://twurl.nl/n0r0h3

Territorium: polyphones Netz aller vertrauten Geräusche – http://twurl.nl/42k2e7

Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist, und als leere Anschauung sich dem Bewusstsein vorstellt – http://tinyurl.com/bdtsmkt

Von der Urgrossmutter behaupteten die Verwandten …, sie habe Hühner mit dem Schwert geköpft – http://twurl.nl/pcwqf6

Ihr macht euch ja keine Vorstellung! … Zehnmal jede Nacht setzt man sein Leben aufs Spiel ! – http://tinyurl.com/bardamu

„Ich bekenne Ihnen ohne Umschweife, dass ich mich dann und wann als Mädchen fühle.“ – http://twurl.nl/qausbp

Je entschiedener es der Utopie entgegendrängt, desto mehr verfängt es sich … im Immergleichen. – http://twurl.nl/4bwv25

Da geht die Tür auf u. pustend u. lachend u. völlig verschwitzt erscheint Arno … – http://tinyurl.com/tagebuch1955

Im Operationssal, wo Glieder amputiert werden, sind auch jene untergebracht, die noch operiert … – http://twurl.nl/2qn3xb

Eine Reisepeitsche in der Hand, als schwarze Amazone verkleidet: die Inkarnation der Besessenheit – http://twurl.nl/8s5rh3

Auf dem Weg vom Friedhof zum Krankenhaus kaufte sei eine Packung Mannerschnitten. – http://is.gd/mzHO

Realp Der grässliche Augenblick i.d. einem klar wird, dass die Katastrophe tatsächlich eingetreten iist. – http://tinyurl.com/8cl5hj

Allles das beweist, dass Tageslicht den Selbstmord begünstigt …. – http://twurl.nl/621o3o

Die Hölle ist eine Falle, und du bist / nicht reingefallen. Glaub aber nicht … – http://twurl.nl/insil1

We apologize for interrupting your holiday season with this most unpleasant announcement – http://twurl.nl/ezaaap

Ou bien n’avoir que ses vêtements sur le dos, ne rien garder, vivre à l’hôtel – http://twurl.nl/jxo2xa

wir bieten euch Niedergetretenen die Hand. / Wir verstehn eure Flucht, eure Emigration / – http://tinyurl.com/charlotstrasser

ich bin ein revolver / & gehör in jedes bett … – http://twurl.nl/47bdjg

Dieses Vermögen, affiziert zu werden, bedeutet nicht notwendig Passivität, sondern Affektivität … – http://tinyurl.com/depsrn

Es kam noch hinzu, Klaus Mann hatte es erwähnt, dass Breitbach als Salonkommunist galt. – http://twurl.nl/wcti48

& sie fragte, / wen er in ihr vertreibe , / wer treibt sich schon selbst aus. – http://twurl.nl/os5gjw

Begabung ist vielleicht überhauupt nichts anderes als glücklich sublimierte Wut – http://twurl.nl/tq7qon

Twitter = elektronische Form des CADAVRE EXQUIS : Wir werden fortan in die Literatur- Laufmeter greifen & Seite 140 zitieren.

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czz / hab (2)

Am 2. Juli 2008 03:19 schrieb czz:

ich fürchte es ist doch so , werter hab , dass freie lektoren zu opfern der b’isierung kommen , insoferne – in der wiener praxis – sich die klassische aufgabenverteilung zwischen angestelltem institutspersonal und freien lektoren inzwischen in sein gegenteil verkehrt hat : galt es früher , dass profs und assistenten die basislehre ( grundstudium , einführungen , betreuung von diplomanden und dissertanden ) anboten , hat sich verteilungskampf inzwischen so ausgewirkt , dass wir freien die schulstunden von grundstudium bzw. die aufwändigen dipl. / diss. betreuungen durchführen sollen ( zu absurden gagen , wohlgemerkt ) , die assistenten und professoren sich dafür die „inhaltlichen“ , also für die eigene forschung fruchtbaren seminare und vorlesungen halten . hier in wien lief der kampf zwischen intern und extern besonders brutal , dann wurden unter einem neuen institutsvorstand rasch neue koalitionen und opportunismen geschmiedet , welche nach dessen plötzlichem selbstmord unter schauerlichen umständen zerbrachen .
nun aber besteht wieder ein bisschen auf vernunft durch die wahl eines respektierten , und nicht aus wiener ursumpf hervorgegangenen institusvorstandes . es ist dann halt eine frage der energie , ob man und wie hartnäckig man seine „inhaltlichen“ angebote betreibt , um alle paar jahre wieder mal zum zug zu kommen . ganz verschliessen möchte ich mich dem gedanken nicht : die arbeit mit den studierenden war stets äusserst inspirierend – –

