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Die Glasglocke

Sylvia Plath
Sylvia Plath (1932-1963)

Sylvia Plath: Die Glasglocke (auf amazon.de)

Es war ein verrückter, schwüler Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wußte, was ich in New York eigentlich wollte. Bei dem Gedanken an Hinrichtungen wird mir immer ganz anders. Die Vorstellung, auf den elektrischen Stuhl zu kommen, macht mich krank, aber in den Zeitungen war von nichts anderem die Rede – glotzäugige Überschriften, die mich an jeder Straßenecke und an jedem muffigen, nach Erdnüssen riechenden U-Bahn-Schlund anstarrten. Es hatte nichts mit mir zu tun, und trotzdem ließ mich die Frage nicht los, wie es wäre, die Nerven entlang bei lebendigem Leib zu verbrennen.

Ich dachte, es müsste das Schlimmste auf der Welt sein.

Dabei war New York schon schlimm genug. Um neun Uhr morgens hatte sich die trügerische ländlich feuchte Kühle, die nachts irgendwie hereingesickert war, verflüchtigt wie das Ende eines angenehmen Traums. Tief unten in ihren Granitcanyons zitterten die heißen Straßen unter der Sonne wie graue Luftspiegelungen, die Dächer der Autos glühten und glitzerten, und trockener Staub wehte mir wie Asche in die Augen.

Im Radio und in der Redaktion – überall war von den Rosenbergs die Rede, bis ich an nichts anderes mehr denken konnte. Es war wie damals, als ich zum erstenmal eine Leiche sah. Noch wochenlang tauchte der Kopf dieser Leiche – oder vielmehr das, was von ihm übriggeblieben war – beim Frühstück hinter den Spiegeleiern mit Schinken auf oder hinter dem Gesicht von Buddy Willard, der schuld daran war, daß ich die Leiche überhaupt gesehen hatte, und bald hatte ich das Gefühl, ich würde diesen Kopf an einer Schnur überall mit mir herumtragen, wie einen schwarzen, nach Essig stinkenden Ballon ohne Nase.

Sylvia Plath, aus: »Die Glasglocke«
© Suhrkamp Verlag 1997

••• Kaum ein Buch hat mich je einem derartigen Wechselbad der Gefühle ausgesetzt wie während der letzten Tage »Die Glasglocke« von . Wie hier letztens peinlicherweise in den Kommentaren zu lesen war, habe ich die »Glasglocke« vor Jahren von der Herzdame geschenkt bekommen, aber nicht lesen wollen und weiter verschenkt. Das war herzlos genug der Herzdame gegenüber, aber es war auch eine Respektlosigkeit gegenüber der Plath. Davon konnte ich mich jetzt überzeugen.

Wenn ein Roman so beginnt wie oben zitiert, kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Tatsächlich fühlte ich mich während der ersten Kapitel vollständig verzaubert. Was erzählt – das Praktikum einer 50er-Jahre-Ostküsten-College-Absolventin bei einer großen Frauenzeitschrift in New York – war eigentlich nebensächlich. In der Art, wie Plath erzählt, könnte sie mir die belangloseste Story berichten, und ich würde noch immer mit ungetrübter Begeisterung lesen. Ihr Stil ist quellwasserklar. Aus leichtestem Erzählschwang schwingt sie sich in poetische Beschreibungen von großer Intensität. Und die Naivität, die immer wieder aufschimmert und der Protagonistin ja ganz angemessen ist, macht alles nur noch frischer.

Je länger ich in dem klaren heißen Wasser lag, desto reiner fühlte ich mich, und als ich schließlich aus dem Wasser stieg und mich in eines der großen, weichen, weißen Hotelbadehandtücher hüllte, kam ich mir rein vor und frisch wie ein neugeborenes Kind.

Das beschreibt so in etwa mein Gefühl bei der Lektüre. Hinzu kam allerdings noch eine gehörige Demutsanwandlung angesichts dieses erzählerischen Könnens.

Dann aber – so ab ca. Seite 120 – war die Freude vorbei. Die Protagonistin kehrt aus New York in ihren Ostküsten-Vorort zurück. Sie hatte sich mit einem Text für einen Sommerschreibkurs an ihrem College beworben. Ein berühmter Autor sollte ihn halten. Zu Hause nun lag aber wider Erwarten die Ablehnung. Diese Enttäuschung leitet eine psychische Krise ein, die in einem Selbstmordversuch gipfelt, dort aber noch lange nicht endet. Die Erwähnung der Rosenbergs und des elektrischen Stuhls am Anfang ist sicher kein Zufall. Denn das Brennen unter den Stromstößen der Eltroschocktherapie in der Anstalt, in die sie eingeliefert wird, dürfte die Assoziation provoziert haben.

So wie die Wahrnehmung der Protagonistin immer fragmentierter wird, »fragmentieren« auch Erzählweise und Sprache im zweiten Teil des Romans. Wo Plath zuvor fulminant erzählt hat, skizziert sie nun nur noch, lässt Bilder und Situationen nur kurz aufschimmern. Das Lesen wird schwierig. Noch schwieriger aber wird es, das Erzählte zu verkraften. Keine Lektüre für seelisch labile Leser.

Natürlich beschäftigt mich als Autor die Frage, ob der Stilbruch bewusst gesetzt ist oder ob die »Höhe« des Anfangs einfach nicht zu halten war. Aber es spielt eigentlich keine Rolle. Gelesen haben muss man das Buch auf jeden Fall.

kunstradio | on air on line on site

||| Nachdem der ORF- Kunstradio- Feed bislang ( aus Personalgründen ) stets wortkarg bleibt , sei an dieser Stelle für einmal die Programmillustrierte aufgeblättert –

LITERATUR ALS RADIOKUNST | Winter Edition , ORF 1 | Kunstradio , Sonntag , 7. 12. 2008 , 23:03 pm – 23:.45 H Stereo via UKW | via live- stream Oe1 | webcast KUNSTRADIO | Dolby Digital Surround ( 5.1. ) via OE1DD

  • BERNHARD KATHAN – „Hungerkünstler“ ( Ursendung )
  • ILSE KILIC & FRITZ WIDHALM – „Ergänzen Sie die Einrichtung Ihrer Wohnung
    mit einem Schriftsteller oder einer Schriftstellerin !“ ( Ursendung )

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SCHRIFTSTELLER , AUFGESTELLT , AUSGESTELLT

Mag das rührselige Lied der Bohème längst verklungen sein , bleibt die Existenz des Künstlers weiterhin prekär . Ebenso wirkungsvolle wie konträre Formen, dies unsentimental zur Sprache zu bringen , stellen zwei neue Arbeiten im Rahmen der Reihe „LITERATUR ALS RADIOKUNST“ vor .

