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WER SPRICHT? MELUSINE, ARMGARD UND ICH

„Wir kommen da eben von Ihrem Stechlin her, von Ihrem See, dem Besten, was Sie hier haben. Ich habe mich dagegen gewehrt, als das Eis aufgeschlagen werden sollte, denn alles Eingreifen oder auch nur Einblicken in das, was sich verbirgt, erschreckt mich. Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben.“

Melusine Barby-Ghiberti in Theodor Fontanes „Der Stechlin“


Autorschaft im literarischen Blog
Melusine bin ich nicht. Den Namen der Gräfin Barby-Ghiberti, die Theodor Fontane sich erfand, habe ich mir vom Stechlinsee geborgt, an dem ich im Sommer 2009 stand und meinte, der spräche zu mir, werde für mich lebendig, nicht für die Ereignisse draußen in der Welt, für kein Rumoren von historischer Bedeutung, sondern allein für mich in meiner Verzweiflung über den scheinbar endgültigen Stillstand, ein Fortleben auf die geglückte und vergeudete  Weise. Daraus rüttelte der See in seiner stillen Schönheit mich auf. Das brauchte es wohl, diese provinzielle Verwunschenheit, um mich im Inneren zu berühren. Auf dem Heimweg von dort entstand die Konstruktion einer Roman-Erzählung: das töricht-frivole Melusinen-Alter Ego, Mutter-Drachin eigentlich, doch von Fontane verwandelt in eine jungfräuliche Witwe, Armgard/Anne, die Andere, die sich einfügt ins reproduzierende Leben, treu, häuslich und geborgen, das Doppelgesicht einer Frau, die sich verleugnet und belügt, und dazu die Stimmen der Männer, die der See kennt und spricht. Eine Ehe-Geschichte, ein historischer Roman ins neue Deutschland, zurück geschrieben dahin, woher wir kamen. Wir? Ich ahnte in den kommenden Wochen, wie gefährlich nah mir dies Erzählen rücken würde.

