Schlagwort-Archive: Ästhetik

Freiburger Notizen (12)

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein Freiburger Typus gebildet, welcher dem Rest der Republik gänzlich enthoben scheint: schlanke Gestalt, feine, leicht übertriebene Gesichtszüge, pädagogisch grundiertes und universitär erworbenes Denken, das sich in häufigem verbalen, teils eloquenten Maßregeln der Mitbürger äußert, knittrige Gesundheit wie sie von zuviel Gemüse rührt, die sogenannte Gutedel-Haltung. Die Frisur wirkt, um Bescheidenheit auszudrücken, leicht über die Stirn gerutscht, das Konto gefüllt. Die Herkunft aus dem Sauertöpfischen ist, wo sie sich nicht ablegen läßt, mit Lebensart übertüncht. Die Kleidung besteht aus Second Hand erster Wahl aus regionalem, mehrfach zertifiziertem biologischen Anbau ohne Kinderarbeit mit Naturjauche. Die politische Gesinnung ist grün bzw. was für grün gehalten wird, aus dialektischen Gründen aber immer auch ein wenig antigrün. Ernsthafte Feinde: keine, mit Ausnahme vielleicht des Maiszünslers. Man fährt mit dem Fahrrad die Berge hinauf und dann (“um net so zu rase”) mit dem Elektro-Shuttlebus wieder hinunter. Trotz der etwas provinziellen Lage fühlt man sich an die Welt angebunden, die durchaus bis Titisee reicht. Wenn der Tag um ist, hat man das Richtige getan und genehmigt sich einen Schoppen. Wären die Weltreligionen in ihren Heilsversprechen nicht so unmäßig und überwiegend postmortal orientiert, könnte man den Freiburger Typus für den Prototyp des Paradiesbewohners halten.

In den meisten Schwarzwaldkreisen ist das Baumumarmen seit Sommerbeginn verboten. Zuwiderhandlungen werden mit einem Bußgeld von 150 Euro geahndet. Zahlreiche Touristenbeschwerden haben zu dem Verbot geführt, daß voererst auch nach der Saison aufrecht erhalten werden soll. Insbesondere Besucherinnen und Besucher aus außereuropäischen Ländern hätten große Probleme mit dieser öffentlich begangenen sexuellen Spielart bekundet. Daß es fraglich sei, ob es sich tatsächlich um eine sexuelle Spielart handle, täte dabei nichts zur Sache. Der Anblick von Baumumarmern habe in den Wäldern zuletzt derart überhand genommen, daß er die Schwarzwald-Ästhetik ernsthaft in Frage gestellt habe. (Gefunden im Breisgauer Blitz)

Zur Ästhetik der Hörstücke, darinnen auch das Internet.

Selbstverständlich kann man sagen: Komplexe Gebilde wie >>>> dieses, zumal allein fürs Ohr, verfehlten ihre Hörer, weil sich den Verästelungen bei einmaligem Hören, wie der Rundfunk das vorsieht, unmöglich folgen läßt, zumal zu >>>> solch nachtschlafener Zeit. Damit verfehlten die Stücke das Genre – Feature – zugleich, das deutlich stärker einen Bildungsauftrag hat als etwa ein Hörspiel, sei es eines der puren Unterhaltung, sei es eines mit Botschaft und von Form.

Dagegen ist zweierlei einzuwenden:

1. Kein Genre entzieht sich dem Zugriff der Künste, wenn es sie lockt. Die Kunst n i m m t sich, schärft, konturiert, verfremdet zum je Eigenen: dem, was alleine dem speziellen Genre eigen, also nicht auch beliebiger Teil eines anderen ist. Sie isoliert und läßt aus dem isolierten Kern neu wachsen: Einvernahme des Interviews, Einvernahmen des O-Tons als Geräusch & Musik, Einvernahme der didaktischen Elemente als ihrerseits Erscheinungen von Form. Die Dinge, Phänomene und auch die Absichten werden zu künstlerischem Material und als solches je neu kombiniert – und/oder ‚bekannt‘ kombiniert, um den Wiedererkennungswillen zu locken; Erkenntnis wird aus der Distanz des fremden, hier nun Kunstblicks.
Das unterläuft, immer, die pädagogische Absicht und dreht sie herum. Denn indem Absicht ist und bekannt ist, verfehlt sie selbst schon ihr Ziel, entschärft sich nämlich: wir wissen immer schon, warum. Dann hört der zu, der sowieso interessiert ist, oft auch nur der, der eh dieser Meinung längst war. Ein solches Verständnis von Feature ist pur affirmativ und, jedenfalls selten, wirklich erkenntnisfördernd über bestehende Vorlieben hinaus. Dagegen steht im poetischen Hörstück, zu dem das Feature mir wurde, die Absicht-selbst auf dem Prüfstand.
Hier ist künstlerisch mit der Erweiterung des Genres über die definierten Grenzen, nämlich über sein Deskriptives hinaus, ja ihm feindlich, zu erwidern: mit der Aura etwa eines O-Tons, die unscharf ist, insofern seine Informationen nicht nur sind: aha, so klingt Bombay, oder aha, so ist das bei den >>>> Hyänen (ein absolut grandioses Stück von Peter Leonhard Braun); und diese Aura – sie besteht aus semantischen Ober- und Untertönen, die alleine für sich gar nicht wahrnehmbar wären, aber maßgeblich die Temperierung bestimmen – wird ihrerseits mit anderer Auren musikartig verschränkt; die Auren spielen miteinander, kopulieren, dann trennen sie sich, sind aber schwanger. Ein Rätsel bleibt immer: Wie wird diese Frucht, und was ist sie? Freilich, das muß ein Wesentliches des inszenierten Gegenstandes miterfassen und transportieren, aber auch etwas Drittes, Viertes über ihn hinaus: etwas von seiner Wirkung.

2. Die einmalige Rundfunksendung i s t nicht mehr einmalig. Die Zukunft des Rundfunks, ob öffentlich-rechtlich oder privat, wird im Internet liegen, ebenso wie des Fernsehens. Er wird sich, und ist schon dabei, im Wesentlichen über Smartphones übertragen, iPads, Note- und Netbooks, schließlich wahrscheinlich über Knöpfe, die wir im Mantelkragen tragen, jeder selbst bereits ein kleiner Computer. Damit, aber schon jetzt, ist jede Sendung mitschneidbar und kann und wird ebenso wiederholt gehört werden können wie irgend ein Musikstück, das sich auch erst bei mehrmaligem Anhören, und oft dann erst rauschhaft, entschlüsselt. Die Ästhetik meiner Hörstücke setzt genau hierauf. (‚Gute‘ Hörer, denen es auf Klang ankommt, werden den Mitschnitt auf ihre Anlage übertragen und dort noch einmal hören: die Unterschiede sind frappierend; man kann durchaus den Eindruck gewinnen, verschiedene Stücke zu hören; soviel, nebenbei, zum Frequenzgang).
Jemand, der nur zweien >>>> meiner Hörstücke begegnet ist, w e i ß bei dem dritten: hier muß gelauscht werden, zweidreimal hintereinander oder in Abständen wieder; sie sind wie Bücher, in denen man nachschlägt. Ihr Mitschnitt ist von der Ästhetik programmiert und gefordert, auch die „schwarze“ Weitergabe, egal, ob privat, ob p2p. Ob, selbstverständlich, solch mehrmaliges Hören geschieht, steht allein im Ermessen des Hörers, nicht aber des rechtetragenden (!) Rundfunks. Ob solch mehrmaliges Hören geschieht, hängt davon ab, ob der Reiz empfunden wird, es zu tun. Ihn zu erzeugen, ist die didaktische Seite der künstlerischen Arbeit, die Hand freilich in der des ästhetischen Kalküls. Ich gehe von vornherein von der Kopie aus, die bei Klangwerken per se Original ist. Es gibt diesen Unterschied längst schon nicht mehr.* Die „Ausstrahlung“ über das Internet ist ihre Wiederholung immer schon selbst.** Es wird in absehbarer Zeit überhaupt keine andere Technik des Ausstrahlung mehr geben; wann nicht mehr, ist nur noch eine Frage der Speicherkapazitäten, will sagen: Qualität der Kompromierungs-Technologien. Das Argument der hörenden Einmaligkeit ist damit obsolet. Und damit das des zu komplexen Gebildes.