ILSE KILIC und FRITZ WIDHALM , die seit zwei Jahrzehnten ein Lebens- Kunst- und Verlagsprojekt ( „Das fröhliche Wohnzimmer“ ) erproben , nehmen den Begriff des „Schriftstellers“ beim Wort und empfehlen diesen als Stell- Objekt fürs kultivierte Interieur : „Ergänzen Sie die Einrichtung Ihrer Wohnung mit einem Schriftsteller oder einer Schriftstellerin !“ hebt das polyphon satirische Beratungsgespräch im „Schöner Wohnen“- Stil an .

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CAPRICCIOS , MUSIKALISCH

Die musikalischen Capriccios und Mini- Musiken , welche in diese Sendung eingestreut sind , stammen von der als Schriftstellerin , Bildhauerin, Komponistin und Filmemacherin GUNDI FEYRER .

Mit ihren grotesken und höchst eigenwilligen Hervorbringungen passt die derzeit in Spanien lebende Künstlerin kaum ins bürgerliche Interieur .

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HUNGER IM FALL DER KÜNSTLERISCHEN KONSEQUENZ

Der universal schöpferische Tiroler Forscher BERNHARD KATHAN zieht dahingegen das messerscharfe montierte Zitat heran zur Instrumentierung des Elends der „Hungerkünstler“ . In diesem Fall ist es der für seine aberwitzigen „Fälle und Fallen“ postum zur Kultfigur avancierte Russe DANIIL CHARMS ( 1905-1942 ) , aus dessen Tagebüchern die Not in den verschiedensten Stimm(ungs)lagen spricht .

( czz , Kuratorin )

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RELATED

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czz / hab (7)

Am 25. August 2008 09:05 schrieb czz

lassen sie sich bitte zeit , werter hab , mit der ansicht der dvd , sie dauert ja doch 40 minuten und ist einigermassen streng angelegt : uns ist halt sehr um die archivalische korrektheit der nachweise von tondokumenten gegangen – weil es ja NICHT gleichgültig ist , ob eine person etwas 1984 oder 2004 sagt und in welchem kontext . bei auditiven materialien wird der historische marker ja meist übergangen oder wegkaschiert , es sei denn , man macht absichtlich auf „nostalgie“ .

jedenfalls haben wir ziemlich alles irgendwo in den österreichischen bandarchiven erstmals aufgespürt und wochenlang bänder ins digitale überspielt – nach 20 jahren war es schön , zu entdecken , dass man die alten handgriffe noch automatisch beherrscht , und speziell die akute arbeit mit bändern, spulen , schneiden , kleben , dem drehen der schweren teller , das einschnappen der riegel ist von hohem haptischem reiz – –

danke, dass Sie meine spärlichen bemerkungen zu DTMF so freundlich aufgenommen haben , ich gebe selbstverständlich gerne alles zur freien verfügung >>>> GLEICHES GILT , wie schon einmal angedeutet , für den STUDIO- dialog < <<<<<< – ich musste mir stark verbeissen , Ihnen ein buch zu schicken , welches mittlerweile vergriffen ist : andreas okopenkos traumberichte oder protokolle . er hat das in seiner sonderbaren kariertheit aus witz und humorlosigkeit ( beides im hahnentritt- muster sehr miteinander verzahnt ) jahreslang geübt und praktiziert , das WIRKLICHE traumnotieren – da man dafür ja auch eine eigene sprache entwickeln muss , sind im laufe der zeit ganz wunderbarte KLEINE FORMEN geworden .

ich kanns kaum glauben : SIE – als archivar – haben die bücher nach dem „zügeln“ im bric à brac belassen ? ! – es gibt natürlich da auch schöne archäologische ordnungen , wo man ganz genau weiss , wie tief man in die halden oder stapel hineingreifen muss , um das gewünschte zu finden .

es ist jetzt ein bissel eng mit schreibpflichten , organisieren , kunstradio ( juhu : wir dürfen ja offiziell nach donaueschingen ! ) und dergleichen , beim packen bin ich derzeit auch zwei wochen alleine , deshalb halte ich diese kleine rede quasi „in advance“ oder auch einfach im sinne eines abwehrzaubers , weil ich mich fürchte – –

was mir heute erstmals im feed aufgefallen ist , werter hab , beunruhigt mich ein bissel : die zeichencodes scheinen nicht ( mehr ? ) übereinzustimmen , sodass ein schrecklicher umlautsalat entsteht … komisch : beim dschungel isses nicht so ?
haben / hätten Sie eine idee ?

sehr herzlich, wie stets dia und logisch
czz

p. s. das bild zur WERKschau der taberna war SUPERB !

Am 25. August 2008 09:58 schrieb hab

ich sehe mich, als archivar, liebe czz, da eher im foucaultschen sinne. (nach dem studium habe ich ja als wiss. (medien)dokumentar beim wdr voluntiert). was die ordnung angeht: ich reduziere ja immer mehr meine privaten bestände (reduce to the max) und daraus ergibt sich langsam ein kern, der kernig und (gewohnheitsmässig) überschaubarer wird. also immer weniger alphabet oder signatur braucht. der weg ist das finden ist das ziel. was buchaufstellungen, aber auch das schreiben angeht. privaterseits. im professionellen umfeld siehts da natürlich etwas anders auch. (ich lebe da ein gewisses jekyll&hydeleben).

muss mich leider gerade kurz fassen, da der powernap der kleinen gleich zuende sein wird. überlege gerade, ob ich die dvd nicht nach sichtung auch meiner bibliothek „schenke“. denn dann wäre das werk auch schön verzeichnet und erschlossen. und wiss. recherchierbar & zugänglich. mal sehen … (ich könnts natürlich auch erwerben lassen. gut für ihren geldbeutel? haben sie da nen link?)