So jedenfalls fing das an. Wenige Wochen zuvor hatte ich mir das MacBook gekauft. Es brauchte noch einige Zeit, in der das in mir wühlte, lange Spaziergänge, bei denen im Kopf  Anfangssätze entstanden. Schließlich traf ich den BoyChildMan, einen jungen Mann, der anders, aber gleichermaßen tief verzweifelt war. Ich fühlte mich verstanden, was eine Illusion war und entzündete – wie Raketen und  Wunden. Erst danach begann ich aufzuschreiben. Ich wagte nicht, das abzuspeichern auf der Festplatte, so entblößend schien mir, was ich da schrieb. Das war ich nicht und sollte auch keiner das glauben, der auf meinem Mac stöberte. So richtete ich mir ein Blog ein: „MelusinefeaturingArmgard“. Das war im Januar 2010 und einen zweiten „Aus dem Gleis“ (So hießen die „Gleisbauarbeiten“ zuerst). Im Februar stellte ich die ersten Texte ein.  Eine googlemail-Adresse mit geheimem Passwort, mein Facebook-Account, ein Keyword, um den Mac hochzufahren. Mein Doppelleben begann. Keinen der Texte, die ich zu Anfang schrieb, speicherte ich auf der Festplatte oder einem Stick. Alles war nur im Netz. Das bin ich gar nicht. Das ist der Avatar: Melusine/Armgard.
Zu Anfang richtete sich mein Schreiben nicht an Leser:innen. Ich wählte das Netz, um mich zu verstecken. Das Netz als Meer, in dem keiner mich erkennen und finden konnte. Aber: Ist das wirklich wahr? Wer machte sich öffentlich? Wer verschwand? Melusine. Ich verwendete den Namen, den ich mir für die Erzählung angeeignet hatte, als Kommentatorin im Blog von Alban Nikolai Herbst. Der antwortete darauf, weil er sich gekränkt fühlte durch das Wort „Verrat“. Ein Briefwechsel begann, durch den meine Melusinen-Existenz im Netz lebendig wurde (Teil 12, 3). Wer sprach in diesen Briefen? „Ich“ und Sprech-Figur „Melusine“ begannen sich zu überschneiden. Dennoch blieb mir – oder bildete ich mir ein – die Melusine fiktiv und der Autor, der mit ihr schrieb, ebenfalls.
Das war ein Missverständnis. Ich lernte dazu. Der Avatar im Netz und „Ich“, die Andere, die sich in die Finger schneidet, sind nicht identisch, aber sie hängen aneinander wie Siamesische Zwillinge. Was die Melusine erlebt, kann „die Andere“ zittern lassen und umgekehrt. In meinem Fall wurden die Verhältnisse kompliziert. „Ich“ war fünf (und mehr): MelusineB (die Kommentatorin), Melusine und Armgard Barby (die Erzählerinnen des Romans), das „Ich“ der Tagebuch-Einträge, der „Auto.Logik.Lüge.Libido“- Geschichten und „Ich“/J.S.P., die in der Nähe von Frankfurt lebt mit ihrer Familie, berufstätig ist, Indie Pop hört und am liebsten Röcke trägt. Multiple Persönlichkeitsspaltung ist eine Krankheit. Nähe und Ferne, Authentizität und Fiktionalität, Sein und Schein – alles Lüge?
Noch einmal: Wer macht sich öffentlich? Ich. Was ich von mir zeige, bin ich (nicht). Es ist, was ich von mir zeigen kann und will (und mehr: was eine/r daraus liest). Es ist eine Form der Selbstdarstellung und zugleich der Selbst-Entäußerung. Ich ist eine Andere. Das ist nicht neu. Dem „literarischen Ich“ ist die „spezifische Dialektik von Innerlichkeit und Öffentlichkeit“ (Habermas) spiegelverkehrt eingeschrieben. Das Recht auf Privatsphäre, das der Bürger sich öffentlich erkämpfte, wendete der Literat in das Recht auf Veröffentlichung der Intimität. Und umgekehrt: Wo der Bürger öffentlich als er selbst für seine Rechte kämpfte, veröffentlichte sich der Literat als ein Anderer. Das war und blieb ein Paradox: die Identität ohne Passport, das „Ich“ ohne feste Adresse, die kontrafaktische künstlerische Schöpfung bestand auf dem Anspruch wirklicher als die Wirklichkeit zu sein. Der Genie-Kult ist die abscheulichste Ausprägung dieses Wahns. Ohne dies ins wahnhaft gesteigerte Selbstbewusstsein des Künstlers (hinter dem immer ein gleich großer wahnhaft gesteigerter Selbstzweifel lauert) ginge es aber auch nicht.
Diese bürgerliche Konzeption von Öffentlichkeit wird durchs Internet endgültig erschüttert. Selbst-Entäußerung und –Inszenierung werden zu Massenphänomenen. Jede/r kann, will und wird Autor/in (seiner/ihrer selbst) sein. Die „intime Gesellschaft“, deren Heraufkunft Richard Sennet schon Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts kommen sah, ist durch Facebook, Twitter und Bloggen Realität geworden. „Es ist mir egal“, sagte eine Freundin gestern, „wie ich im Netz bin, Hauptsache ich bin drin. Wer nicht drin ist, lebt nicht.“  Das ist vielleicht übertrieben. Wir müssen immer noch atmen und essen, außerhalb des Netzes. Vielen, vor allem Älteren, ist die Entwicklung ein Gräuel. Sie fürchten den um sich greifenden Narzissmus und erfahren die Aufhebung der Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit  als „Terror der Intimität“.
Man sollte beim Klagen über diesen „Niedergang“ jedoch nie vergessen, dass in bürgerlicher Gesellschaft Teilhabe bzw. Ausschluss von Öffentlichkeit stets auch ein Machtinstrument war. Im Kapitalismus hat nichts „Privates“ je so viel Schutz genossen wie das Bankgeheimnis. Daher: Eine Praxis, die hiervon den Schleier zieht und keine Heimlichkeiten mehr respektiert, die es auch denen ermöglicht, die bisher öffentlich nicht zu Wort kamen, sich und ihre Anliegen zu veröffentlichen, ist unbedingt im Interesse des Gemeinwohls.
Literarische Öffentlichkeit aber muss erneut den Auftrag annehmen, den sich bildenden Realitäten spiegelverkehrt zu begegnen. Wenn das Intime öffentlich wird, gilt es Intimität zu verrätseln, sich den Durch- und Draufsichten zu entziehen und dem Verlangen nach Authentizität durch Vervielfältigung zu begegnen. Ich ist eine Andere. Das ist zu wenig. Ich ist viele Andere. „Ich“ bleibt (sich) treu, indem es sich verschwendet. Ich lüge nicht. Aber ich verschweige viel. Und erfinde alles. Ich lege das Missverständnis nahe, von dem ich zehre. Krypto-phantastischer Realismus. Kein Algorithmus kann das. Sie können mir vertrauen, Leser:innen. Nicht weil ich die Wahrheit sage, sondern weil ich an mir (ver-)zweifele.