zum thema ist übrigens gerade eine bemerkenswerte ( selbst- ) erklärung der freien lektoren aus kultur- und geisteeswissenschaften nachzulesen :

http://science.orf.at/science/news/151884

wir haben die (…) noch einmal unter ihrer alten adresse visitiert und Karl wird sich bei Ihnen dazu melden : grundsätzlich könnte man sich bei einem Tiddlywiki- System auf EINE seite doi beschränken , es sei denn , man wollte jede einzelne „registerkarte“ extra indizieren . angeblich kann auch die ISBN- nummmer als doi registriert werden . aber wie gesagt , mehr davon später von Karl .

ja, natürlich habe ich und mit freuden den appell zum 2. LESEZEICHEN erhalten und gehe noch mit den beschlussfassenden gremien zu rate , was denn wohl auszuwählen sei . vielleicht bleiben wir ja eh bei „klagenfurt“ , zu welchem Sie mir ein metonymisches stöckchen warfen –

hinsichtlich der litblogs : würden Sie sich einen intensiveren austausch untereinander wünschen ? – ich für meinen teil konzediere gerne , durch mailverkehr und materiallastigkeit meines eigenen werkelns die interaktion etwas zu vernachlässigen … aber auch das liesse sich ja wohl langsam und in zarten annäherungen ändern …

Sie melden , es gäbe im netzwerk gewissermassen eine vakanz . hmm, was oder wen könnte ich Ihnen da als performanten empfehlen : ich weiss nicht , ob foren wie (…) Ihnen geeignet erscheinen , der (…) nicht zu journalistisch , ob ein sympathisches französisches blog – lignes de fuite – in frage käme , und (…) – sehe ich mit erschrecken – will wieder einfach nur homepage sein . wer auch nicht einfach „nur“ nachrichten literarischer art durchgibt … so viele , merke ich eben , kenne ich da gar nicht , äusserst sympathisch und übersetzend an deutscher literatur interessiert ist auch der schwedische salongen von bodil zalesky . ob bonaventura nicht vielleicht ein bisschen aufgeblasen ist ? –

(…)

eigentlich traurig , merke ich eben , ist die bilanz !

dies mal zum Guten Morgen , zur guten Nacht –
auf weiteres herzlich , czz

Am 2. Juli 2008 09:01 schrieb hab

herzlichen dank für ihren ausführlichen brief, liebe czz, auf den ich heute (aus zeitgründen) leider nur kurz eingehen kann, aber sie haben mich da auf ideen gebracht … später einmal möchte ich noch ausführlicher werden, was bologna angeht und seine konsequenzen bis in die kleinsten äste (auf so einem hock ich gerade). und danke auch, dass sie (und herr karl) sich die BC noch mal angeschaut haben (wenngleich alte version, die neue, finale läuft ja dann unter (…))

zu ihren litblog-urls. ja, sie haben richtig geschaut. es gibt da nämlich gar nicht so viele, die da infrage kommen. und untige eher nicht, weil

(…) kein rss-feed. ausserdem, so denke ich, möchte man da wohl eher unter sich bleiben, wie ich einschätze, auch wenn es da einige abgänge gab. naja: und dort wohl eher etwas von einer kollektivpoetik, wo litblogs.net doch eher einzelpoetiken bündeln, präsentieren und ineinander schieben möchte. aber da ist sicher auch flexibiliät angesagt …

(…) hat manchmal was mit literatur zu tun. aber nicht immer. ist auch eher ein rezensionsrezensionsmedium. müsst ich mal mit mah besprechen

(…) leider frz., wo doch litblogs.net nur deutschsprachige lit anbietet

(…) schwedisch? s.o.