und merci für den okopenkohinweis. den text habe ich auch schon gefunden. und werde ihn mir zum konsum notieren. (wir müssen da also nicht die post reich machen. das sind übrigens die momente, wo ich meinen job sehr mag. dieses spektrum an unbeschwerter zugriffigkeit.)

ihr kunstradioprojekt ist freilich auch so eine adresse in die ich mich schon lange mal ausführlich reinknien wollte. ich verdräng das immer gerne, weil ich so was nicht gerne am computer höre. (dagegen höre ich immer gerne texte diverser formen auf meinem ipod. auf reisen. vor dem einschlafen usw. gibts da eigentlich einen geheimtipp da was runterzuladen als mp3?)

und nun zum feed. dass es bei (), (…) usw. öfter mal zu falschen zeichen, fehlcodierungen usw. kommt, ist mir auch schon aufgefallen. die herren sind informiert, scheints aber nicht weiter zu stören. und ich kann da nix machen. (da werden auch mal zeichen benutzt, die nicht verstanden werden.) warum allerdings gerade ihr feed heute, und zum 1. mal, wenn ichs recht sehe, nicht sauber gezogen wurde, ist mir sehr schleierhaft. da fällt mir gar nix dazu ein. ich schlage vor, wir warten auf den nächsten beitrag, und wenn der wiederum falsch abgebildet wird: vielleicht könnten sie sich vorstellen einen kleinen feedburnerfeed draus zu machen? die werden in der regel prima angenommen; und: kein mensch würde etwas merken … (das ist jetzt nur so ein 1. kleiner gedanke). so, nun kommt (…). ich verabschiede mich & grüsse herzlich
hab

ALPHABETICAL ABISH


||| WELCOME TO VIENNA | ALPHABETICAL AFRICA | HOW GERMAN | FELIX AUSTRIA | PRÄSENTATION & DISKUSSION | FURTHER READING | KLANGAPPARATWELCOME TO VIENNA
Dioscur alt vorne

I walk along Mariahilferstrasse / looking for Mariahilferstrasse / I’m on Mariahilferstrasse / and I can’t find it .

Wer in solch Bernhardesker Manier die Strassen seiner Kindheit durchwandert , selbige mit seinem erwachsenen Bewusstsein allerdings nie zur Deckung bringen kann , ist WALTER ABISH , jener Schriftsteller , dessen Werk für Werk in je neuer Schreibweise gewachsenes Oeuvre in direkter Relation steht zum ständigen Neubeginn eines durch die historischen Situationen des 20. Jahrhunderts ins “unruhige Wohnen” gezwungenen Lebens .

Leicht zu finden – just von der zitierten Mariahilfertrasse aus – ist die Buchhandlung phil ( vis à vis dem Café Sperl ) , wo heute ( 20 H ) der im Weidle- Verlag zusammen mit der Exilbibliothek verwirklichte Materialienband “Walter Abish . 99 Arten das Ich und die Welt zu erfinden – Materialien und Analysen” ( hg. von Robert Leucht ) vorgestellt wird .

Der ständige Wechsel der Binnen- Poetologie in Abishs Erzählungen ( “Duel Site” , 1970 ) , Sprachexperimenten ( “Alphabetical Africa” , 1974 ) , Romanen ( “How German Is It | Wie deutsch ist es” , 1979 | 1980 ) und einer hochartifiziellen Autobiographie ( “Double Vision : A Self-Portrait” , 2004 ) erschwert eine synthetische Abbreviatur ebenso wie die unfreiwillig inkonsistente Vita , deren Formulierung wir uns kurzerhand aus dem anzuzeigenden Band borgen :

Walter Abish wurde 1931 in Wien geboren, floh mit seinen Eltern vor den Nazis nach Frankreich, später nach Shanghai; er lebte dann einige Jahre in Israel, ging aber, weil er seine Hebräischkenntnisse als ungenügend empfand, für kurze Zeit nach England, bevor er schliesslich Ende der fünfziger Jahre in die Vereinigten Staaten übersiedelte. Vor diesem Hitnergrund verwundert es nicht, das Abishs erster Roman, Alphabethical Africa, das Thema von Identität und Sprache aufgreift .

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ALPHABETICAL AFRICA

Dioscur alt hintenDas Zitat entstammt einer NZZ- Rezension von Jürgen Brôcan , die das Wagnis des Schweizers Schriftstellers Jürg Laederach , einen im Buchstäblichen Englisch sprachspielenden Roman ins Deutsche zu übertragen ( Alphabetical Africa | Alphabetisches Afrika , Deutsch von Jürg Laederach , Urs Engeler Editor ) würdigt , weniger allerdings die Manierismen und idiosynkratischen Hinzudichtungen des Übersetzers goutiert .

Das entlang der 26 Buchstaben des Alphabets erst auf- , dann absteigend erzählte getüftelte Werk mag zweifellos an der arbiträren Regelästhetik von OuLiPo inspiriert worden sein ( Stefanie Leuenberger ) , verweist zugleich in der Zerprengung von Identität und Erzählung auf das Prinzip “nomadisierender Schreibverfahren” ( Gilles Deleuze ) , wenn nicht gar auf die “roots” der Sprache in Roman Jacobsons Lesart .

Zeitgenössische Kritiker wie Richard Howard im TLS 1974 wollten das buchstäbliche Vordringen ins Innere AFRIKAS ( vulgo : DER SPRACHE ) eher freudianisch aufgeladen sehen :

… the continent Africa shaped like the human heart and the female genitals ( ….) and he [ Walter Abish ] is concerned , is obsessed to possess, to violate her by his literary fetish –

Die wirkliche Lust ( am Text ) stellt sich allerdings erst bei Ansicht der konkreten Sprachgestalt ein . Hier der Anfang des Buches bei Abish :

Ages ago, Alex, Allen and Alva arrived at Antibes, and Alva allowing all, allowing anyone, against Alex’s admonition, against Allen’s angry assertion: another African amusement … anyhow, as all argued, an awesome African army assembled and arduously advanced against an African anthill, assiduously annihilating ant after ant, and afterward, Alex astonishingly accuses Albert as also accepting Africa’s antipodal ant annexation. Albert argumentatively answers at another apartment. Answers: ants are Ameisen. Ants are Ameisen ?