Inhalt 02/2009

Die Lesezeichen-Ausgabe 02/2009 erschien am 15. Juli 2009.

In dieser Ausgabe:


Blauhäutige Kinder und Lufttaufen, Weinberge und Rieslingsreben, Charlotte Grasnick, Gottlieb Siegmund Corvinus, staunenswerte Anfänge, das lyrische Nicht-Ich, Sukkulenten und Grauherden, das bricolierte Ich, Richard Obermayr, falsche Orte und Farben, zeitloses Grauen, Fährengefährten uvm.

INHALT:

Das „Spiel“ mit der Vielfalt von Avataren.

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (112).

Ist nur dann sinnvoll, wenn Identität zugrundeliegt, also die Avatare nicht als Hecke verwendet werden, hinter die man sich duckt, um aus dem Hinterhalt Schlammbatzen zu werfen. Sondern man muß die Avatare fühlen, muß sie s e i n, muß ein Gefühl für ihre Persönlichkeit, auch für ihre Geschichte haben, die man darum k e n n e n muß. Dann werden aus Avataren Personen, literarische Personen. Dies verbindet das Literarische Bloggen sowohl mit Romanen als auch mit >>>> Rollenspielen, die imgrunde realisierte Romane s i n d. Bisweilen werden die physopsychischen Grenzen des „autonomen“ Subjektes dabei überschritten, so daß manchen Spielern nicht mehr bewußt ist, was (wer) sie „in Wirklichkeit“ sind. Nun ist aber diese Wirklichkeit durchlässig, >>>> Wie wirklich ist die Wirklichkeit? heißt ein Buch Paul Watzlawiks, das mich als jungen Mann ausgesprochen geprägt hat und am Anfang meiner Poetik der Desinformationen stand: >>>> Die Verwirrung des Gemüts (1983). Will sagen: das mittelalterliche Turmfräulein, das die Phantasie einer jungen Rollenspielerin konzstruiert hat, kann m e h r Wahrheit ausdrücken als ihre „realistische“ Existenz als MTA in einem Ärztehaus. Es kann ihr eine Reifung erlauben, die der auf Entfremdung bauende praktische Beruf verhindern, wegdrücken, abschleifen würde. Der literarische Spiegel hiervon k a n n der Avatar im Netz sein.
Es ist insgesamt zu bezweifeln, ob es eine einheitliche Identät von Menschen überhaupt gibt, ja je gab, ob nicht Spaltungen sogar lebensnotwendig sind. So daß man sich weiter fragen muß, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine einheitliche Identität zu verlangen, bzw. sie herzustellen. Wir erleben auch Welt als fragmentierte, und zwar in dem Moment schon, indem wir über unsere direkten Zusammenhänge, die materialistisch gefaßt werden können, hinausblicken. Hier gilt Lévi-Strauss‘ bricolage: das Ich selbst ist bricoliert. Diesem ein einheitliches Ich entgegenzustellen, wäre vergeblich Illusion. Vielmehr ist die Fragmentierung des Ichs zu ergreifen, wie die marxistische Forderung umzusetzen, endlich über die Produktionsmittel selbst zu verfügen. Ich w i l l mich als fragmentierten: b i n Herbst u n d Ribbentrop u n d Daniello u n d Deters u n d Kerbmann u n d Bertrecht u n d Borkenbrod u n d (sogar!) Niamh of the Golden Hair. Ich bin es je in verschiedener Hinsicht. Daß es zwischen allen diesen ein Verbindendes gibt, ist außer Zweifel, allerdings ist dieses Verbindende selber ungefähr; man mag das mit der Unmöglichkeit vergleichen, zugleich den genauen Standort und die Zeit anzugeben, an der ein Elektron wann wo ist.

Das Lesezeichen 01/2009 ist da!

Die Lesezeichen-Ausgabe 01/2009 erschien am 15. April 2009.