*): Von diesem Gedanken aus wäre auch urheberrechtlich zu argumentieren,
urheberrechtlich im Sinne eines Urheberschutzes. Für das
künstlerische Kalkül indes hat es keine Bedeutung.
**): Finanziell entgolten durch Gebührenabgaben und Aufschläge auf den
Endgeräten. Das wiederum wäre durch die Verwertergesellschaften
an die Künstler weiterzuleiten – um ein weiteres Mal den Urheberschutz-
gedanken zu betonen, nicht aber den der abgetretenen Verwertertrechte.
[Urheberrecht.]
_____________
[Poetologie.]

Kurztitel & Kontexte bis 2012-06-10

Kurztitel & Kontexte bis 2012-05-27

  • in|ad|ae|qu|at » Salon Littéraire | Barbara Köhler : ZUM BEISPIEL http://t.co/s9rrt9qt May 27, 2012
  • isla volante » alle jahre wieder http://t.co/7uO4BLiu May 27, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » handohren http://t.co/ieXcyy2D May 27, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Die Kernprobleme der Kulturgeschichte http://t.co/Td2jBRRP May 26, 2012
  • The Glumm » Der schönste Satz der ganzen Stadt http://t.co/SUVLcSZf May 26, 2012
  • Gleisbauarbeiten » Dieser Zug hält hier nicht! http://t.co/Q39eG6pg May 26, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Genuß und Pracht. http://t.co/8F9UjJEY May 26, 2012
  • The Glumm » Der schönste Satz der ganzen Stadt http://t.co/P7Ljy9dd May 26, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Bedenkenswert: http://t.co/8jGjhHLQ May 26, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Gerbrand Bakker / Oben ist es still http://t.co/f6HvAGbq May 26, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Anna Katharina Hahn / Am Schwarzen Berg http://t.co/372zpKyJ May 26, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Gerbrand Bakker / Der Umweg http://t.co/hLzKaOKm May 26, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Gerbrand Bakker / Oben ist es still http://t.co/YTYn2ycl May 26, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Phyllis Kiehl / Fettberg http://t.co/YVMAkdwX May 26, 2012
  • The Glumm » Die neue No. 3 (Opa erzählt vom Krieg) http://t.co/K4RNIx7E May 26, 2012
  • The Glumm » Bin ich tot http://t.co/xd4RTuUI May 26, 2012
  • The Glumm » Juli 1977, Chalon-sur-Saône http://t.co/7yr06MUt May 26, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Mythos & Nebensatz http://t.co/D18lfJ0L May 26, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Und Pfingsten wird so grün sein. D… http://t.co/7IkWKzZS May 26, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 26. Mai 2012, Rohm, Waffennarr, kein Pazifist, 9.01 Uhr http://t.co/UQJAoRE3 May 26, 2012
  • isla volante » bewegt http://t.co/DbsKH84W May 26, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » @etkbooks twitterweek (20120526) http://t.co/wJRWDCrx May 26, 2012
  • pödgyr » 72jungfrauen http://t.co/gnVNcy4o May 26, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » möwen http://t.co/lyERsUgr May 26, 2012
  • Gleisbauarbeiten » 20.40 Uhr (Aus der Serie: Das ist kein Gedicht!) http://t.co/nXI6cLYT May 25, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Bedeutungslüstern, erster Anlauf http://t.co/bJv8GPPC May 25, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Nein!!! Nicht das! http://t.co/xqoxHvni May 25, 2012
  • e.a.richter » 0106 – ORTSBESTIMMUNG http://t.co/tQ0rQlag May 25, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 25.5.12 http://t.co/CkS7VsAn May 25, 2012
  • Visuelle Poesie » ich seh dir in die augen, kleines http://t.co/Ym3Cgl1Q May 25, 2012
  • rheinsein » Das 19te unterthänigst http://t.co/6XcwRSTk May 25, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Das Funzen als solches http://t.co/Ny3YbC1H May 25, 2012
  • The Glumm » Die neue No. 3 http://t.co/KMlrYKZU May 25, 2012
  • Die Veranda » Alfred Hitchcock’s Rattenlied (wenn ich so will) http://t.co/orgymcDs May 25, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » In den Kammern eines verschachtelt… http://t.co/78obWrXc May 25, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das DTs für den 25.5.2012 http://t.co/Y1UkXgT4 May 25, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das DTs des 24.5.2012 http://t.co/SL6hHlzq May 25, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » Ohne Titel http://t.co/8uSsTLlG May 25, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » feuerzimmer http://t.co/lgN1gAgj May 25, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Twitter Week vom 2012-05-24 http://t.co/Xz4yyHVI May 24, 2012
  • Gleisbauarbeiten » UNLUSTIG (Primitive Zurückweisung der Ansprüche des Qualitätsmanagements im Literaturwesen) http://t.co/iYIhWHrL May 24, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Und d o c h kein Ende abzusehen OD… http://t.co/fMRyyulj May 24, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 24. Mai 2012, Zurück vom Zahnarzt, 17.36 Uhr http://t.co/f5bgQUFv May 24, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das DTs des 23.5.2012 http://t.co/eEkgtkni May 24, 2012
  • Die Veranda » Eddie Calvert in Wendenhammer http://t.co/qqNhKi41 May 24, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Die Nr. 139 der Kleinen Litblog-Theorie. http://t.co/7S3vWsjM May 24, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Adieu, Praxis Dr. Schein http://t.co/lEKSau3P May 24, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Literatur fügt Ihnen und … http://t.co/2U5KCn24 May 24, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » Zur Digitalen Edition der Schriftproben http://t.co/XY6Bnu1e May 24, 2012
  • isla volante » aussicht http://t.co/kdZgFbZ6 May 24, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Gundi Feyrer : 5 Künstlerfiguren ‘en miniature’ | Der Austellung 2. Teil ( Die Wiener , der Süden ) http://t.co/LxFtMB73 May 24, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 24. Mai 2012, Morgendliche Explosionen, 6.03 Uhr http://t.co/kJpkxejV May 24, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Schlinkert http://t.co/F86X5cRC May 23, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » kamele http://t.co/bkJeoLUR May 23, 2012
  • Gleisbauarbeiten » AUTO. Logik.Lüge.Libido: Sucht ohne Leidensdruck (1971 – heute) http://t.co/X9y8lR87 May 23, 2012
  • Die Veranda » Das Hufeisenland http://t.co/sh5ZzGAT May 23, 2012
  • der goldene fisch » Hendrik Rost : A formal Feeling oder nenn es Wonne http://t.co/2z0UDcMW May 23, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 23. Mai 2012, Revolution am späten Nachmittag, 16.55 Uhr http://t.co/K5fbBVnj May 23, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Lethargie ist ein Phänomen, das ich bislang völlig unterschätzt hatte. Soga… http://t.co/aqYi8Dpb May 23, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Dann ist Polen offen http://t.co/czp16BB3 May 23, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Zur Ästhetik der Hörstücke, darinn… http://t.co/VnvQgjKn May 23, 2012
  • Die Veranda » Mittwoch, 23. Mai 2012, ChickenNuke-Day http://t.co/ujJc14fZ May 23, 2012
  • rheinsein » Rheinische Tierwelt: pünktliche Kröten http://t.co/FvAu0COB May 23, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Gek l a u t. (Und zwar: sofort). http://t.co/QxdADz2q May 23, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das mit einem Filmriß erwachte Arb… http://t.co/Br36IHlR May 23, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » 008 http://t.co/1VeWgXPj May 23, 2012
  • Gleisbauarbeiten » Noch bis Ende Juni: Die Ausstellung „MOUNTAINS OF DISBELIEF“ von Thomas Hartmann http://t.co/1yPLZN5b May 23, 2012
  • isla volante » windportrait 54 http://t.co/H4eZkNZG May 23, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » tahiti http://t.co/o9r58qGR May 23, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 23. Mai 2012, Aus den “Verordnungen des Schriftstellermorgens”, 5.55 Uhr http://t.co/IQPobfbI May 23, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Anna Häusler 22.05.2012 http://t.co/DOcZqwdJ May 22, 2012
  • der goldene fisch » Mirko Bonné : Widerstände http://t.co/fj0OkHEB May 22, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 22. Mai 2012, Augensonnenbaden, 16.58 Uhr http://t.co/afZsai5x May 22, 2012
  • Gleisbauarbeiten » Abermals „so Tage“: Das Talent der Talentfreien http://t.co/pr9h3GAJ May 22, 2012
  • e.a.richter » 0105 – SACKGASSE http://t.co/Ubsp7LLL May 22, 2012
  • Die Veranda » Dienstag, 22. Mai 2012, Brachgasse http://t.co/c6zTyEJ0 May 22, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Don’t think too much http://t.co/gfGxv6i0 May 22, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Darin für Janos Starker. Das Arbei… http://t.co/WD4TvUsy May 22, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das DTs des 21.5.2012. http://t.co/CNcK981S May 22, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » Maritz, Beatrice: beeilen http://t.co/a2B5OT4F May 22, 2012
  • Matthias Kehles Lyrik-Blog » Gedicht des Tages – Jürgen Nendza http://t.co/cgYPk01Y May 22, 2012
  • isla volante » meer http://t.co/7dsgMfzj May 22, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » MICRO | -NOTE | -QUOTE : sentenziös http://t.co/wcRImeVw May 22, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » wolfgang herrndorf : arbeit und struktur http://t.co/H3BoQR5I May 22, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 22. Mai 2012, Eine Frage alter Frauen, 6.12 Uhr http://t.co/5jE3f8uX May 22, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 21. Mai 2012, An den Rändern des Denkbaren, 19.28 Uhr http://t.co/wcKpNKJe May 21, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Das DTs für den 19. & 20. 5. 2012. http://t.co/vbsBKtZ3 May 21, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Parkbank Mitte (Skizze). http://t.co/vRptKI2Y May 21, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Vorübergehend mutlos. Das Arbeitsj… http://t.co/Nr5gRVod May 21, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » JJR2012 ODER ANHs Rousseau. Auf SR… http://t.co/taQnlZiT May 21, 2012
  • Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) » Anne Häusler 21.05.2012 http://t.co/VqhOPLyE May 21, 2012
  • Gleisbauarbeiten » SEELENEXPERIMENTE (Aus: Alban Nikolai Herbst: Kleine Theorie des literarischen Bloggens) http://t.co/EHkQHoqk May 21, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » Mythenbildung bei den Vizes http://t.co/iZpTwMhK May 21, 2012
  • taberna kritika – kleine formen » Vom Schnee http://t.co/qLABmWcq May 21, 2012
  • Tainted Talents (Ateliertagebuch.) » Einmal geübt, schon gekonnt, XXXI http://t.co/srqAc3Cc May 21, 2012
  • http://t.co/4AWDTSUE weekly wurde gerade veröffentlicht! http://t.co/2goWnXO0 ▸ Topthemen heute von @litblogs_net May 21, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » NEUES VON FREUNDEN http://t.co/gEOeTN9l May 21, 2012
  • isla volante » windportrait 53 http://t.co/cNU1ocSO May 21, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » rosen http://t.co/KBmgxgL1 May 21, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 21. Mai 2012, Zombieherstellung, 5.50 Uhr http://t.co/EHZt137l May 21, 2012
  • Turmsegler » Shahin Najafi http://t.co/KWz021dq May 20, 2012
  • andreas louis seyerlein : particles » mensch in gefahr / amnesty international : urgent action – ASERBAIDSCHAN http://t.co/1QVWuFnK May 20, 2012
  • Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! » No title http://t.co/PoJrmKjY May 20, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 20. Mai 2012, Geschmacksfrage, 17.43 Uhr http://t.co/1go7lBol May 20, 2012
  • e.a.richter » D-33 JOURNAL 1 http://t.co/KgORc6ML May 20, 2012
  • Gleisbauarbeiten » PUNK PYGMALION (34): Akt auf Weiß http://t.co/rAV4CDc9 May 20, 2012
  • Ze Zurrealism Itzelf » Und dann sitzen wir auf einer Hippiedecke, auf der Brücke, von der aus man die Stadt über… http://t.co/108rWJsk May 20, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » Stille 7 http://t.co/Vy6Him9R May 20, 2012
  • Guido Rohm – Aus der Pathologie » 20. Mai 2012, 3232 Dollar für 20 Minuten Pitt, 8.57 Uhr http://t.co/i8sHnomM May 20, 2012
  • isla volante » windportrait 52 http://t.co/ENtcgAt9 May 20, 2012
  • in|ad|ae|qu|at » Salon Littéraire | Monika Rinck : Affektlehre ( Honigprotokolle 1 | 3 ) http://t.co/F9EsgioN May 20, 2012