Hier in der Übertragung durch Jürg Laederach :

Am Anfang allen Anfangs Alex, Allen, an Alvas Arm. Ankunft Antibes, Aussichtsterrasse, alter Ankerplatz. Als Alvas Aussehen alle anzog, allerhand Anzügliches anregte, als Alex Abmahnungen ausstieß, als Allen ärgerlich atmete, artete alles auf Anhieb aus: Abermaliges abgedroschenes afrikanisches Amüsement … Achje. Auch argumentierten alle, alte angsterweckend angeschwollene afrikanische Armee avanciere, attackiere andauernd afrikanische Ameisenhügel, Ameise auf Ameise abschlachtend. Als Alex anschließend alte Ansichten abermals ausformulierte, amtierte ausgerechnet Albert als Angeschuldigter: angeklagt ausserordentlicher Akzeptanz aller Ameisen-Annexion, Ausführende: Antipoden. Anderes Apartment: Albert arbeitet ausbaufähige Antwort aus, argumentiert anti Armee. Antwort: Ameisen als ‘ants’. Ameisen als ‘ants’ ?

Zum Vergleich noch eine weitere Übersetzung , die , zitiert in “99 Arten” , von Hanna Muschg unternommen worden war :

Ausserdem Alva, attraktiv, anstössige Aufforderung an alle aufrechten Afrikaner, aufstachelnd andererseits auch allerlei analytisch aggressive Autoren-Antizipation. Autor A. arbeitet an Alva annäherungsweise, anatomisch, affirmativ, aberwitzig, aber auch anschaulich.

Dass hier kein loses Lettern- Spiel getrieben wird , sondern als konsequenter text- und sinngenerativer Faden sich quer durch Abishs Oeuvre spannt , weist Stefanie Leuenbergers äusserst aufmerksamer Aufsatz bemerkenswert nach : Das Hereinfunkeln des deutschen Begriffes in “ants are Ameisen” antizipiert gleich zu Beginn ein später im Verlauf der Ereignisse auftauchendes Buch über “Die Ratsame und Nützliche Ausrottung der Gefährlichen Afrikanischen Ameisen” . “Dieser Titel” , so Leuenberger ,

parallelisiert die Ameisen mit den Verfolgten der Shoah. Philippe Cantié hat darauf hingewiesen, dass die Ameisen im Text überall gegewärtig sind: Das Morphem ‘ant’ ist in Toponymen wie ‘Antibes’ enthalten, in den Substantiven ‘Ashanti’ und ‘antelopes’, in Verben und Adjektiven wie ‘antagonizing’ und ‘antipodal’, fungiert als Suffix (’arrogant’) oder erscheint in der Wortwurzel (’anthem’, ‘anthropologists’). Versteckt und doch anwesend, bilden die Ameisen den verborgenen Text des romans. Somit verbindet Abish das deutschsprachige Wort mit dem in Nachkriegsdeutschland verdrängten Teil der Vergangenheit, der besonders in Abishs Roman How German is it | Wie Deutsch Ist Es (1980) zum Thema werden sollte. In Alphabetical Africa sind es Hermann und Gustaf, Figuren, die Gewalt, Unersättlichkeit und Grössenwahn verkörpern, die das deutsche Wort mit sich bringen.

Hier die ent- sprechende und eindrücklich brutale Passage , die es wohl wert ist , in voller Länge abgetippt zu werden :

Gobbling gestopfte Gans, gobbling Gabelfrühstück, gobbling goulash, gobbling Geschwind, Gesundheit, Gesundheit, gobbling Gurken, Guggelhupf, Gash Gash, Gish Gish, groaming, grunting, also complaining, chewing Grune Bohnen, Geschmackssache, as Germany grows greater, Alarmed, Gabon grows addittional food for Gustaf, and Gustaf’s children, Gerda, Grete and Gerhard. Gifted Grösseres Germany consumes energy and guarantees greatness, get going, grow another Goethe, great guy, claims Gustaf, as all Grundig gramophones in Gabon, gently croon: Goethe, Goethe, Goethe.

Den “Goebbels” hört man – diesmal kommtentieren wir in|ad|ae|qu|at – in diesem radikal rhythmisierten Rap deutlich heraus , ohne dass dessen Name genannt zu werden brauchte . Auch steht die in der Figur Heinrich Himmlers versinnbildlichte germanische Gefrässigkeit assoziativ durchaus bei Fuss .

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HOW GERMAN

Dioscur alt vorneVon diesem Malstrom der abgründig kontaminierten Sprach- , Klang- , Assiziations- und Sinnbilder ist es nicht weit zu “How German is it | Wie Deutsch Ist Es ( 1979 | 1980 ) , wo aus beizenden Übertreibungen und Klischees eine Art Märklin- Szenario errichtet wird , welche das Land , seine Ungeister und Wiedergänger zum Kenntlichen entstellt .

Als just in der geschilderten süddeutschen [ „Würtenburg“ ] Propperkeit ( bis hin zum Heidegger’schen [ „Brumhold“ ] Todtnau und den überall vergrabenen Leichen ) aufgewachsener Zeitgenosse , gibt sich in|ad|ae|qu|at angesichts dieses persönlichen Grundbuches befangen und zitiert aus der in “99 Arten” abgedruckten Rezension Michael Krügers :

Es werden keine Antworten gegeben, sondern Fragen gestellt; Deutschland wird nicht der Prozess gemacht, sondern der Prozess, in dem Deutschland sich befindet, wird illustriert. ( … ) Die Frage, ob der von Walter Abish inszenierte Totentanz ein wahres Bild wiedergibt, ist sekundär gegenüber der Leistug selber: So klug, moralisch und witzig ist von deutschen Schriftstellern schon lange nicht mehr über Deutschland geschrieben worden.

Wirklich “witzig” vermochte in|ad|ae|at dieses ätzend präzise Panorama zwischen den Relikten des Zweiten Weltkriegs , der postwirtschaftwunderbaren Fussgängerzonen- , Kaufhaus- , Mustersiedlungs- Aufgeräumtheit und dem Deutschen Herbst nicht wirklich zu finden : Der Vater des RAF- Terroristen Christian Klar war der beürchtigt autoritäre Direktor des Kreisstadt- Gymnasiums und als Kinder sammelten wir Waffen und Munition aus zersprengten Bunkern . Ski- Stunden am Heideggerberg . Abish trift dies alles – trotz oder wegen manch grotesker Verfremdung – beängstigend genau .