In dieser Ausgabe:

Büchermacher und Märkte, Fallbeispiele: Mörike, Münster, Lenz und Lafleur, Walle Sayer am Wegrand, Ehegespräche, Davos und Empirie, zwei Mädchen exakt gleichen Alters, ein Soundcheck der Stille, ungesühnte Taten, der Lotse Bernardo Arbitro, spätantikes Modulbauen, Mikromedien und Avatare, Bäume und ihre Bewohner, unendlicher Durst, Traum und Musik uvm.

ZUM INHALT …

Den kompletten Jahrgang 2008 der litblogs.net-Lesezeichen gibt es übrigens als download- und ausdruckbaren Archivband (Nurtext/PDF) im feedjournal-format.

Inhalt 01/2009

Die Lesezeichen-Ausgabe 01/2009 erschien am 15. April 2009.

In dieser Ausgabe:


Büchermacher und Märkte, Fallbeispiele: Mörike, Münster, Lenz und Lafleur, Walle Sayer am Wegrand, Ehegespräche, Davos und Empirie, zwei Mädchen exakt gleichen Alters, ein Soundcheck der Stille, ungesühnte Taten, der Lotse Bernardo Arbitro, spätantikes Modulbauen, Mikromedien und Avatare, Bäume und ihre Bewohner, unendlicher Durst, Traum und Musik uvm.

INHALT:

Den kompletten Jahrgang 2008 der litblogs.net-Lesezeichen gibt es übrigens als download- und ausdruckbaren Archivband (Nurtext/PDF) im feedjournal-format.

Berliner Gazette : Umfrage „Autorschaft im Netz“

||| BERLINER GAZETTE : UMFRAGE ZUR “AUTORSCHAFT IM NETZ” | IN|AD|AE|QU|AT : EINE MULTIMEDIALE ANTHOLOGIE | GÄSTE – AUTOREN – FORMATE | TEXT IM NETZ – COPYRIGHT – INTERNATIONALE REGISTRIERUNG | MÖGLICHMACHEN IM NETZ – NAME ALS MARKE ≠ IDENTITÄT – “ICH” UND “AVATAR” | RELATED | KLANGAPPARAT

Berliner Gatette header

BERLINER GAZETTE : UMFRAGE ZUR “AUTORSCHAFT IM NETZ”

Für das Netz- FeuilletonBerliner Gazette” führt Herausgeberin Magdalena Taube langfristig eine Umfrage durch zum Thema “Autorschaft im Netz ” . Bisher äusserten sich :

À la longue entsteht auf diese Weise ein polyperspektivisches Kompendium zum dem , was man als spezifisch für das Publizieren im Netz auffassen mag .

Nun ist in|ad|ae|qu|at an der Reihe mit einer Selbstdefinition : Eine multimediale Anthologie – Was Sie schon immer über uns wissen wollten . Oder auch nicht .

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IN|AD|AE|QU|AT : EINE MULTIMEDIALE ANTHOLOGIE

czz icon inadaequat 78 78Der Name “in|ad|ae|qu|at” rührt aus der ersten , etwa drei Monate währenden Beta- Phase des Experiments “Weblog” her : Am Anfang stand die Suche nach Titel resp. nach einem Domainnamen , welcher die österreichische Länderkennung “.at” produktiv integriert . Allerdings resultierten aus dem ursprünglichen Umlaut von “inadäqu.at” derartig verzerrte URL- Darstellungen , dass wir uns für die auch rhythmisch geeignetere “ae”- Form entschieden , welche überdies ermöglichte , die Trennstriche ( = als symbolisches Äquivalent von Bruchlinien ) einzufügen . Darüber hinaus lag uns die Umlagerung von der österreichisch- spezifischen Domain auf das neutralere “.org” insofern am Herzen , weil die Betreiberin des Weblogs zeit ihres Lebens nie in einem Staat gelebt hat , in welchem sie etwa auch wahlberechtigt gewesen wäre . Von daher begrüssen wir die Möglichkeit , per Domainkennung “.org” den “nationalen Stempel” einer Webpublikation zu umgehen .