MÖBELHAUSSCHAURAUMBÜCHER

1950s living rom chic

Echtbuch oder konfektionell hergestellte Blindbände ? Seit je beschäftigt uns in|ad|a|qu|at die flagrante Frage , womit Einrichtungshäuser für ihre Katalogfotos und Schauräume das nötige Buchmaterial akquirieren , welches dann in lockerer Streuung – es soll ja “wohnlich” und nicht “verkopft” wirken – den zur Schau gestellten Wohn- und Regalwände , Arbeits- und Relaxnischen appliziert wird .

Wie also bespielen etwa die weltweist 322 IKEA- Möbelhäuser ihre Regale ? – Da der “Buchschmuck” zur Deko zählt , folglich mit keiner Warenummer , keinem Preis und keinem Diebstahlschutz versehen ist , müssten Gegenstände dieser Art – sollten sich die Titel einer unspezifischen Beliebtheit erfreuen – ganz oben auf der Liste der kleptomanisch veranlagten Mitbürger zu stehen kommen .

Abgesehen davon , dass ein Coelho , eine Allende oder ein Dan Brown keine zwei Tage im Schauraum verblieben , sind auch Bestseller sozial konnotiert und nicht nur einem Einschluss- sondern ebenso einem Asschlussverfahren unterlegen . Ein solcher Ausschluss wäre natürlich Gift für den Schauraum , da mit dem als ausschliessend decodierten Buch das gesamte Regal verworfen würde .

Unser heimlicher Verdacht , dass mit der Weihnachtsbüchersammlung , welche Starbucks jedes Jahr inszeniert , in Wahrheit nicht etwa Witwen- und Waisen- , sondern Möbelhäusern zugute kommt , erhärtet sich immer wieder angesichts des realen wie symbolischen Nullwerts der solcherart gesammelten Bücher . Da kaum auszuschliessen ist , dass die Billigleister im Schichtdienst des Kaffee- IKEA ( “transportiere und bau Dir Deinen Kaffee selbst !” ) mitunter einen netten Fang machen und sich am vorvorvorletzten Reisser von James Patterson bedienen , liefert der sichtbare Bücherkorb der Sammlung im Schnitt das perfekte Buch ohne Eigenschaften , das man nicht einmal bei langen Wartezeiten in die Hand nehmen würden .