(…) reines rezensionsblog.

wir haben da noch andere im visier … aber: schau mer mal.

ich habe gerade aber auch noch eine andere idee gehabt, auf die sie mich brachten. man könnte, um die seite aufzupimpen (ja, sie lesen richtig, das wort wurde zum wort des jahres in der schweiz), da eigentlich noch brief- oder mailwechsel einstellen. in portiönchen. was meinen sie? gerade wie unseren? man müsste die vielleicht noch entschärfen mit „(…)“ an manchen stellen. wenns zu persönlich wird. oder personen diskreditiert würden. (man müsste sich da vielleicht auf einen kodex einigen, was geht). das ist jetzt nur so ne idee. man könnte das unter prozesse einstellen. oder eine neue kategorie „briefe“ aufmachen. somit entsteht weitere verwertung, wichtiger aber: ein kleines betriebsrauschen kommt hinzu. und „texte über“. das fänden sicher auch potentielle leserInnen interessant. vielleicht? … natürlich müsste ich das noch mit mah besprechen …

bin gespannt auf ihren gedanken, hierzu
hab

Tage-Bau

tagebau

“MTV zum Lesen” schrieb die Berliner Zeitung über das kollektive Netztagebuch tage-bau.de, das in der Tradition der Tagebuchliteratur der frühen Berliner Salons steht und vom Kultursender arte für seine Innovationskraft ausgezeichnet wurde. Um den Gästen des virtuellen Salons berlinerzimmer.de die Möglichkeit zur kreativen Mitarbeit zu geben, haben Sabrina Ortmann und Enno E. Peter 1999 das kollektive Netztagebuch tage-bau.de ins Leben gerufen.

Der tage-bau steht in der Tradition der Tagebuch- und Briefliteratur der frühen Berliner Salons am Anfang des 19. Jahrhunderts. Unter den Autoren aus verschiedenen Ländern finden sich Romanautoren, Netzautoren und Journalisten. Gemeinsam erschreiben und beschreiben sie im World Wide Web jeden Tag neu: der Leser stößt auf Alltägliches und Außergewöhnliches, auf Essays, Gedichte, Romanfragmente und spontane Notizen, die von den Mitautoren aufgegriffen und in eigenen Beiträgen weiterentwickelt werden. Für den gemeinschaftlichen Beitrag “Mein Pixel-Ich” erhielt der tage-bau vom Kultursenders ARTE den Innovationspreis im Rahmen des them@-Literaturwettbewerbs.

Die prämierten Texte rund um das Leben in der Online-Welt sind 2001 als Buch erschienen. (tage-bau infos)

Hartmut Sörgel, Carmen Winter, Burkhardt Sonntag, Angelika Zöllner, Werner Theis, Hella Streicher, Uwe Schick, Niko Burbach, Martina Peter (nav neet), jörg meyer / ögyr, Andreas Humburg, Hans-Jürgen John, Mone Hartman, Sylvia Hagenbach, Jürgen Gisselbrecht, Ilona M. Duerkop, kathrin a.-m. drescher, Betty Bienenstich, Angela Planert, Marco Hallinger, Nico Fuchs, Karin Graf-Braun (kamahe), Elvira Surrmann (Stand 08/2008, Mehr zu den Schreibenden)

Litblog / URL:
Tage-Bau
http://www.tagebau.tyrakel.de/wordpress/

(Lit)Blogs & DOI

Aus einem Beitrag von in|ad|ae|qu|at / Christiane Zintzen

(…)

VIII. “BLOG” – ALSO WAS ?

Wczz sprechblase iconovon sprechen sie also , die Blog- Kritiker , wenn sie das Wort “Blog” ge missbrauchen ? Ärgerlich genug , dass sich jeder Print- Journalist offenbar dazu bemüssigt fühlt , sein Mütchen an “den Blogs” zu kühlen , so besteht darüber hinaus keinerlei Bewusstsein hinsichtlich des Spektrums der verschiedenen Ge- und Missbrauchsformen dieses Mediums . |||

IX. BLOG IN|AD|AE|QU|AT : CLAIM

czz sprechblase iconDer langen Rede kurzer Sinn schliesst mit unserem in|ad|ae|qu|aten Claim : Wir erinnern einerseits an unsere Selbstvorstellung als Work in Progress zwischen den Genres

  • als sorgfältiger Publikationsort von Primärliteratur ( Salon Littéraire )
  • als kulturpublizistisches Archiv
  • als Aufbau eines Metadaten- Systems im Hinbick auf das Semantic Web
  • als konsequente Vorstellung von Netlabels , creative commons- Künstlern und deren musikalischen Ansätzen
  • sowie als fortlaufender Kommentar eines nicht näher bezeichneten Alter Egos zu diversen Auffälligkeiten in Stadtleben , Publizistik und Alltagskultur .