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FELIX AUSTRIA

Dioscur alt hintenAber auch Wien – Herkunftsort des Vertriebenen – kriegt auf allerlei kuriose Weisen sein irrwitziges Fett weg . In “99 Arten” beschäftigt sich Walter Vogl anhand der Story “Mehr über Georges” mit dem Wien- Bild des Autors .

Ort der Handlung : Kleinstadt Vienna , Maryland . Anlass : Feier zur xten Wiederkehr der Befreiung Wiens von der Türkenbelagerung . Kulisse : An allen Häusern und auf allen Plätzen die rotweissrote Fahne samt Doppeladler .

Zitat Abish :

In ihrem Eifer, ihrer Liebe zu Wien hatten die Bewohner des Städtchens (sogar) eine Kopie des Stephansdoms aufgestellt. Er war fünfmal kleiner als das Original, aber dreimal so gross wie der in Vienna, Maryland, 420 Einwohner.

Vogl analysiert das idiosynkratische Werk Walter Abishs – wir schreiben das Jahr 1983 – unter dem Aspekt postmoderner poetischer Verfahren :

Zwischen den Schwenks der erzählerischen Kamera ( … ) , dem Jonglieren mit immer schon vorgeprägten Fiktionen, blitzen eigentümlich verwischt und zweideutig die Sinnangebote unserer Kultur auf. Immer, wenn wir Abish auf ein bestimmtes Thema festgelegt zu haben glaubten, ist er uns auch schon wieder entwischt.

Dass Abish auch sich selbst – speziell das Selbst der Erinnerung – kontinuierlich entwischt , akzentuiert der glänzende Essay über “Abish und Proust” des amerikanischen Philologen Maarten van Delden .

Hier wird Abishs autobiographische Irritation “Double Vision : A Self-Portrait” ( 2004 ) in Relation gesetzt zu Prousts legendärer “Recherche” . In beiden Fällen entsteht eine charakteristische Diskordanz zwischen den Orten der Erinnerung und deren realer Gegenwart . Dabei tritt insbesondere “the disjunction between the utterly agreeable amtosphere of present- day Vienna and the flickering memories of the city’s Nazi past” zu Tage .

It is here that Abish most clearly employs the Proustian device of contrasting two visions – the child’s and the adult’s. Looking back upon his childhood, the author is clearly puzzled by his failure to comprehend the political events that led to his family being forced out of their Viennese home – and to the death of his father’s mother, sisters, and brother in the Nazi camps.

Grund für die Verkennung mag einerseits das Alter des damals Sechsjährigen gewesen sein , anderseits der Umstand , dass die Familie ein assimiliertes Leben führte und sich nicht unmittelbar als jüdisch empfand . Über die Deportation der väterlichen Angehörigen wurde en famille ebenso wenig gesprochen wie über deren Erschiessung bei Maly Trostinez . Erst angesicht der Fotos von zum Strassenbürsten gedemütigten Juden wird sich der Erzähler des unüberbrückbaren Grabens ziwschen subjektiver Erinnerung und rationaler Kenntnisnahme bewusst .

Poetologisch entsteht dadurch – bei Abish nicht minder als bei Proust – “a persistant narrative instability” , Resultat einer “epistomological orientation marked by doubt and uncertainty”.

Womit Walter Abishs in buchstäblichem Sinne zu verstehende Weltliteratur – vermutlich sogar contre coeur und trotz einiger Features des amerikanischen Postmodernism – wiederum inmitten der Wiener Schule des Wahrnehmungs- und Sprachzweifels angelangt wäre .

Bleibt nur zu hoffen , dass Unternehmungen wie dieser feine Digest zur deutschen Neuausgabe von “Wie Deutsch Ist Es” führen . Es muss ja nicht unbedingt wieder bei Suhrkamp sein …

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PRÄSENTATION & DISKUSSION

Dieses und anderes zu diskutieren , mag heute abend Gelegenheit sein , wenn Herausgeber Robert Leucht dieses exzellent edierte ( genaue Bio- und Bibliographie ) und vielfältig inspirierende Buch präsentiert .

Mit Beiträgen von Jürgen Brôcan , Michael Krüger , Jürg Laederach , Robert Leucht , Stefanie Leuenberger , Sonja Osterwalder , Helmut Schödel , Janusz Semrau , Maarten van Delden , Walter Vogl , Paul West , Helmut Winter , Bio- und Bibliographie , in deutscher sowie in englischer Sprache –

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FURTHER READING

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KLANGAPPARAT

Einem neuen Sound- Überflieger gesteuert von Handen unseres Nachtflug- Piloten Tom Larson werden wir in|ad|ae|qu|at sicherlich nie die czz-hoerempfehlungLandeerlaubnis entziehen : Die gibt’s tax- und kerosinfrei im Abonnement bei Mixotic . Heute “Night Drive Music Labelmix Vol.2” . – Dank kraftvoll angedrehter Sequenzer- Propeller erhält sich die drängende Energie auch in den stilleren Schwebephasen . Gelegentliche Turbulenzen beim Spalten von Wolkenwänden sind ebenso systemisch wie die anschliessenden Klangfarb- und Harmonie- Lichtwechsel . Wählen Sie die Luftbrücke Ihres lustvollen Vertrauens . CLICK LINK TO SEE PLAYLIST AND LISTEN .

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Längen und Kitsch?

Die anfängliche “Pleite” mit dem vierten Wechsler-Kapitel hat mich misstrauisch gemacht. Das Folgekapitel muss mit einer längeren Passage beginnen, in der die Beziehung zwischen Wechsler und seiner Frau näher beleuchtet wird. Ich kann noch nicht verraten, warum ich diese Strecke brauche. Nur so viel: Das Kapitel kann ein wenig Länge am Anfang vertragen, weil es in der Mitte und am Ende zwei Paukenschläge geben wird, die es in sich haben.Dennoch frage ich mich, ob ich nicht zu ausführlich werde. Echte Längen will ich mir in diesem Buch nicht leisten. Das Feuer darf nicht ausgehen…

Auch bin ich mir unsicher, wie dicht am Kitsch ich mich bewege, wenn ich in dieser Breite Themen wie Gefühlsdiskrepanzen und Heiratsanträge behandle.