Und genau eine solche Auswahl wäre für Möbelhäuser ideal : Allerlei diffuses Zeug , das allerdings der Ästhetik halber allerdings einigermassen “wertig” rüberkommen muss , des Weiteren aber nicht den Greifreflex der Raumschauer triggern oder gar “Stammleser” dazu verleiten , einige aufeinanderfolgende Tage lang während der Mittagspause herbeizueilen , um – bequem auf einem Schauraumsofa ausgestreckt – das Schauraumbuch zu verschlingen . Dächte man dieses No- Go– Szenario multipliziert um die Anzahl der Filialen und Schauräume durch , gelangte man rasch zu bestürzenden Resultaten .

Grundsätzlich zählt das Raumschau- oder Schauraum- Buch- Syndrom ( siehe dazu grundlegend I. K. Ea : SRBDShowroom Book Disorder . A Case Study , including Statistic Material from Various Sources – Almhult : Billy Press 1990 ) zum Critical Catalogue of Furniture Display ( CCoFD ) , welcher deviante oder dem Verkaufszweck adverse Kundenverhaltensweisen in Möbelhäusern listet .

Glücklicherweise sind Zeitgeist und Wohnmode keine statischen Entitäten , sondern in stetem Wandel , sodass sich neuerdings vermehrt andere , zur Warenpalette des Möbelhauses zählende und auch hinsichtlich der sozialen , ideologischen , generationellen und individuellen Konnotierungen neutrale Gegenstände in den Schauraum- Regalen der Raumschauen finden : Da sind sie nun , die in allen Variationen greifbaren und möglichst aus pflanzlichem Flechtwerk bestehnden Körbe und Körbchen , welche einerseits das Prinzip “Ordnung” symbolisieren , zugleich aber – qua echtem oder imitiertem Naturmaterial – den Hauch einer entspannten “Ökologie des Wohnzimmers” atmen .

Auch die – im Wohnbereich immer keusch “getarnten” – Arbeitsnischen benötigen in jüngerer Zeit keine Bücher mehr , um das Thema “Geistesarbeit” anzuspielen : der Laptop fungiert in diesem Kontext als gender- , alters- und ökonomisch unspezifisches Signalobjekt . Zumal auf der Fotografie . Im Möbelhaus selbst werden schauraumfähige Objekte aus dem Sortiment ( Zeitschnriftenordner ) an dieser kritischen Stelle plaziert , um die Kaufreize zu erhöhen . Der besagte Laptop bzw. das Signal  ”dies hier ist ein Laptoparbeitsplatz”  beruht allein auf den dementsprechenden Abbildungen im Katalog .

Da indes mittlerweile als statistisch erwiesen gelten kann , in wie hohem Masse der Content des aktuellen Katalogs im Mittelfristgedächtnis der Kunden verankert ist , sodass selbige von sich aus die “Leerstellen” im Schauraum quasi automatisch mit dem im Katalog zugeordneten Objekten ( recte : Laptop ) füllen , ist die im Schauraum reale Absenz der Symbolischen Objekte für den gut geschulten Kunden kaum wahrnehmbar .

Schliesslich bleibt die für Malls und Schauräume eiserne Regel des “in Eile Verweilens” oberstes Gebot : Trotz Probesitzen und haptischer Annäherung an die libidinös besetzten Objekte muss der Kundenstrom flüssig bleiben und darf nicht – wie von John Fiske ( Reading the Popular – London : Unwin Hyman Ltd 1989 ) eindrücklich herausgearbeitet – stagnieren bzw. durch unangemessen lange Verweildauern Sichtbarkeitseinschränkungen auf seiten anderer Kunden generieren .

Beides kann mithilfe von klugem Schauraum- Design in Kombination mit freundlichem Hilfs- , recte : Kontrollpersonal eingedämmt werden . Die nötige Literatur finden Sie in der Raumschau Ihres bevorzugten Möbelhauses .

|||

KLANGAPPARAT

Dass es sich doch mitunter lohnt , den Empfehlungen anderer Social- Net- Mitglieder nachzugehen , zeigt sich immer wieder neu auf Soundcloud , dem äusserst praktikablen Musiklieferdienst czz-hoerempfehlung( von dem extremen Streaming @ Spotify sei vorerst geschwiegen ) . Diesmal sind wir einem Hinweis des geschätzten Graintable nachgegangen und auf eine dynamisch spannende musikalische Skizze des nicht weiter spezifizierten Lorn ( “Woods , Antarctica” ) gestossen : in Kompression vs. Vollsound , hinsichtlich Melodiestimme und breitem Anklang in etwa dem Akkordeon verwandt , offenbart sich hier eine anregende kleine Soundstudie .
Pours (DRUGS) by Lorn

|||

Kurztitel & Kontexte bis 2011-12-04

DIE FABRIK DER ENGEL

Fortsetzung zu: „Ich küsse mein Leben in dich“ (Die Martenehen)

Unter ihr wogte die See. Sie presste die blanken Brüste gegen den Holzboden des Schiffes, bis er nachgab. Der Lack splitterte und ritzte unter dem linken Brusthof fadenfein die Haut auf. Ein winziger Tropfen Blut fiel auf die weißgestrichene Latte. „Für dich gegeben“, flüsterte sie. Es war der ovale Tropfen das Ei, aus dem die Vergebung für Heilmann schlüpfen sollte, der sich nicht zu schade gewesen war, wie ein Durchschnittsmensch seine Herrlichkeit fortpflanzen zu wollen. In bebender Scham aber zerrst du mich vor das Gericht, deine Sünden zu heilen.
An Land rann Heilmann unterdessen der Schweiß in den Nacken, obgleich der Tag kühl war. Seine Heiterkeit war schon verflogen, als er das Taxi bestieg. „Der Teufel bittet zum Tanz“, dachte er. In seiner Brieftasche fingerte er nervös nach dem Bild seines Jungen. Er soll nicht ausgemergelt am Kai stehen, ein Schatten seiner selbst, das habe ich geschworen. „Wollen Sie wirklich hier raus?“, hatte der Taxifahrer gefragt, als Heilmann ihn bat, am Eingangstor der stillgelegten Fabrik zu halten. In wie vielen Filmen hatte er diese Szene gesehen? Unsere Geschichte strotzt vor Klischees. Heilmann reichte ihm stumm den Schein. Der Mann zuckte die Achseln. Nervös strich Heilmann seine Hosenbeine glatt als er vor dem hohen vergitterten Tor stand und wartete. Mit einem lauten Kreischen fuhr es vor ihm zur Seite. Er trat ein und hinter ihm schloss sich sofort wieder das Gitter. Doch er fürchtete nichts. Der Teufel brauchte ihn, sonst wäre er niemals bis hierher gelangt.
„Kein Schiff hat eine schönere Galionsfigur unterm dem Bugspriet als wir“, riefen die Matrosen. Sie lächelte unaufhörlich mit ihrem tiefroten Mund, zwischen den Lippen blitzten die Schneidezähne. Ihr Leib war jetzt das Schiff und sie nahm die ganze Mannschaft auf, gierig nach ihrem Gesang, ihren Gelagen und ihren rohen Handgriffen, willig sich ihren Befehlen zu fügen und die Meere auf ihr Geheiß zu durchpflügen. „Doch aufgepasst, meine Herren. Was unter meinem Busen wogt, kann euch alle verschlingen. Seemannsbraut ist das Meer und sie gibt ihn nie wieder her.“ Diesen Gesang verschluckte der Wind, ebenso wie ihr unablässig beschwörendes Gemurmel zum Rauschen der Wellen wurde: „Du sollst Dir und mir treu sein, da ein Geist sich mit uns eingeschifft, verlass die Flagge nicht, der Eid, den du geschworen, gilt.
Irgendwo klapperte ein Fensterladen, eine Papiertüte fegte über den Vorplatz hinter dem ehemaligen Pförtnerhäuschen, wo Heilmann stand. Der Wind vom Meer her schmeckte salzig auf seiner Zunge. Immer schlägt die wilde Welle an mein Herz, der innere Feind. Er suchte nach der Kamera, die ihn erfasst haben musste, damit das Tor geöffnet wurde, doch konnte er sie nicht ausfindig machen, obgleich es taghell war. Plötzlich, als er sich umwand, stand wie aus dem Nichts der Herr vor ihm, der ihn bestellt hatte. „Sie sind gekommen. Ich war mir nicht sicher.“ „Habe ich eine Wahl?“ „Es gehört Mut dazu.“ „Mein Sohn.“ Angewidert verzog sein Gastgeber das Gesicht. Seine Stimme war weich, fast weiblich, seine Hände sorgfältig manikürt. „Wie ein Sonntagsprediger: An nichts Kommendes können wir glauben, wenn wir Vergangenes nicht zu würdigen wissen.“ Seine Verachtung schien grenzenlos, doch er fing sich. Als er Heilmann seine Rechte reichte, hatte dieser das Gefühl, einen trockenen Schwamm zu ergreifen, so wenig waren die Knochen zu spüren.  „Ihre Niederträchtigkeiten sind mir viel lieber als ihre sentimentalen Anwandlungen.“ „Ohne diese jedoch wäre ich nicht hier.“, konnte Heilmann sich nicht verkneifen zu antworten. Sein Widersacher wirkte für einen Moment überrascht, doch dann nickte er. „Sie haben Recht. Selbstverständlich.“ Der Herr war korpulent und hatte sich zur Feier des Tages in eine purpurne Kutte gekleidet, die von einem güldenen Gürtel tailliert war (nicht dass man beim dem Herrn tatsächlich von einer Taille hätte sprechen können). Heilmann hatte ihn auch schon dezenter auftreten sehen. Damals in Rom, ausgerechnet, hatte er in einer schwarzen Jeans und einem grauen Kapuzenpullover mit der Aufschrift „Los Angeles“  neben Heilmann am Tresen gesessen. Er war nicht ohne Humor, der Herr der Finsternis, dachte Heilmann. „Die Engel warten.“, sprach der römische Dickwanst, als hätte er den Gedanken gehört. In diesem Augenblick wurde Heilmann klar, dass der Konjunktiv überflüssig war. Er versuchte, sich zu entspannen. Mit einer Handbewegung wies ihm der Teufel, der sich großzügig gab, den Weg zum Hintereingang einer Fabrikhalle. Heilmanns Hand zitterte, als er den Türknauf drehte. „Beruhigen Sie sich. Am Anfang sollen Sie nur zuschauen.“ „Am Anfang“, dachte Heilmann. Sie traten ein.