Als eines der ersten Mikromedien im deutschsprachigen Raum wurde in|ad|ae|qu|at bei der mEDRA , der multilingualen Europäischen DOI– Registrationsagentur ( in Kooperation mit dem MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels , einer Service- Tochter des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. ) angemeldet : Dort figuriert in|ad|ae|qu|at unter der Signatur doi:10.3246/ib.1000 als “Online Zeitschrift” und “-Verlag” . Entsprechend melden wir die literarischen Beiträge unserer “Salon”- Gäste per indvidueller DOI an und können damit deren ( der ISBN- Nummer analoge ) persistente Registrierung erwirken , inklusive Metadaten wie Copyright , Autor, Publikationsdatum und Textgenre .

(…)

“Voyage au bout de la Nuit” – Amnesie und Rücklektüre

Technorati , , , , , , , , , , ||| BEFREMDLICHE AMNESIE | NOTATE I : DER KRIEG , DIE FRAU , DIE HELDENERZÄHLUNG AN DER HEIMATFRONT | KLANGAPPARAT | HINWEISE

BEFREMDLICHE AMNESIE

ERSTER WELTKRIEG Spendenaufruf

Zweifellos vor 15 Jahren die bislang verstümmelte deutsche Fassung von Louis-Fedinand Célines vielstimmiger Vivisektion verschlungen . 2003 dann die erstmals vollständige deutsche Edition in der Übersetzung Hinrich Schmidt- Henkels ( Rowohlt ) gekauft … und – wie die Anstreichungen und Notate im Buch erweisen – unwiderleglich gelesen .

Sonderbar .

Offenbar sind sämtliche Lektüre- Erinnerungen inzwischen auf fremde Konten geflossen . Als hätten Curzio Malapartes “Kaputt” , die Bücher Henri Michaux‘ oder Conrads “Heart of Darkness” die verschiedenen Motive des Céline’schen Wechselbalges von Roman ( Singular ) aufgesplittet und in ihre jeweiligen Topiken aufgesogen .

Dieser Tage dazu einige Notate . |||

NOTATE I : DER KRIEG , DIE FRAU , DIE HELDENERZÄHLUNG AN DER HEIMATFRONT

1914 , Paris – Bardamu als Kriegsverwundeter auf prekärem Abruf : Staunen über das Treiben an der “Heimatfront”

Wir trafen uns meist in einem Café nebenan. Immer häufiger humpelten Verwundete durch die Strassen, oft abgerissen. Zu ihren Gunsten fanden Sammlungen statt, “Tage” für diese und jene, meist für die Organisatoren der “Tage” selbst. Lügen, ficken, sterben. Was anderes zu tun war seit kurzem verboten. Erbittert wurde gelogen, über alle Begriffe, über Lächerlichkeit und Absurdität hinaus, in den Zeitungen, auf Plakaten, zu Fuss, zu Pferde und im Wagen. Alle machten mit und logen um die Wette. Bald gab es in der Stadt keine Wahrheit mehr.

Der wenigen Wahrheiten, die es 1914 hier noch gab, schämte man sich mittlerweile. Alles, was man anfasste, war verfälscht, der Zucker, die Flugzeuge, die Sandalen, die Marmelade, die Fotos; alles, was man las, verschlang, aufsaugte, bewunderte, verkündete, bestritt, verteidigte, all das war nicht als Phantome des Hasses, Attrappen, Maskeraden. Selbst die Verräter waren falsch. Der Rausch zu lügen und zu glauben ist ansteckend wie die Krätze. Meine kleine Lola konnte nur ein paar Sätze Französisch, aber das waren patriotische Phrasen: “Wir kriegen sie! ….” “Komm, Madelon! …” Zum Heulen war das.