Die Bezeichnung “in|ad|ae|qu|at” repräsentiert eine grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber Mainstreams aller Art . Wie wohl seit dem 18. Lebensjahr parallel zum Studium in Print und Radio für “hochkulturelle” Medien arbeitend , liefen “gegenkulturelle” Projekte ( Fanzine , Off- Theater, Independent- Musikproduktion ) stets nebenher . Die Erfahrung , stets zwischen alle Stühle zu sitzen zu kommen , ist dem Projekt in|ad|ae|qu|at eingeschrieben : Das geringe symbolische Kapital , welches einem transdisziplinären Unterfangen jenseits der starren Kategorien von “Literatur” | “Popkultur” | “Netzmusik” | “Kunst” | “Fotografie” etc. konzediert wird , nehmen wir dabei bewusst in Kauf . Im Gegenteil unterlaufen wir solcherart bestehende Konkurrenzverhältnisse der einzelnen Sparten .

Wenn gleichwohl die “écriture” im Mittelpunkt des täglichen Publizierens steht , so wird das Blog in keiner Weise als persönliches Journal geführt , sondern orientiert sich “thematisch” an Literatur und deren “Betrieb” , an Medienbeobachtung und nicht zuletzt an den konkreten Texten anderer Autorinnen und Autoren . Demnach wäre in|ad|ae|qu|at eher als Literaturzeitschrift im Netz aufzufassen , mit dem Unterschied freilich , dass die Möglichkeiten des Zusammenführens verschiedener Medien ( Video , Audio , Fotografie und Grafik ) weit über den Horizont gedruckter Magazine hinausreichen .

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GÄSTE | AUTOREN | FORMATE

czz icon inadaequat 78 78Für den “Salon Littéraire” spreche ich gezielt AutorInnen oder bildende KünstlerInnen an , Werke auf in|ad|ae|qu|at zu publizieren . Auf diese Weise wächst Sonntag für Sonntag eine multimediale Anthologie heran . Da von Seiten einiger Künstler auch Interesse an essayistischen Formaten ventiliert wurde , entstand der “espace d’essays” , welcher Gastbeiträge und einige meiner eigenen kulturpublizistischen Arbeiten versammelt . Nicht zuletzt sei die in loser Folge gesendete Rubrik “tableau de texte” genannt , wo Neuerscheinungen in kommentierten Vorabdrucken präsentiert werden .

Wiewohl bei der “Anbahnung” von Gasttexten keine geringe redaktionelle Arbeit anfällt , versteht sich in|ad|ae|qu|at nicht als hierarchisch mit “Materialien” umspringende “Redaktion”, sondern geniesst das Privileg und die Lust des “Möglichmachens” . Alle drei Formate ergeben sich logisch aus den vitalen Kontakten , welche aus zehn Jahren experimenteller Radioarbeit mit Künstlern (ORF- Reihe “Literatur als Radiokunst” ) ebenso resultieren wie aus der vorangegangenen , tagtäglichen Zusammenarbeit mit Schriftstellerinnen und Schriftstellerin in einem Wiener Literaturhaus . Beides hat mich ( anders als die Literaturkritik traditioneller Ausrichtung für NZZ und LITERATUREN ) zu einer ergebnisorientierten Haltung hinsichtlich der Präsentation , Editierung und Inszenierung von literarischen Texten geführt . Dabei geht es mitnichten um eventuelle Befindlichkeiten und | oder Meinungen der Beihelfer , sondern alleine darum , das betreffende Werk | die betreffenden Schöpfer bestmöglich zur Wirkung zu bringen .

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TEXT IM NETZ | COPYRIGHT | INTERNATIONALE REGISTRIERUNG

czz icon inadaequat 78 78Da “Text im Netz” – sei dies nun ein recherchierter Artikel oder ein literarisches Werk – allgemein als frei verfügbares Material angesehen wird , werden spezifische Publikationsorte und -daten ebenso marginal wahrgenommen wie die Autorschaft selbst . Um einer solchen Perzeption entgegen zu wirken , ist es dem Projekt in|ad|ae|qu|at darum zu tun, die Persönlichkeiten der beitragenden Autorinnen und Autoren durch die Anlage individueller Autorenseiten zu hervorzuheben. Die Ratio dabei war zunächst , den betreffenden Künstlern statt eines pekuniären Honorars ( welches bei österreichischen Literaturzeitschriften eher unüblich ist ) quasi als konkrete “Gegenleistung” je eine eigene AutorInnenseite zu gestalten . Diese wird – abgesehen von einigen formalen Vorgaben – strikt nach den Angaben der Künstler gestaltet und laufend aufdatiert .