Zitate aus:
Bettina von Arnim: Die Günderode
Theodor Fontane: Der Stechlin
Else Lasker-Schüler: Sämtliche Gedichte
Mechthild von Magdeburg: Das fließende Licht der Gottheit
Peter Weiss: Ästhetik des Widerstands

Tableau de Texte | Anja Utler : ausgeübt . Eine Kurskorrektur

||| DISCLAIMER | KLEINER DIALOG ZU POESIE, ÖKOPOETIK UND PROSA | EXKURS VOM AUERHAHN . SINN UND SCHAUDER . 16 WIEDERKÄUENDE ÜBERLEGUNGEN UND EINE FRAGE | AUSGEÜBT . EINE KURSKORREKTUR | ANJA UTLER @ in|ad|ae|qu|at | HINWEIS

| tableau de texte|

ANJA UTLER: AUSGEÜBT . EINE KURSKORREKTUR ( Edition Korrespondenzen 2011) SAMT EXKURS VOM AUERHAHN : SINN UND SCHAUDER : 16 WIEDERKÄUENDE ÜBERLEGUNGEN UND EINE FRAGE

|||

DISCLAIMER

Wie mittlerweile zu wissen ist , sind neue Bücher für in|ad|ae|qu|at keine schieren Objekte der “Rezension” . Anders als in Echtwelt- Zusammenhängen erlauben wir uns , Autoren und Texte hier und im Jenseits der Institutionen einen Ort einzuräumen , an welchem wohl ein sympathetisches Klima herrscht , nicht aber das übliche Vokabular der Wertung . Wir zitieren den Text ausführlich mit ausdrücklicher Genehmigung von Autor , Herausgeber(n) und | oder des Verlags .

|||

KLEINER DIALOG ZU POESIE, ÖKOPOETIK UND PROSA*

czz : Im Hinblick auf “ausgeübt” stehen wir quasi vor einer Wand des “Neuen” in Lexik, Struktur, Duktus , Diktum und Metatext; diese “Kurskorrektur” erscheint als ein anderes Paradigma, welches das Bisherige Deines Werks nicht ausspeit, sondern miteinschliesst; das “Neue” nicht als “hurra-jetzt-hab-ich’s-Innovation”, sondern als diachron gezeitigtes “Jüngstes”, das, wissend um die Nicht-mehr-Steigerbarkeit Deiner formalen und artikulatorischen Landnahme / Reduktion ( siehe der Glottislaut in “jana, vermacht“), welche in letzter Konsequenz wohl zum schriftlichen “blanc” führen würde (oder zu einer gänzlich anderen Notation) –

Anja Utler :  Das sagst Du sehr schön, man kommt zum ‘blanc’. Zum ‘blank’. Das war in der Tat die Situation, in der ich mich gesehen habe. Dieser Ansatz, eine Thematik in ‘Geschehen’ und ‘Konstellation’ umzuwandeln und diese dann in einer Art Gedanken- und Körperbahnung – die den Nachdruckpunkten und -wegen folgt – sich im Sprechen abzeichnen zu lassen, war nach “jana, vermacht” (für den Moment) nicht mehr weiter zu betreiben. In logischer Hinsicht, aber auch aufgrund persönlicher Erschöpfung.

czz : Mit Deinen 16 Thesen zur “Auerhahnliteratur ” stichst Du einem im Kontext Deines bisherigen Werkes gewonnenen Grund um und um, einen Grund, dessen Körnung sich durchaus in der poetischen “Kurskorrektur” auffinden lässt; und doch wird mehr als deutlich , dass Du nun in andere geologische Schichten gräbst, um ein Fundament zu formen. Darf ich die vielleicht banale Vermutung äussern , dass in “ausgeübt” auch Spuren der “ökologischen Ästhetik” von Julia Fiedorczuk** durchsintern?

AU : Zwischen der Auerhahnliteratur und “ausgeübt” klafft etwas, das sich nicht überbrücken lässt. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die formulierte Poetik bei mir der, sozusagen, ausgeübten, immer hinterher hinkt. Da schimmert bereits etwas von “ausgeübt”, ja. Aber es sammelt sich im Auerhahn auch einiges, was mich schon länger umtreibt. Gerade die Frage des Raums für die Rezipierenden ist aber auch in “ausgeübt” zentral. Sagen wir, die Auerhahnliteratur ist keine 1:1 Poetik zu “ausgeübt”, sie ist ein Bröckchen aus ihrem Asteroidengürtel.