So beschäftigte sie sich beharrlich, ja schamlos mit unserem Tod, wie übrigens alle Frauen, sobald es in Mode kommt, für andere mutig zu sein.

ERSTER WELTKRIEG Popaganda Karte

Über die Darstellungs- Taktiken , den namenlosen Tod an der Front zu gerne gehörten Heldenepen zu verklären , wird Bardamu u. a. von einer seiner nächsten Geliebten belehrt . Die ehrgeizige Varietégeigerin Musyne ( “Ihre Entschlossenheit, es auf Erden zu etwas zu bringen und nicht erst im Himmel , war erbarmungslos.”) bringt sich und ihre Aufstiegs- Agenden nicht nur per “patriotischem” Einsatz an Fronttheatern voran , sondern speziell durch die aufgeblähte Epik , mit welche sie – nach Paris zurückgekehrt – dort die “besseren Kreise” buchstäblich blendend unterhält .

Sie wurde regelrecht gefeiert. Ganz närrisch war man nach meiner Musyne, der süssen kleinen Kriegsgegnerin! So frisch und lockig, und dann auch noch eine Heldin! ( … ) Die Poesie des Heldentums ergreift besonders unwiderstehlich all diejenigen, die nicht in den Krieg ziehen und am stärksten jene, die sich gerade enorm am Krieg bereichern. So geht das eben. ( … )

Musyne hatte sich aber auch eine allerliebste Blütenlese von Kriegserlebnissen zusammengesponnen, die ihr so hinreissend standen wie ein keckes Hütchen. ( …) Sie hatte die Gabe, ihre Erfindungen in eine gewisse dramatische Ferne zu verlagern, in der alles besonders eindringlich wurde und es auch blieb. Die Heldengeschichten von uns Kriegern selbst, das wurde mir mit einmal klar, waren daneben vergänglich und viel zu präzis. Meine schöne hingegen arbeitete mit der Ewigkeit. Man muss Claude Lorrain eben glauben, der Vordergrund eines Bildes ist immer abstossend, die wahre Kunst liegt darin, was Wesentliche eines Werks in die Ferne zu rücken, ins Ungreifbare, dorthin, wo die Lüge Zuflucht sucht, jener von den Tatsachen abgemalte Traum, die einzige Liebe des Menschen.

Strategien , wie sie beim patriotischen Poésie- Salon in der Comédie Francaise zur absoluten Groteske geraten ( samt Vorspiel des “heldisch” heulenden Chors der Elektroschock- Patienten des schönäugigen Psychiaters Bestombes ) . Letzterer erinnert uns fatal an Georg Kien , den Bruder des bis zur Autodafé um seine Bücher besorgten Gelehrten in Canettis “Blendung” .

“Die Frau und der Krieg” : Karl Kraus gegen die “Kriegsfotografin” Schalek , Bertha von Suttner über die “Scharpie zupfende” ( = Verbandmull statt Stickereien herstellende ) Weiberwelt in den Wiener Salons anno 1866 . |||

KLANGAPPARAT

Wir weigern uns , nur weil vom Krieg geschrieben wird , auf Musik zu verzichten . Cui bono ? – Damit wären wir wieder mitten in der Lüge der “Pietät” , welche zu “bewahren” es angelegentlich von Todesdingen die czz hörempfehlungBigotterie anrät . Trotzdem und deshalb gibt es da eine nicht zufällig mit PNEUMA benannte EP vorzustellen : Als “Atem” dem Leib , im Griechischen allerdings auch der Seele liiert , umfasst der Titel kurz und bündig das Spektrum dieser körperlich pulsierenden , gleichzeitig schwebenden Klänge . Und dies fern von jedweder Eso . Komponiert hat dieses im besten Sinne unspektakuläre Werk der in der Île de France lebende Alexandre Lehmann . Unter dem Pseudonym Zzzzra haben wir ihn bereits vor einigen Monaten schon einmal vorgestellt . Damals war das Netlabel [ schall ] der Gastgeber , heute ist es deepindub . CLICK TRACKS TO LISTEN : 01. Avalanche ( 6:07 ) | 02. Sumo ( 5:12 ) | 03. Pneuma ( 8:28 ) | 04. Grotesque ( 5:52 ) |||

HINWEISE