Damit sind für einige der in|ad|ae|qu|at- AutorInnen veritable Referenzseiten entstanden , auf welche diese gerne in anderen Kontexten verweisen . Die permanenten Updates hinsichtlich Publikationen , Ausstellungen etc. liefern teils die Literaturschaffenden selbst , werden teils von uns anhand der Verlagsvorschauen ergänzt . Grosso modo garantieren diese “lebendigen” Seiten auch einen über den Einzelbeitrag hinausgehenden vitalen und bleibenden Kontakt zu | mit den AutorInnen . An diesem Punkt lässt sich den weniger netz- affinen Schriftstellern vielleicht sogar eher kommunizieren , dass in|ad|ae|qu|at nicht einfach – wie es umgangssprachlich heisst – “nur Texte ins Netz stellt” , sondern diese pflegt und mit einer Reihe normierter Metadaten versieht .

Insgesamt wurden 34 solcher Autorenseiten erstellt und 77 Ausgaben des “Salon Littéraire” publiziert – zusammen mit den bio- bibliographischen Seiten schon so etwas wie ein Baustein zu einem kleinen Lexikon aktueller Literatur .

Meine Arbeit besteht in der täglichen Fortschrift des Weblogs , im Möglichmachen des Netz- Publizierens von Autorinnen und Autoren , in sorglicher Wartung der biographischen Seiten sowie der Dokumentationen . All dies wäre ohne ein konsequentes Indexieren hinfällig , da erst die Beschlagwortung ( Metadaten ) eine gute Auffindbarkeit der Materialien im Netz zu gewährleisten vermag .

Es gilt mithin , die einzelne Webpublikation ( etwa der Einzeltext eines “Salon Littéraire” ) nicht “nur” in Form einer URL auszuweisen , sondern für jeden einzelnen Text- Ton- Bild- Beitrag einen persistenten “Unique Identidfier” zu generieren . Dieser bleibt unabhängig vom momentanen Speicherort ( URL ) auf Dauer dem betreffenden Werk zugeordnet und ist Element einer internationalen Datenbank .

Vermittels Anmeldung bei der Stiftung International DOI- Foundation” ( pdf ) ist es möglich , jeden “Beitrag” mit einem ( der ISBN- Nummer im Buchwesen vergleichbaren ) dauerhaften Zifferncode ( DOI = “Digital Object Identiffier” ) international zu registrieren – ein Standard , auf welchen sich kürzlich der “Börsenverein des Deutschen Buchhandels” und die Europäischen Bibliotheken geeinigt haben . Das System der “Digital Objekt Identifier” wurde bislang nur von grossen Verlagskonzernen wie Springer oder massgeblichen wissenschaftlichen Periodika ( “nature” ) genutzt und bildet ein international anerkanntes Regelwerk für Zitatbezüge und Rechtevokabular .

Im praktischen Umgang mit den Datenfeldern und Nomenklaturen von DOI hat sich zunächst gezeigt , dass die Auslegung und Behandlung trotz offenem Basiskonzept gänzlich auf die Bedürfnisse von traditionellen Grossverlagen und deren gedruckten Publikationen zugeschnitten war . Das System DOI wurde zum Normieren von Firmendatenbanken und zur eventuellen Zweitverwertung als “Digitaler Download” erst nach der Druckstufe genutzt . Demgemäss stand auch kein Datenbank- Client für die individuelle Nutzung und keine praktikable Eingabemaske für die Standardvariablen aus den Metadaten-Wörterbüchern zu Verfügung .

in|ad|ae|qu|at konnte hier im direkten Dialog mit dem Registrar “mEDRA” wesentliche Klarstellungen herbeiführen , die nun auch anderen “Non- Profit”- Projekten sowie einzelnen Autorinnen und Autoren dienlich sein können :

  • Programmierung eines Datenbank-Client für das System DOI sowie kostenfreie Bereitstellung
  • Höhere Gewichtung des Namens von Autor und Autorin im Gegensatz zum Namen des “Verlags” bei der visuellen Repräsentation der DOI- Abfragen
  • Änderung der deutschen Übersetzung des englischen “Work” vom deutschen “Buch” in das deutsche Wort “Werk” in der offiziellen DOI- Nomenklatur im Sinne einer Öffnung in Richtung allgemeiner Web- Formate
  • Umdefinition bisher ausschliesslich für Druckwerke genutzter Begriffe auf die Blog- Semantik:
    Statische Beiträge werden als “Monographic Product” registriert , Blog- Beiträge und Autorenseiten als “Serial Article Version” , Autoren – Buchstaben als “Serial Issue Version” , Basis-Seiten als “Serial Title Version” .