Die ‘ökologische Ästhetik’ wiegt letztlich schwerer. Tatsächlich war sie eigentlich immer (wenngleich nicht begleitend formuliert) mein dichterischer Ausgangspunkt. Ich habe die Gedichte in “münden – entzüngeln” stets als ‘ökologische’ betrachtet. Sie sind nie so gelesen worden, ich weiß. Trotzdem bin ich nach wie vor der Ansicht, “münden – entzüngeln” ist die (für mich) intellektuell redlichste Weise, wie sich diese Problematik in Gedicht umsetzen lässt – nämlich auch poetisch, in der Denkbewegung, und nicht allein im motivischen Bilderzauber. (Der reicht nicht.) Und auch die anderen Bände gehen von dieser ‘ökologischen’ gedanklichen Basisjustierung nicht ab. […]

Ich komme hier von der heraufdämmernden ökologischen Katastrophe und einer ihrer Konstellationen. Und ich frage mich, wie macht man das zu Text – ohne der sinnlosen Narration zu verfallen. Und der (für mich: un-ökologischen) Perspektive des distanzierten, vermeintlich unbeteiligten Betrachtens. Das ist nicht viel. Aber das ist es. Und die einfache Frage fächert sich im Moment der Umsetzung in unendliche Facetten auf.

czz : Siehst Du die Prosa nun als “Weiterführung” der Lyrik oder als ein alternatives Denkmodell?

AU : Ich weiß nicht, wie andere Leute ihre Prosa schreiben (auch nicht in den Fällen, wo ich gut verstehe warum sie es machen und warum so). Aber für mich war die einfache Überzeugung zentral: es gibt diese Figur. Und ich möchte sie kennen lernen. Um nicht in eine ebenso unter- wie überdeterminierte Narration zu geraten (also: nicht den ‘Feind’ im eigenen Text zu haben), folge ich ihr an einem Punkt, wo sie sich selbst neu vermisst. Erkundet. Auch: sich ausweicht natürlich. Spiegelungen mit mehr oder weniger toten Punkten vornimmt. Um immer wieder Kurskorrekturen anzusetzen. Es ist eine Art gedankliches Absprechen verschiedener wichtiger Areale des eigenen Denkens/Werdens/Handelns (der Figur!), welches die Notwendigkeit einer schriftlichen Fixierung als Handlauf anerkennt und verhandelt. Das hat nicht zuletzt eine zeitliche Dimension: die lyrischen Texte waren das Geschehen im Präsens, für alle wiederholbar, abgehbar durch die schriftliche Fixierung. Dieser Text hat noch das Archiv im Gepäck. Die Reflexionsebene mit zeitlicher Distanz, die in der Dichtung ganz ausgelagert ist in die Rezipienten, ist hier zu einem Teil in den Text eingegangen.

*   Nach einem email- Briefwechsel August | September 2011

** Julia Fiedorczuk: Siehe Anja Utler im Gespräch mit Julia Fiedorczuk: Die Welt ist nicht für uns gemacht worden; Julia Fiedorczuk: Ökopoetik: Stellung beziehen für lebende Körper; In: manuskripte 187 | 2010 , S. 146 – 156

|||

ANJA UTLER : EXKURS VOM AUERHAHN . SINN UND SCHAUDER . 16 WIEDERKÄUENDE ÜBERLEGUNGEN UND EINE FRAGE ( August 2011 )

Ausgangspunkt meiner Überlegungen bildet folgende Textstelle in ausgeübt. Eine Kurskorrektur, S.60:

Sie hatten einen alten Heizlüfter unter der Bank; die letzten Tage kann ich besser ertragen in welcher Höhe er sirrt, schalte ihn zwischendurch an.

Meine Überlegungen münden in die Frage:
Steht der alte Heizlüfter am Ende in direkter Nachbarschaft zu einem ausgestopften Auerhahn? Diese Frage kann nicht abschließend beantwortet werden. Meine Überlegungen aber gehen wie folgt:

1 Es ist grauenvoll, einen Raum zu betreten, wo ein ausgestopfter Auerhahn gehalten wird. Dazu kommt, dass in solchen Räumen nach etwas Orientierung oft ein zweiter zu entdecken ist, +andere ausgestopfte Vögel, +Säugetiere.

2 Die heute verfasste Literatur bringt mich außerordentlich häufig in solche mit totem Getier vollgestopfte Räume. Diese Beobachtung bezieht sich nicht auf die Motivik. (Siehe Marcel Beyers Kaltenburg. Motiv: Scharen ausgestopfter Vögel. Ergebnis: Temperaturausschläge, die im Staub der Auerhahnliteratur nicht erreicht werden.)

3 Trennlinien zur Identifikation von Auerhahnliteratur können nicht entlang von Begriffspaaren wie Experiment//Tradition oder Konvention//Innovation gezogen werden. Die immer wieder gern hergestellten Verknüpfungen
gesellschaftliche Relevanz + Tradition + heute eigentliche Innovation
versus
Selbstbezüglichkeit der Kunst + Experiment + heute eigentliche Konvention
verraten Vulgärmodernismus in einer seiner gröbsten Formen. Wer sich an derartigen Konglomeraten entlang hangelt, kann sich weniger mit existierender Literatur, als mit Gerüchten über Literatur bzw. Gerüchten über die Beschäftigung mit Literatur auseinandersetzen.

3a Vulgärmodernismus ist ein großartiger Kampfbegriff. Wie die anderen, zitierten Kampfbegriffe ringt auch er mit der Schwierigkeit, dass er mittels schillernder Federn die zu erkundenden Nuancen, in denen die Probleme stecken, zudeckt. Die Probleme lassen sich so einfach aber nicht ersticken.

3b Nein, Innovation ist wirklich keine sinnvolle Kategorie. Sie sagt einfach nichts – außer dass etwas neu ist. NEU! Ja, und? Was bringt das, und wem?

4 Ein höchst zähes Problem sitzt darin, dass zwischen bloßem Stoff und Relevanz keine stabile Verbindung herzustellen ist. Relevanz wird hier verstanden als textinduziertes inneres Ziehen. Gedanklich-emotionale Dreh-Wende-Versuche (im Gegensatz zu bloßer Ablenkung oder bloßem jaja, bloßem Schulterzucken). Solches individuelles oder gesellschaftliches inneres Ziehen ist in der momentanen kulturellen Situation nicht über eine NACH ALLEN REGELN DER KUNST, sprich: eine sauber, am besten in Romanform aberzählte Geschichte, herzustellen. Das mag man bedauern. Aber die Bewohner unseres Sprachraums sind jetzt zu gute Blitzableiter für gut erzählte Geschichten. So steigern diese noch die Apathie.

4a Damit ist nicht behauptet, etwas wie die bewusste Wahl von Stoff sei irrelevant. Das ist sie keineswegs.

4b Wo und ob eigentlich eine Grenze verläuft zwischen individuellem und gesellschaftlichem innerem Ziehen wäre eine weitere zu erkundende Frage.

5 Ein ausgestopfter Auerhahn frisst nicht. Auerhahnliteratur nagt nicht.

5a Auch angenagte Räume können Platz für Freude bieten.

5b Für komplexe Formen von Katharsis. Die nicht reinigt, wegwäscht. Sondern den Unruheherd auf die Handflächen hebt, dort betrachtbar schwelen lässt.

5c In manchen, sagenhaften Fällen sogar für anspruchsvolle Spielarten von Trost.

6 Abgesehen von seiner einbahnartigen Trostlosigkeit ist der Sinn eines ausgestopften Auerhahns in der Welt vielfältig. Zu seinen Sinnaspekten gehören Überwältigungs- und Bemächtigungsästhetik – beides untiefe Abschnürungen vom Rand zügelloser wirkungsästhetischer Fließgewässer. Wer einen ausgestopften Auerhahn bei sich hat, ist sicher: unvorhergesehene, selbständige Bewegungen seitens des Vogels oder der Besucherin sind ausgeschlossen. Das Handwerk hat beide festgeklopft. Scheitern eliminiert.

(7) Nein, handwerkliche Souveränität//Dilettantismus sind auch keine erhellenden Trennlinien im Sprechen über Literatur. Ohne handwerkliches Können gibt es schlicht keine Literatur. Dieses zeigt sich jedoch nicht zwangsläufig in sprachlicher Geschicklichkeit oder gar Eleganz; es zeigt sich in der Wechselwirkung zwischen sprachlicher Form und ästhetischem Gesamtkonzept. Es sollte überflüssig sein, das zu erwähnen.