 

Wie sehr mein seelisches Gleichgewicht von der Zuwendung meiner Frau abhängt, den vertrauten Worten, den kleinen Gesten und Zärtlichkeiten, ist mir in den letzten Tagen sehr bewusst geworden. Nachdem wir das von meiner Tochter entdeckte Wechsler-Foto begutachtet hatten und uns einig waren, dass es sich um jemand anderen handeln musste, umarmten wir uns. Und später, als wir ins Bett gegangen waren, schmiegte sie sich zum ersten Mal seit langem wieder an mich. Nach all den Verwirrungen der letzten Tage, dem Zweifeln und Argwöhnen, kehrte ein wenig Ruhe ein in mein aufgewühltes Inneres. Ich nehme an, es ging ihr nicht anders.

Ich war nie, was Kishon den »besten Ehemann von allen« nennen würde, denn es ist nicht leicht, etwas von mir zu haben. Wenn ich sage, ich war in der ersten Zeit unseres Zusammenseins damit beschäftigt, in meine Frau verliebt zu sein, erklärt das recht gut, was ein Leben mit mir zuweilen schwierig macht. Beschäftigt war ich mit dem Gefühl des Verliebtseins, aber ich bezweifle, dass meine Frau damals den Eindruck hatte, ich sei beschäftigt mit ihr. Der größte Teil der Romanze zwischen uns spielte sich in meinem Innern ab, und es brauchte einen der eher seltenen offenen Momente, in denen ich aus mir herauskommen konnte, damit sie überhaupt mitbekam, wie wichtig sie mir war.

Dieses Versunkensein im eigenen Ich war so stark, dass es lange gebraucht hat, bis mir überhaupt klar wurde, dass ich sie ausschloss. Mein Gefühl sagte mir, dass ich sie in Liebe und Aufmerksamkeit geradezu badete. Jeder zweite Gedanke galt ihr. Sie machte mich glücklich wie noch niemand zuvor. Und ich konnte gar nicht begreifen, dass sie dies nicht wahrnahm, sondern im Gegenteil glaubte, ich interessiere mich für alles Mögliche, nur nicht für sie.

Die Welt in mir war für mich die Welt. Selten kam jemand zu Besuch. Noch seltener gab ich Auskunft über mich und die Wirklichkeit, in der ich lebte. Bei der Nähe, die ich von Anfang an zwischen uns empfunden hatte, kam es mir nicht einmal in den Sinn, dass es für sie keine Verbindung dorthin geben könnte – es sei denn, ich stellte diese Verbindung her: nicht nur in meinen Träumen, sondern durch Worte und durch Taten.

Nicht selten kam es vor, dass ich sie mit einer Bemerkung überraschte, die ich für ganz belanglos hielt, weil keineswegs neu. Wie selbstverständlich bin ich jeweils davon ausgegangen, dass sie doch wissen muss, was ich denke und fühle, nicht zuletzt weil ich mir sicher war, es schon dutzende Male ausgesprochen zu haben. Und dann erfuhr ich von ihr, dass ihr völlig neu sei, was ich erzählte, weil ich mir immer nur eingebildet hatte, ihr alles mitgeteilt zu haben, tatsächlich aber die Worte nie den Weg über meine Lippen gefunden hatten.

Völlig entsetzt war ich, als wir, Jahre nach unserer Hochzeit, einmal über den Tag sprachen, an dem ich sie gefragt hatte, ob sie mich heiraten wolle.

Ich war mir lange schon sicher gewesen, dass sie die Richtige für mich war. Aber ihre Bemerkung, dass sie ohne besagtes Missverständnis, als wir uns kennenlernten, nicht einmal mit mir ausgegangen wäre, wirkte nach. Ich spürte ihre Liebe, war mir aber dennoch ewig unsicher, ob sie mich wirklich wollte.

An jenem Tag waren wir eine längere Strecke im Auto gefahren. Wir hatten uns unterhalten, gescherzt, Pläne geschmiedet, und ich bildete mir zum ersten Mal, seit wir uns kannten, ein, dies könnte der Moment sein, in dem sie Ja sagen würde. Also fragte ich, und sie sagte Ja. Sechs Wochen später haben wir geheiratet. Wir beide konnten es kaum erwarten. Es wäre noch schneller gegangen, hätte sich der Juwelier für die Anfertigung der Ringe, die wir gemeinsam entworfen hatten, nicht wenigstens sechs Wochen ausgebeten.

Das ist meine Erinnerung an jenen Tag und die wenigen Wochen, die danach noch bis zu unserer Hochzeit vergingen. Ganz anders hörte es sich an, als meine Frau mir Jahre später erzählte, wie sie den Tag meines Antrags erlebt hatte.

Es stimmte wohl: Ich hatte den richtigen Augenblick gewählt; doch sie hatte nicht sofort zugestimmt, weil einfach alles gepasst hatte und es keine Zweifel gab. Vielmehr hatte meine Frage sie völlig überrascht. Als ich sie stellte, erzählte sie mir, war sie sich zum ersten Mal, seit wir uns kannten, sicher, dass ich wirklich sie meinte und mich tatsächlich für sie interessierte. Einen nachdrücklicheren Beweis dafür, dass ich in einer anderen Welt lebte als sie, hätte es nicht geben können.

Auch später erging es ihr nicht wirklich besser mit mir.

In der Zeit der Nachstellungen durch Finanzbehörden und Gerichtsvollzieher nahm ich jeden Auftrag an, den ich bekommen konnte. Ich setzte alles daran, nicht nur das Schuldendrama so schnell wie möglich zu beenden, sondern bemühte mich auch, sie und die Kinder so wenig wie möglich spüren zu lassen, dass es um unsere wirtschaftliche Lage nicht zum Besten stand.

Ich ließ alle Briefe der Finanzkasse verschwinden, bevor meine Frau sie hätte lesen können, versteckte die Kontoauszüge und gab ihr das Wirtschaftsgeld bar. Stand eine notwendige Anschaffung an, ließ ich mir etwas einfallen. Sie sollte nie das Gefühl haben, etwas entbehren zu müssen – wenn man von der winzigen Wohnung einmal absah, in der wir es uns nach Auslagerung der meisten unserer Bücher doch irgendwie bequem gemacht hatten.