Wesentlich für die semantische Vernetzung im Web und die Auffindbarkeit mittels Suchmaschinen sind auch die für jeden Artikel und jedes Werk einzeln zugefügten “tags” ( “Schlagwörter” ) . 6.858 unterschiedliche Begriffe sind über 19.048 Relationen mit den Artikeln und Werken verknüpft , diese mühevolle Kleinarbeit wird durch einen hohen Stellenwert bei den Google- Suchabfragen und einem respektablen “Pagerank” von 5 belohnt . Nur wenige werbefreie deutschsprachige Web- Projekte im Spezialbereich Kunst und Kultur erreichen diesen Status bei Google .

in|ad|ae|qu|at ist bislang das einzige deutschsprachige Mikromedium , welches sich der Indexierungsmethode und der Copyright- Registrierung per DOI bedient . in|ad|ae|qu|at versteht das Publizieren im Web nicht etwa als Sekundäres , Abgeleitetes , sondern als distinkte Kunstform und Wertschöpfung mit selbständigem Werkcharakter .

Hier gilt es noch viele Missverständnisse auszuräumen und Überzeugungsarbeit zu leisten . Dass Letztere nicht durch langwierige Theorie , sondern durch konkretes Ins- Werk- Setzen zu leisten ist , mögen die 700 Einzeleinträge , 285 statischen Seiten und 6.858 differenten Schlagwörtern belegen .

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MÖGLICHMACHEN IM NETZ | NAME ALS MARKE ≠ IDENTITÄT | “ICH” UND “AVATAR”

czz icon inadaequat 78 78Aus dem Dargelegten geht hervor , dass in|ad|ae|qu|at “Publizieren im Netz” zunächst auf das Möglichmachen von Kunstwerken anderer Kunst- und Kulturschaffender versteht : Somit kann in|ad|ae|qu|at je nach Bedarf als Publikationsort , als Galerie oder auch als akustischer Aufführungsraum in Erscheinung treten . Wichtig ist mir , zu betonen , dass dieser (derzeit von etwa 20.000 Absolute Unique Visitors | Monat aufgesuchte ) Raum in gutem Kontakt zu den Institutionen , jedoch ausserhalb der Universitäten , Verlage und sonstiger Literaturinstitutionen agiert . “Publizieren im Netz” bedeutet demnach zunächst die Freiheit der Wahl , kurzfristig mit Verlagen , Literaturveranstaltern etc, zusammen zu arbeiten , dies doch stets nach Massgabe des praktisch Notwendigen .

Hinzu kommt die stetige Reflexion über “Literatur im Netz” und deren technische Möglichkeiten sowohl intern ( mit meinem Administrator Karl Petermichl verbinden mich lange Jahre der Radiokunst- Produktion sowie das auf Optimierung des Mediums “Weblog” zielende Interesse ) als auch extern durch die Einbindung in das Netzwerk “Literarische Weblogs” , litblogs.net . Da ich seit November 2008 zusammen mit Hartmut Abendschein litblogs.net herausgeben darf , haben sich Dialog und Diskussion auch in dieser Richtung äussert produktiv intensiviert .

Was mein eigenes Schreiben im Netz anbelangt , diente es zunächst als notwendige Form , sich aus den journalistischen Routinen und dem ständigen Imperativ der Zeilenkürzung ( Zeitung ) sowie des Minutensparens ( Radio ) “freizuschreiben” : Es galt , formal wieder zu spontanen Sätzen und melodischen Bögen zu finden , welche nicht den Formaten der institutionellen Medien entsprechen . Auch thematisch gestalte ich jene Themen und formuliere vor allem jene Skeptizismen aus , die von Auftraggebern üblicherweise nicht erwünscht sind . Gleichwohl , und das ist im Zusammenhang mit der Umfrage zur “Autorschaft” nicht zu unterschlagen , war ich zu keiner Zeit eine “literarische” Autorin im üblichen Sinn . Meine “Echtwelt”- Autorschaft hat sich bislang auf kulturwissenschaftliche Zusammenhänge sowie auf ( oft assoziative ) Essays zu ausgewählten KünstlerInnen erstreckt . Speziell im letztgenannten Zusammenhang hat sich wohl auch so etwas wie ein “Stil” herausgebildet , welcher – Frucht langwieriger Vorarbeiten – sich dem Gegenstand des jeweiligen Themas aufs äusserste anzuschmiegen sucht .