(7a) Die ästhetische Zielsetzung ist – exakt: ganz in romantischer Tradition! – aus dem jeweiligen Text erst zu ermitteln. Präskriptive Poetik ist eine contradictio in adiecto. Und ein performativer Widerspruch dort, wo sie praktisch versucht wird, ohne sich offen als präskriptive Poetik auszuweisen. Auch diese Erwähnung sollte überflüssig sein.

(7b) Wenn der Kritikerin, dem Kritiker an Texten vor allem erwähnenswert scheint, dass an mancher Stelle treffender formuliert oder die story besser konstruiert hätte werden müssen, könnte die Zeit für die Umschulung zum Tierpräparator oder, sofern vorhanden, für die Inanspruchnahme der Berufsunfähigkeitsversicherung gekommen sein.

8 Der ausgestopfte Vogel eliminiert die Besucherin. Vom fest gestellten, unendlich verlangsamten, damit scheinbar grenzenlosen Tod kann die Lebende sich nicht abwenden. Sie kann nicht anders als sehen. Sie kann nicht anders als alles sehen. Vollständig so wie es gemacht worden ist. Und darüber hinausreichend nichts; weil da nichts mehr ist.

9 Wenn das trocknende Auge durch einen Feststoff ersetzt ist, wird trüber Spiegel zur Funktion auf die alles zurückfällt. Ansonsten: hat es sich ausgefragt! Und ausgedacht.

10 Ausgefragt. Auserzählt. Vollständig ausgemalt: im Malen nach Zahlen-System. Die Leichenflecken der Literatur. So könnte eine Möglichkeit zur Differenzierung im Nachdenken über Literatur der Raum sein, den diese den Lesenden bietet. Ist der Leser, die Leserin im Text möglich? Gedankliche Auseinandersetzung zur Konstituierung des Texts im individuellen (einem, diesem, jetzt!) Leseprozess nötig? Ermöglicht der Text Fragen und Zweifel, die zunächst offen liegen bleiben, so dass die Dimension einer Veränderung über die Zeit hin wenigstens prinzipiell denkbar scheint?

(11) Natürlich müssen für die Auerhahnliteratur obige Fragen mit ‚nein’ oder ‚eher nein’ beantwortet werden. In ihr hat der Lesende eine Funktion wie sie das Publikum etwa für den Fernsehfilm oder das Privatradio erfüllt. In freundlicher Kooperationsbereitschaft bildet er für diese Institutionen bekanntlich die Masse, aus deren Existenz diese ihr eigenes Fortbestehen rechtfertigen. Die Individuen dieser Masse müssen sorgsam vor dem Kontakt mit anderem als ihren im institutionellen Vorgriff definierten Präferenzen geschützt werden. Dazu ist es ratsam, diese Präferenzen möglichst eng zu fassen und den Kopf der Rezipienten im Sog ihrer vermeintlichen, unablässig wiederholten Präferenzen eng abzuschnüren. Den Individuen könnten sonst Existenzen außerhalb aufscheinen. Sie könnten sich auf die Abseite eines Gedankens bewegen. Abhanden kommen wie ein los gelassener Vogel, über der Frage: will ich wirklich damit mein Leben zubringen? Ist da nichts anderes, das ich außerdem aufnehmen könnte?

12 Die vogelfreie Leserin ist in einer Literatur ausgeschlossen, in der die Beziehung zwischen Gegenstand und Sprache fraglos zu nennen ist. Oder verordnete, behauptete Beziehungslosigkeit: wenn keiner am anderen mehr zupft und zweifelt und abhängt von ihm, und jener horcht und auch abhängt und zur Seite springt auch.

13 Diese Fraglosigkeit erstreckt sich auf die bestehenden Bezogenheiten und beobachtbaren Bezugnahmen unter den dargestellten Gegenständen und zwischen den dargestellten Gegenständen, ihrer Sprache und der Welt, der sie entstammen oder gerade nicht entstammen. Sie ist plump und gnadenlos. Indem sie zweifelhafte, unsichere, aber dadurch lange nicht weniger wirkliche Bezüglichkeiten unter Feststehendem verschwinden lässt.

14 Diese gnadenlose Fraglosigkeit bemächtigt sich zuerst der Perspektive. Sie höhlt diese so aus, dass sie eigentlich perspektivlos zu nennen ist. Auf dass alles Greifbare hinein gestopft werde, um einen aktiven Vorstoß der Lesenden in Unbestimmtes zu verhindern. Im Gegensatz hierzu resultiert eine exakt definierte Perspektive in vergleichsweise klaren Begrenzungen auf Seiten der Sprache mit ihren Gegenständen und Nicht-Gegenständen. Diese Grenzen können direkt durch das Sprechen und seine Gegenstände schneiden. Begrenztes hat es schwerer als Grenzenloses beim Eliminieren.

15 Es ist nicht gesagt, dass es bereits die nötigen Grenzen in den Raum brennt, wenn man den Heizlüfter nur nah genug an den Auerhahn heranrückt, so dass dieser in Flammen aufgeht.

16 Doch auch eine einfache Frage wie: hat sich denn der Autor, die Autorin, beim Schreiben dieses Texts, in dem alles abzudichten war, nicht zu Tode gelangweilt? könnte womöglich einen guten Indikator für Auerhahnliteratur abgeben. Aber vielleicht nur für AutorInnen und andere Vogelfreie?

|||

ANJA UTLER : AUSGEÜBT . EINE KURSKORREKTUR ( S. 60 – 67 )

00 Titel

60

61

62

63

64

65

66

67

|||

OUT NOW: Digitale Literaturvermittlung: Praxis, Forschung und Archivierung

||| TAGUNG & DOKUMENTATION | INHALTSVERZEICHNIS „DIGITALE LITERATURVERMITTLUNG . PRAXIS , FORSCHUNG , ARCHIVIERUNG“ | RELATED

czz cover scan rahmen 450

TAGUNG & DOKUMENTATION

Fast auf den Tag genau vor einem Jahr fanden an der Universität sowie im Literaturhaus Innsbruck die hochrangig besetzte Tagung “Digitale Literaturvermittlung : Praxis , Forschung und Archivierung” sowie die Bloglesung „Andere ( digitale ) Welten“ statt . Im Rahmen werden im Rahmen einer Kooperation das FWF- Projekts DILIMAG ( Innsbrucker Zeitungsarchiv/IZA u. Abteilung für Digitalisierung/DEA ) mit den HerausgeberInnen des Blogportals litblogs.net ( Christiane Zintzen und Hartmut Abendschein ) wurde die Chance wahrgenommen , auf praktischer , wissenschaftlicher und archivalischer Basis gesammelte Erfahrungen im Prozess der Literaturvermittlung im Internet auszutauschen, um damit Anregungen und Verbesserungsvorschläge für laufende und zukünftige Projekte zu gewinnen .

Die Bloglesung – mit den AutorInnen : Alban Nikolai Herbst ( Berlin ) . Andreas Louis Seyerlein ( Frankfurt , München ) , Hartmut Abendschein ( Bern ) und Christiane Zintzen ( Wien ) – zeigte auf’s Schönste die Diversität literarischer Blogs in deren konkreten Ausgestaltungen .