Zu gut erinnerte ich mich an meine Kindheit, die permanenten Geldsorgen meiner Eltern, das Schwarztaxifahren meines Vaters, nachts nach einem vollen Arbeitstag, und die Privatkredite von Freunden, die sie zum Teil durch Wochenend-Renovierungsarbeiten abgedient hatten. Außerdem spukte mir ständig eines der Lieblingszitate meiner Mutter durch den Kopf: »Meine Herrn, meine Mutter, die prägte / auf mich einst ein schlimmes Wort. / Ich würde noch enden im Schauhaus / oder an einem noch schlimmeren Ort.« Das war Brecht, kam meiner Mutter jedoch immer wieder und ganz natürlich wie eine eigene Schöpfung über die Lippen, seit ich ihr eröffnet hatte, dass ich meinen Lebensunterhalt mit Literatur verdienen wollte.

Ich arbeitete also. Bei Frau und Kindern war ich nur noch ein eher selten gesehener Gast.

Nun hängt meine Frau, wie schon gesagt, kaum an materiellen Dingen. Aber sie fühlt romantisch. Was nützt ihr ein Mann, wenn sie nichts von ihm hat, weil er abwesend ist, entweder tatsächlich, weil er Kunden beglückt, oder aber geistig, wenn er zu Hause ist, aber nichts von dem preisgibt, was ihn beschäftigt, weil er fürchtet, sie damit nur zu belasten?

Nicht einmal, nachdem die Dramen ausgestanden waren, hat es sich wirklich zum Besseren gewendet. Ich war dankbar für den nun wieder freien Kopf und nahm flugs die Beschäftigungen wieder auf, für die in den Jahren zuvor die Zeit und Muße gefehlt hatte. Ich schrieb wieder und jagte nun auch noch nach guten Autoren und Geschichten. Was immer ich mir für einen Tag vornahm, hätte zwei- oder dreimal vierundzwanzig Stunden erfordert. Um alles umzusetzen, was mich interessierte und was ich mir ausmalte, hätte ich drei Leben gleichzeitig leben müssen.

Meine Frau ist Leserin, eine leidenschaftliche Leserin sogar, aber meine Begeisterung für Entstehen und Herstellung von Büchern kann sie nicht teilen. Sie möchte gar nicht wissen, welche Kompositionsprinzipien bestimmten Romanen, die sie fesseln, zugrunde liegen. Und erst recht nicht möchte sie mit Druckfahnen, unendlichen Korrekturgängen, ISBN-Nummern, Messen und Vertreterbesuchen zu tun haben.

Also bleibe ich auch heute in diesem Bereich für mich. Mitunter kommt es mir vor, als sei ich eingesponnen in all diese Vorhaben und Aktivitäten wie in einen Kokon. Aber meine Frau ist es und immer wieder nur sie, die mich durch die enggesponnenen Fäden hindurch ruft und auch erreicht. Sie ist meine Verbindung hinaus in die andere Realität, jene Welt, in der meine Kinder spielen und einen Vater brauchen, und in der sie selbst sich einen Mann wünscht, der Anteil nimmt und sie Anteil nehmen lässt an dem, was ihn bewegt.

das grün in der stadt

das grün in der stadt ist dreckig legt es eine schmalspurmatte unters gebüsch
am asfalt daher und ein mal pro woche kommen die männer vom magistrat für den
müll um den containerplatz sucht jemand einen sitzplatz wenns heiß
ist am sperrsitz ists gut sitzen lernst serbisch und kroatisch sind
verschiedene sprachen lernst türkisch kein witz rauchen die kids von der hak
filterlos neben billasackerln lungert die große liebe mit red-bull
und cola und fischsemmerl mit viel ketchup kleben finger aber nie
die münder aneinander nicht untertags wippen die jeans an den hüften
und dolce & gabbana sagen höflich grüß-gott vorm grün im rücken der zaun
dazwischen gegen die hunde an der leine sollen sie ins sackerl scheißen
schläft ein sandler seinen rausch aus steigt ein anderer ins wasser vom gestrigen
regen haben sie eine vertiefung im asfalt gelassen die vollkoffer die städtischen
tauben gurren um einen brothaufen ghörn eh derschossen und füttern sie ratten
steht am schild die kids von der hak haben jetzt keine mittagspause
mehr raucht die rauschkugel allein den ersten tschik nach dem aufwachen
stinkt meterweit gegen den wind nach schweiß und urin
kommen die männer vom magistrat s ist heute ihr tag

Papierboote

Zur allgemeinen Sicherheit hatte die Stadtverwaltung die städtische Bibliothek nach ausserhalb der Mauern verfrachtet, und für verschärfte Sicherheit zudem auf der Felseninsel im Fluss in dem Gebäude untergebracht, das zuvor als Gefängnis gedient hatte. Die Gefangenen wurden generalamnestiert, waren sie doch einfache Verbrecher, sie mussten nur ihre Bibliotheksausweise vernichten und sich einer Analphabetisierung unterziehen, dann durften sie gehen. Die allgemeine Schulpflicht wurde auf ein halbes Jahr gesenkt und war nur für diejenigen Kinder und Erwachsenen obligatorisch, die durch irgendeinen dummen Zu- oder Unfall lesen gelernt hatten. Nach kurzer Zeit wähnte sich die Stadt frei, illiterat, es wurde fröhlich Sport getrieben. Es gab zwar noch ein paar Gewiefte, die in fremden Sprachen lasen, aber auch ihnen kam man bald auf die Schliche, sie wurden entweder verbannt oder zwangsanalphabetisiert. Es machten sich gesundheitliche Probleme in der Stadt breit, verursacht durch Schlafmangel. Das nächtliche Gepoltere kam von der Flussinsel. Eine Untersuchungskommission fand heraus, dass sich die Bücher in der Bibliothek fortpflanzten, bezeichnenderweise nächtens. Man flog einen Bibliomanen ein, der dem Stadtrat aus dem Stegreif erklären konnte, was vor sich ging: Bücher gehen mit Lesern ins Bett, sagte der Bibliomane, sie befruchten die Leser, und wenn man ihnen das verwehrt, fangen sie an, unter sich zu kopulieren. Sie wühlen die Seiten ineinander, lassen Tinte ineinanderfliessen, werden dann dicker und dicker, kleine Büchlein schlüpfen aus den fetten Bänden, dass die Regale krachen. Und was kann man dagegen unternehmen?, fragte der ratlose Stadtrat den Bibliomanen. Nichts, erklärte der Bibliomane. Lesen, lesen, lesen. Lieben.