Die Frage , ins Imaginäre zu schreiben , stellt sich für mich insofern nicht , als ich – speziell im Zusammenhang mit meiner eigenen Fotografie – ein kaum auszuschöpfendes Themenreservoir vorfinde . Die Spur des Wahrgenommenen und dessen Reflexion benötigt weder eine Variante des “Tagebuchs” noch einer Fiktionalisierung . “Schreiben im Netz” wäre demnach ein Reflexionsraum , welcher ins Offene vorstösst , ohne deshalb “Geschichten erzählen” zu müssen oder das einzelne Wort auf die poetische Goldwaage zu legen .

Aus dieser Grundeinstellung und aus einem dialektischen Problembewusstsein geht hervor , dass (m)ein Schreiben stets nur ein versionäres , unvollendetes sein kann . Aus diesem Grund ist auch das “WER SPRICHT ?” von sekundärem Interesse . Zwar steht mein Klarname im Impressum und sind die Artikel mit “czz” gekennzeichnet , doch zielt mein Impetus eher darauf , die Person der Schreibenden möglichst hintan zu halten . Dass nach 20 Jahren institutionellen Publizierens der Eigenname möglicherweise eine Marke , längst jedoch nicht mehr “Identität” darstellt , mag nachvollziehbar sein . Weshalb dieser Name im Text eben so gut vermieden werden kann , wie er gleichzeitig der URL von in|ad|ae|qu|at ( www.zintzen.org ) unablösbar eingeschrieben ist .

Derartig befreit vom narzisstischen Ich des Autorennamens , zielen meine Texte nach Massgabe des Möglichen prinzipiell auf die Vermeidung des Wortes “ICH” . Ersetzt durch ein leicht diffuses “wir” , spricht der Text aus der Perspektive wechselnder imaginärer Gemeinschaften , dialogischer Kontinuen sowie unausgewiesener Wahlverwandtschaften . Da das “ICH” m. E. sowieso im Stil und in der Denkfigur aufgehoben ist , braucht es kein Text- “ICH” und keinen Autorennamen . Der Autor sei als Funktion der Schrift anzusehen und als Vollzugsinstanz sprachlichen Eigensinns .

Insofern bastle ich sehr wohl an einer Art Avatar , welcher allerdings “in|ad|ae|qu|at” heisst und sich als “WIR” formuliert . Bei Gelegenheit wird diskret an der Fiktion gearbeitet , in|ad|ae|qu|at sei ein nicht näher ausgewiesenes Kollektiv diverser Schreiber , Setzer und Maschinisten … Eine Linie , welche wohl von den wenigsten LeserInnen wahrgenommen wird , was – Stichwort “Versionalität” – nicht weiter von Belang ist .

P. S. Da eben im metaphorischen Sinn von “Avataren” die Rede war, komme ich nicht umhin , einen solchen im strikten Sinne des Wortes – als stellvertretende Materialisierung – vorzustellen . Die Schriftstellerin und Künstlerin Gundi Feyrer hat , inspiriert von den Eindrücken und Vorstellungen bei der Lektüre des Weblogs , einen veritablen figürlichen “in|ad|ae|qu|at- Avatar” geschaffen : Eine etwa 20 cm hohe Tonfigur , deren Bild ich diesem Text abschliessend beifüge .

Gundi_Feyrer_Avatar_inadaequat

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RELATED

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KLANGAPPARAT

Nach derartigen Deklarationen und so viel Theorie ist ein wohl ein bisschen Entspannung angesagt und wohl verdient . Wird neudeutsch auch gerne als “chill out” apostrophiert . Nicht nur vielversprechender czz-hoerempfehlung( und überdies zutreffend ) lautet da die Titelfindung “Chill Me Free” , welche den jüngsten Podcast ( = Mix ) aus dem riesigen Fundus von deepindub ziert . Lass’ es schwingen , lass’ es schweben , go with the flow : sanft schwappende achtzig Minuten lang . CLICK LINK TO LISTEN ( WMP ).