Im dem von Renate Giacomuzzi , Stefan Neuhaus und Christiane Zintzen edierten Tagungsband „Digitale Literaturvermittlung . Praxis – Forschung – Archivierung“ ( Studienverlag Innsbruck 2010 ) , den die HerausgeberInnen als praktikablen Reader zu Theorie und Praxis von Netzliteratur und deren verschiedenen thematischen Clustern konzipierten , erscheinen demnach einerseits die wissenschaftlichen und theoretischen Aspekte von Netzkunst und Webliteratur ( von der De- Instutionalisierung der Literaturkritik durch Laien- „Meinungen“ bis hin zu Überlegungen zur Langzeitarchivierung und semantischer Indexierung ) , anderseits konkrete künstlerische Beiträge der TeilnehmerInnen an der Bloglesung : In ausgewählten Texten und Screenshots stellen sich Alban Nikolai Herbsts „Die Dschungel. Anderswelt“ , Andreas Louis Seyerleins „particles“ , Hartmut Abendscheins „taberna kritika – kleine formen“ und Christiane Zintzens „in|ad|ae|qu|at“ vor .

In Freude der HerausgeberInnen am Erreichten mischt sich – was die Grafik des Bandes anbelangt – mancher Wermutstropfen : speziell im Seitenumbruch der „künstlerischen Beiträge“ hätten zwei , drei Leerseiten den Clash der differenten Ästhetiken gemildert . Allerdings gestaltete sich die Kommunikation mit dem Verlag mitunter ein wenig harzig . Und schliesslich stellt auch dieser Band keine Ausnahme von der Regel dar , dass man Fehler grundsätzlich erst im gedruckten Werk erkennt : Alea jacta sunt .

|||

INHALTSVERZEICHNIS

Digitale Literaturvermittlung . Praxis – Forschung – Archivierung , hg. von Renate Giacomuzzi , Stefan Neuhaus und Christiane Zintzen ( = Angewandte Literaturwissenschaft , Band 10 ) , Studienverlag Innsbruck 2010 , 284 S. ( Amazon )

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Renate Giacomuzzi, Stefan Neuhaus, Christiane Zintzen: Einleitung

Literaturvermittlung und Literaturkritik

Michael Klein: Die Renaissance der Literaturkritik in den 1960er Jahren
Thomas Anz: Kontinuitäten und Veränderungen der Literaturkritik in Zeiten des Internets – Fünf Thesen und einige Bedenken
Stefan Neuhaus: Von Emphatikern, Gnostikern, Zombies und Rettern: Zur aktuellen Situation der Literaturkritik

Archivierung von Netzliteratur- und kunst: theoretische und ästhetische Positionen

Beat Suter: Ab ins Archiv! Nur wie? Zu Sinn und Möglichkeit der Erhaltung und Archivierung von elektronischer Literatur
Peter Gendolla „Verweile doch…“ Über flüchtige Momente in der Netzliteratur
Jörgen Schäfer: Verteiltes literarisches Handeln. Vorüberlegungen zu einer Theorie der Literatur in computerbasierten Medien
Gunter Reisinger: Zum Sinn und Unsinn der Archivierung netzbasierter Kunst
Florian Hartling: „not in archive“. Zum Internet als Dispositiv der Archivierung

Langzeitarchivierung von Netzpublikationen aus praktischer Sicht

Karin Schmidgall, Jochen Walter (Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs Marbach): Literatur im Netz – Sammeln, Erschließen, Archivieren. Praxisbericht über eine neue Herausforderung für die klassische Bibliothek
Renate Giacomuzzi, Elisabeth Sporer: DILIMAG – ein Projekt geht online. Erfahrungsbericht zu Auswahl und Archivierung von digitalen Literaturmagazinen
Karl Petermichl: „Digital Object Identifier“: Konkrete Abbildung von Metadatenstrukturen auf Netzpublikationen

Literaturproduktion im Internet

Christiane Zintzen: in|ad|ae|qu|at – Das Weblog als multimediale Anthologie
Hartmut Abendschein: Hybride Projekte – Schreiben, Vermitteln, Verlegen in der Zeit medialer Übergänge
Thomas Schröder und Andreas Wiesinger: Online-Zeitung im Wandel. Überlegungen zur Neudefinition eines nicht mehr neuen Mediums

Andere (digitale) Welten

Alban Nikolai Herbst: Die Dschungel. Anderswelt
Hartmut Abendschein: taberna kritika – kleine formen
Andreas Louis Seyerlein: particles | birdy | Die Amerikanerin
Christiane Zintzen: in|ad|ae|qu|at

Kurzbiographien

|||

RELATED

|||

St. Galler Rheintal

Im St. Galler Rheintal, dem Chancental, das (laut fündig gewordener Köpfe) Chancen auf Leben und Arbeiten zu bieten als seine Kernaussage betrachtet. Das Tal wird dominiert von schlichten langgestreckten kastenförmigen Industriebauten, auch wohnliche Ecken existieren: begrenzt. Altersheime kennzeichnen dann deren Außenkoordinaten, flankiert von im lokalen Währungsklima behutsam heranwachsenden ALDI Suisse-Märkten, jeglicher Hektik bar. Eine Gegend für Köpfe, in denen sich Ideen in die Länge und die Höhe, aber weniger in die Breite ziehen müssen, um zu einer der Gegend (Anzeichen von Wohlstand, gerade so auszuhalten) abgerungenen Zähigkeit als Voraussetzung zur Entfaltung zu gelangen. Der taleigene Grundton, ein bereits mehrfach modernisierter Kammerton A, schwingt in freien Wellenbewegungen von der Autobahn in alle Richtungen und klettert alsbald die Höhenzüge empor. Ich befinde mich auf der Suche nach dem efemeren Melander, jenem (mittlerweile wohl legendär zu nennenden) Rheinfisch, der den Rhein (binnen seiner rund zweijährigen irdischen Existenz, welche vorderhand in eine – bisher kaum dokumentierte – evolutionäre Sackgasse führte) nie zu Gesicht bekam. Hier wurde er erschaffen und in Serie hergestellt. Doch die Melanderfabrik im Oberrieter Industriegebiet scheint wie vom Erdboden verschluckt. Stattdessen finden sich zu codierten Plänen ausgelegte, melander- und axolotlfarbene, von hauchdünnen Säcklein beschwerte Bodenfolien, unter denen (arglos) neue Ungeheuerlichkeiten zu brüten/keimen scheinen. Aus frühjahrsgrünen Bünten grüßt Wiesenschaumkraut. Manch von den Anwohnern am liebsten ignorierter Rheinzufluß kämpft sich durch den Boden seinem Ziel entgegen. Die meiste Natur scheint auf simpel-seichte Weise geebnet. Es herrscht ein Versuchsklima, kommt es mir vor, das gesamte St. Galler Rheintal liest sich leichthin/aus der herrschenden Luft gegriffen als experimentelle Biosfäre für ein weitgehend störungsfreies Ableisten von Lebenszeit in einer von der Weltöffentlichkeit nicht übertrieben beachteten Provinz, einem zufällig passenden Platz am Steiß der Schweiz, wo sich dann eben Elektroautos herstellen lassen und Monsterfische, wo die Banken nach emsigen Insekten benamst werden und Schlachtbetriebe „ProRind“, wodurch eine Ästhetik ensteht, die sich jener einer gängigen Schneekugel zuschreiben ließe, welche zugleich als lebenserhaltender Tropf all diejenigen versorgt, die sie mit ihrem Gestaltungswillen so maßgeblich speisen. Das klingt fürchterlich normal und ist es auch, in einem Übermaße, daß einen die Normalität hier anspringen will, kraft allen ihr innewohnenden Wahnsinns, der nichts weiter ist als der Wahnsinn des fallenden Kalenderblatts (darauf ein Sinnspruch, der in sich zerstiebt), das aus dem Augenwinkel verschwindet, während sich vor uns der Alltag aufbaut mit seinem Baseballschläger und uns antreibt zu unsern Verhaltensweisen, kaum getätigt, schon vergessen, falls überhaupt je ernsthaft registriert. (Der Fluß, der alles fortschwemmt, ist an dieser Stelle selbstverständlich ein Kanal.)