Kurzerhand fackelte die städtische Feuerwehr im Auftrag des Rates die Bibliothek ab. Bauingenieure sprengten die Insel im Fluss.

Der Feind gab sich nicht geschlagen. Bäume trieben weisse Knospen, die sich zu Buchseiten entrollten. Beschriebenes Papier quoll aus den Abwasserschächten. Ein Unsterblicher (man versuchte mehrmals, ihn zu erschiessen, aber er stand immer wieder auf) eröffnete eine Buchhandlung in einem bunten Kiosk, den er wie zum Hohn mitten auf dem Rathausplatz aufgestellt hatte. Auf Klopapier erschienen Schriftzeichen. Kinder tauschten heimlich in Sandkästen betextete Bilderbüchlein aus. Wo immer ein Vogel landete, blieb ein V im Staub zurück, Eidechsen fügten ein S hinzu. Gedichte stickten sich filigran in Vorhänge und Brautkleider. Heimlich arbeiteten die Dichter im Untergrund Nacht für Nacht, obwohl sie sich vor Hunger kaum noch auf den Beinen halten konnten.

Der Stadtrat stellte eine Sondereinheit zusammen. Heckenschützen durchkämmten die Stadt und zerrten alle Dichter aus ihren Verstecken. In einer Reihe wurden sie an die Wand gestellt und hingerichtet. Das Volk war entsetzt: dass eine handvoll Ratten so viel Unruhe gestiftet hatte! Erleichtert kehrte man auf die Sportplätze zurück.

Die Dichter wurden ausserhalb der Mauer verscharrt.
Beschriebenes Büttenpapier wuchs aus den Erdhügeln; Verse rankten sich um die schäbigen Holzkreuze, die man den Verbrechern zähneknirschend gewährt hatte.

Die Leichen der Dichter wurden exhumiert, in Plastik eingeschweisst, mit Steinen beschwert und in den Fluss geworfen.
Weisse Papierboote stiegen vom Grund des Flusses auf und tanzten mit vollen Segeln bis ins Meer. Und da fing ihre Reise erst an.

Addendum: Tucholsky treibt Allotria

Relaunch von Litblogs.net

Als Hartmut Abendschein und Markus A. Hediger im Dezember 2004 das Portal für literarische Weblogs in deutscher Sprache Litblogs.net nach dem brasilianischen Vorbild wunderblogs.com aus der Taufe hoben, wollten sie Lesern auf der Suche nach zeitgenössischen Autoren im Netz eine Anlaufstelle bieten. Ein hochgestecktes Ziel, wenn man bedenkt, dass Litblogs.net zu Beginn die Feeds von nur drei literarischen Weblogs anbot. Doch die Plattform wuchs sehr rasch, nach und nach wurden weitere Weblogs bei Litblogs.net gelistet. Heute ist Litblogs.net eine Referenz für literarisches Schreiben im Netz und zeigt die erstaunliche Bandbreite, die Literatur im Internet mittlerweile abdeckt.

Die Betreiber sind sich jedoch bewusst, dass das einfache Einlesen von Feeds im sich rasant entwickelnden Umfeld der Internet-Technologie nicht mehr reicht. Jeder Internetuser kann sich mittlerweile den eigenen Reader mit wenigen Klicks einrichten, wozu braucht es da noch eine nett hergerichtete Internetseite? Das neue Litblogs.net bietet ab heute nun auch mehr: Nebst dem Reader finden Leser nun zu jedem Autor der gelisteten Weblogs auch eine Biographie mit Foto; das integrierte Meta-Weblog „prozesse“, auf dem Beiträge zu Entwicklungen auf und von Litblogs.net und zu Internetliteratur allgemein eingestellt werden können; sowie das Online-Magazin „Lesezeichen“, das viermal jährlich erscheint und die besten Beiträge der Litblogs.net-AutorInnen nochmals prominent ins Scheinwerferlicht hebt.

Lilina, das bis anhin die Technologie für Litblogs.net zur Verfügung stellte, wird von wordpress abgelöst. Damit einher geht auch eine optische Generalüberholung der Seite: moderner, übersichtlicher, freundlicher. Schick.

Wir hoffen, alle Links und Funktionalitäten stehen nun zur Verfügung, freuen uns aber auch – sollte dem nicht so sein – wenn Sie uns kurz informieren …

Michael Perkampus

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Geboren 1969 im Fichtelgebirge. Sprachakteur.

Bibliographie (Auswahl): 1991 Equipe Propheta (Vermischte Schriften) Gideon-Verlag. 2007 Seelen am Ufer des Acheron (Roman) Edition Neue Moderne. 2007 Evolution der Unnahbarkeit (Die Gedichte 1986 – 2007) Edition Neue Moderne. 2008 Die Geschichte des Uhrenträgers (Erzählung) Edition Neue Moderne.
Sprechtheater: 2005 Ouroboros Stratum (Wortskulpturen). 2006 Timber (lyrisches Märchen). 2007 Die Gilde der peschwarzen Liebe. 2011 Guckkasten (Hörstücke) edition taberna kritika.

Das Wichtigste aber sind die ‚traumhaften Begebenheiten‘, die dem Dichter erscheinen. Eben: er denkt sie sich nicht aus. Sie sind ein jenseitiges Gespinst seiner Wahrnehmung.
Jedes Dichten ist erinnern, also: finden (auffinden, wiederfinden). Wie wenig ist das wert, wenn man keine Spache hat! Diese Sprache muß sich von jedem Vorwurf der Sprachkonvention freimachen, die ja nur zum beschreiben anhält. Nicht beschreiben sondern verdichten. In der eigenen Sprache sprechen, die wir nur in unseren Träumen lernen.

Litblog / URL:
Die Veranda
http://veranda.michaelperkampus.net/
GrammaTau
http://grammatau.blogspot.de/